1 abonnement et 0 abonnés
Article

Theater: Jeder ist ein Hase

Boram Lie vom Solistenensemble Kaleidoskop ist eine der beiden Beuys-Darstellerinnen in „Jeder Hase ein Künstler – eine Beuys Fabel“. | Foto: Markus Zucker

Es wird laut geflüstert im Ballhaus Rixdorf. Immer wieder ist das Gezupfe und Gequietsche von Cellos und Geigen zu hören. Die Musiker des Solistenensembles Kaleidoskop stehen zwischen rosafarbenen Kunststoffsäulen. Sie erinnern an ein Kunstwerk von Joseph Beuys, das 1982 im Zuge der Documenta in Kassel eingeweiht wurde: „7 000 Eichen - Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung". Die Rede ist von Kunst im öffentlichen Raum, der Theoretiker Beuys sprach von „sozialer Plastik", Kunst, die die Gesellschaft verändert. Genau das soll es sein, was im Ballhaus Rixdorf geprobt wird.

Faszination für den Dürer-Hasen

Unter der Leitung des österreichischen Regisseurs und Komponisten Georg Nussbaumer wird am Donnerstag im Vollgutlager der Alten Kindl Brauerei in Neukölln „Jeder Hase ein Künstler - eine Beuys Fabel" uraufgeführt. „Der Hase ist ein immer wieder auftauchendes Motiv der europäischen Kunstgeschichte", erklärt Anna Iskina, die Produzentin. „Joseph Beuys war ganz verrückt nach dem Tier."

Als einer der Urhasen der Kunst gilt der Dürer-Hase, ein Aquarell, auf das sich viele beziehen. Nicht nur Beuys war fasziniert von dem Tier, Künstler wie Christoph Schlingensief oder der Filmemacher David Lynch versuchten seiner mystischen Tiefe nahe zu kommen. 1982 schmolz Beuys die Kopie einer Krone Iwans des Schrecklichen ein, um daraus einen Hasen zu gießen - und das ist nur eine von vielen Hasenaktionen Beuys'.

In seinem 30. Todesjahr wird ihm nun ein Stück gewidmet: Auf seiner fiktiven Beerdigung kommen allerhand Figuren zusammen, Beuys selbst in zweifacher Ausführung ist auch dabei, laut flüsternd, passiv-aggressiv - eindrucksvoll gespielt von der aus Israel stammenden Yodfat Miron.

Klangliches Chaos

Die Handlung ist nicht auf den ersten Blick erkennbar. Das Stück lässt in Monologen von Hasendarstellern Weggefährten, Denker und Theoretiker zu Wort kommen, die Beuys beeinflusst haben, wie etwa Rudolf Steiner und seine Anthroposophie, und versucht so, die Bedeutung des Künstlers heute herauszuschälen. Es ist experimentell, ein klangliches Chaos, fordernd für den Zuschauer; man muss allerdings kein Beuys-Experte sein, um sich „Jeder Hase ein Künstler" zu erschließen, denn verhandelt werden neben Beuys' Wirken auch universelle Themen, wie Leben und Tod.

„Beuys war für mich immer schon eine überlebensgroße Gestalt", sagt Regisseur Georg Nussbaumer. Der 1964 in Linz geborene Nussbaumer hat als Jugendlicher den Spiegel gelesen. „Es gab einige Deutsche, die in meinen Augen fast immer im Magazin waren, Beuys war einer davon." Später habe er sich bewusst mit Beuys' Schaffen auseinandergesetzt.

Das Berliner Solistenensemble Kaleidoskop ist ein Kammerorchester, das verschiedene Kunstformen für sich nutzt. In „Jeder Hase ein Künstler" schauspielern die Musiker, sie sind Performer. Joseph Beuys taucht in dem Stück zweimal auf, er wird gespielt von Boram Lie und Yodfat Miron.

Der österreichische Komponist Georg Nussbaumer ist der Regisseur des Stücks. Auf die musikalische Untermalung seiner Inszenierung legt er besonderen Wert. Mit dem Berliner Solistenensemble Kaleidoskop hat er bereits zusammengearbeitet.

