Stehen da auf dem Astor Place doch Nashörner herum. Nicht einfach so, wie Rindviecher, sondern übereinander, mit Schildern nebendran. Klar hätte ich die Schilder und die Künstlerwebsite durchackern und dann über „The Last Three" schreiben können, da wird ja alles erklärt. Alles? Nee. Ich hatte Fragen, die dort keine Antworten fanden. Deshalb bat ich das Künstlerpaar, das unter seinen Vornamen als Gillie und Marc arbeitet, um ein Interview.
Blöderweise waren die beiden schon wieder aus New York verschwunden. Zack, Bronzenashörner abgesetzt und weiter. Ich dürfte ihnen aber gern meine Fragen per E-Mail schicken, schrieben sie. Deshalb weiche ich von meiner Interviewserie ab, die vom Fluss eines „richtigen" Gesprächs lebt. Stattdessen schreibe ich euch ein Porträt voller O-Töne über die Künstler, ihre Mission, ihre Ansichten über Engagment und New York und ... Nashörner natürlich. Nicht nur die aus Bronze, sondern auch die aus Fleisch und Blut.
Gar nicht so leicht, Gillie und Marc zu erwischen. Die sind überall und nirgends und hinterlassen eine Skulpturenspur. In New York haben letztes Jahr Bronzefiguren mit Hundeköpfen Kameras auf Passanten gerichtet, die ihrerseits sofort die Smartphones zückten ( über die Paparazzi Dogs schrieb ich hier). Die sozialen Netzwerke waren noch voll davon, als die Figuren verschwanden. Da war das Verschwinden Absicht. Fünf Jahre zuvor war in Sydney eine andere Hundegruppe namens „Lost Dogs" größtenteils gestohlen worden. Vielleicht hatte der Titel Signalwirkung.
"The Last Three" (Die letzten Drei)Bei ihrem jüngsten Werk ist die Botschaft hinter dem Skulpturentitel so zielgerichtet, dass sie die Grenzen zwischen Kunst, politischem Engagement und Werbung verwischt. Im März wurde der beliebte „Alamo" auf dem Astor Place, auch schlicht als „der Würfel" bekannt, plötzlich von einem noch größeren Werk in den Schatten gestellt: eine mehr als fünf Meter hohe Skulptur dreier Nashörner von Gillie und Marc, begleitet von Schildern, die über diese vor dem Aussterben stehenden Tiere aufklären. „Uns war klar: Wenn wir etwas erreichen wollen, brauchen wir eine Strategie, mit der wir uns weltweit Unterstützung sichern wie nie zuvor", erzählen mir die Künstler via E-Mail. „Deshalb haben wir die größte Nashornskulptur der Welt erschaffen und sie in einer der größten Städte aufgebaut."
Ich habe keinen Schimmer, wie viele Nashornskulpturen in der Welt herumstehen, aber mir schwant, dass das Erschaffen der größten von ihnen nicht unbedingt als Garant für Furore in der Kunstwelt reicht. Und siehe da: Gillie und Marc flechten diese Superlative zwar äußerst gerne ein, aber als wir uns damit befassen, was sie als Künstler erreichen möchten, spielt die Größe keine Rolle mehr. Ich hatte meinen Zauberstab aus der Mottenkiste geholt, ihn vor ihnen geschwungen (das mussten sie sich natürlich ausmalen, aber ich gehe davon aus, dass visuell denkenden Künstlern das ganz leicht fällt) und sie aufgefordert, mir ihre drei Wünsche zu sagen. Das haben sie mir zurückgeschrieben:
„Wir würden uns wünschen, dass unsere Kunst sämtliche Wilderei ausrottet, dass sie der Welt dabei hilft, Vielfalt und Akzeptanz zu begrüßen (also die einzigartigen Unterschiede von Person zu Person zu feiern, statt sie abzulehnen) und wir würden uns wünschen, dass sich jeder, der diese Kunst sieht, geliebt fühlt und begreift, dass er nie allein ist."
Wenn Wilderei zu Kunst im öffentlichen Raum führtWilderei ist das Thema von „The Last Three". Seit Millionen Jahren existieren Nashörner in Afrika, und dass sie riesige Mengen an Vegetation fressen, um ihre massiven Körper mit vegetarischer Kost zu füllen, ist ein wichtiger Faktor für das Gleichgewicht in ihrer Umwelt. Aber wegen ihrer Hörner werden sie gejagt, von internationalen Trophäenjägern und für ein Geschäft, das vom (vor allem in Asien verbreiteten) Glauben an eine medizinische und aphrodisische Kraft von Nashornhörnern profitiert.
Die Nachfrage ist so groß, dass mehrere Nashornarten zu den bedrohten Tieren zählen. Die drei aus der Skulptur sind Nördliche Breitmaulnashörner - und die letzten ihrer Art. Beschützt - von bewaffneten Wärtern rund um die Uhr - leben sie in einem Reservat in Kenia, können sich aber nicht mehr fortpflanzen.
Seit mehreren Jahren schon verfolgen Gillie und Marc Schattner das Schicksal diverser Nashornarten. 2017 hatten sie die Chance, die Nördlichen Breitmaulnashörner Sudan, Najin und Fatu zu besuchen, und heute noch schwärmen sie davon, wie sie eine Woche ganz nah bei den Tieren verbrachten und sie ständig umarmten und kraulten.
Derzeit könnt ihr am Astor Place leicht feststellen, dass diese drei Nashörner ganz schön große, schwere Tiere sind. Und selbstverständlich dachte ich auch, es handle sich um wilde Tiere. Das hatte ich mir so gedacht! „Sudan ist ein lieber alter Junge, er ist ganz zahm. Er ist kaum wild, weil er als Jungtier gefangen und in einen Zoo in Tschechien gebracht wurde. In der Hoffnung, Zuchtversuche wären in seiner natürlichen Umgebung am ehesten von Erfolg gekrönt, haben sie ihn nach Afrika zurückgebracht", schreiben mir Gillie und Marc über ihren Besuch in der Ol Pejeta Conservancy, und sie kriegen sich gar nicht mehr ein, wie sie ihm Möhren gegeben haben und wie gern er hinter den Ohren gekrault wurde. „So etwas hilft dabei, diese Tiere als sanfte Kreaturen zu verstehen, die man sonst wegen ihrer Größe und Stärke falsch einschätzen würde."
Ein Nashornstreichelzoo und noch größere IdeenVor meinem geistigen Auge erscheint auf diese Aussage hin ein Nashornstreichelzoo (seht ihr? Das mit dem visuellen Denken klappt bei mir auch ganz prima!), und bald geht mir auf, dass ich damit gar nicht mal danebenliege. Die Künstler gehen sogar so weit, ... >>> Weiterlesen im Originaltext!