Der US-Amerikaner Tom Patchett hat das Stück geschrieben. Er hat sich lange mit Beuys' Wirken und seiner Person beschäftigt. Bekannt ist Tom patchett vor allem als Erfinder der Sitcom-Fernsehserie Alf. Er ist Drehbuchautor, Produzent und Schauspieler.

Beuys, die BRD und die DDR

Die Ensemblemitglieder haben unterschiedliche Erfahrungen mit Beuys. Die meisten sind in den 80er Jahren geboren, waren zu Beuys' Lebzeiten also zu jung, um sich mit dem Künstler zu beschäftigen. „Meine Eltern haben hin und wieder von diesem Professor aus Düsseldorf gesprochen", sagt Boram Lie von Kaleidoskop, die neben Yodfat Miron auch Beuys spielt. „Aber ich komme aus dem Westen." Wenn gesagt wird, Beuys sei der Säulenheilige der deutschen Kunst, dann ist damit vor allem die Bundesrepublik gemeint. „Also, ich kannte Beuys nicht", sagt Ildiko Ludwig, die in der DDR geboren ist. „Ich habe mir seine Arbeiten erst vor den Proben angesehen." Wenn Beuys auch in den beiden deutschen Staaten nicht dieselbe Bedeutung gehabt haben mag, über den großen Teich hat er es geschafft.

Tom Patchett sitzt in einem griechischen Restaurant in Pankow vor seinem Mykonos-Teller. Er bestellt noch ein Bier und einen Ouzo. Patchett hat sich lange mit Beuys beschäftigt, sein Werk und ihn selbst studiert. „In den USA hatte er keinen leichten Start", sagt er. „Natürlich ist er eine Kunstgröße, aber die gleiche Bekanntheit wie in Europa oder Deutschland genießt er nicht." Beuys habe einmal einen Vortrag vor Studenten in New York gehalten, er habe das Wort Sozialismus in den Mund genommen und ein Raunen ging durch den Raum. „Man hielt ihn für einen Kommunisten, das war damals in den USA nicht gut", sagt Patchett. Auch waren viele Amerikaner Beuys gegenüber misstrauisch, weil er während des Krieges in der Luftwaffe war.

Erst Alf, jetzt Beuys

Patchett hat „Jeder Hase ein Künstler" geschrieben. Der aus Michigan im Mittleren Westen stammende Drehbuchautor und Produzent ist vor allem bekannt für die Fernsehserie Alf, bereits in den 70er-Jahren hat er Serien und Filme geschrieben und produziert. Theater ist neu für ihn; mit 76 Jahren nimmt er diese Herausforderung an, Beuys ist ihm eine Herzensangelegenheit. „Und ich habe hier die besten Leute", sagt er. Die Produzentin Anna Iskina hat sie alle zusammengebracht, von ihrem Büro in Basel aus hat die Kulturmanagerin angefangen, das Projekt zu koordinieren. Nussbaumer und das Ensemble Kaleidoskop aus Berlin hatten bereits zusammengearbeitet.

Geprobt wird von Anfang an in Berlin, wo auch die ersten vier Aufführungen stattfinden. „Ich kann mir gut vorstellen, danach Bühnen in Süddeutschland und der Schweiz zu bespielen", sagt Patchett.

„Jeder Hase ein Künstler" wird nicht nur vom Hauptstadtkulturfonds unterstützt, das Stück hat in Berlin auch bekannte ideelle Förderer. „Die Frau des US-amerikanischen Botschafters John Emerson, Kimberly Marteau Emerson, hat mit mir in Hollywood zusammengearbeitet", erzählt Patchett. Sie seien gute Freunde. „Jetzt müssen wir nun noch ein neues Licht auf Beuys werfen."


Jeder Hase ein Künstler - eine Beuys Fabel: Vollgutlager, Alte Kindl- Brauerei, Rollbergstraße 26, Berlin-Neukölln, Premiere am 20. Oktober, weitere Aufführungen am 21., 22. und 23. Oktober jeweils um 20 Uhr, Eintritt 16, ermäßigt 10 Euro.


Rétablir l'original