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Flaute mit Ansage

Die Energiewende wird seit Jahren von einem Mann geprägt: Peter Altmaier zieht in den Merkel-Kabinetten die Strippen, wenn es um Ökostrom und Netzausbau geht. Eine Bilanz.

Von Peter Ringel
Als Peter Altmaier zum ersten Mal als Bundesminister für Wirtschaft und Energie ans Pult im Bundestag tritt, gibt er ein Versprechen: „Wenn ich ein halbes Jahr im Amt bin, werde ich jede problematische Leitung persönlich kennen und besucht haben." Das Versprechen hält der CDU-Mann. Er lässt zwar manchen Brennpunkt des Netzausbaus links liegen, tourt aber im heißen Sommer 2018 wochenlang durchs Land. Altmaier stellt sich Bürgerinitiativen, die gegen „Monstertrassen" wettern, und diskutiert mit Landwirten über Geld für Stromkabel unterm Acker. Nach der Reise lädt der Minister zu einem Netzgipfel, dem bald ein Gesetz für einen schnelleren Ausbau der Leitungen folgt.

Altmaier - der Streiter für die Energiewende.

Betrachtet man seine gesamte Karriere als Umwelt-, Kanzleramts- und Wirtschaftsminister, ergibt sich ein anderes Bild. Im Umweltministerium folgt Altmaier 2012 auf den ambitionierten Norbert Röttgen und bringt schnell die Ökostrombranche gegen sich auf. Erst plant der Merkel-Vertraute, die garantierte Vergütung für die Erzeugung erneuerbarer Energie nachträglich zu kappen. Dann präsentiert er eine Rechnung, der zufolge die Energiewende Kosten von einer Billion Euro verursacht. Und schließlich fordert er gemeinsam mit dem damaligen FDP-Wirtschaftsminister Philipp Rösler eine „Strompreisbremse".

Er versteht das Politikhandwerk, attestieren ihm Gegner. Nur mache er nichts daraus

„Als Umweltminister hat er damals nicht verstanden, dass Erneuerbare längst billiger sind als Kohlestrom", sagt Oliver Krischer, Fraktionsvize der Grünen im Bundestag und damals als energiepolitischer Sprecher Altmaiers Gegenspieler. Und als Wirtschaftsminister müsse er heute eigentlich wissen, dass es mehr Erneuerbare brauche, um nach dem Ausstieg aus Atom und Kohle die Versorgung zu sichern. Allerdings sei keine Politik erkennbar, um den im Koalitionsvertrag vereinbarten Anteil von 65 Prozent Ökostrom bis 2030 zu erreichen. Stattdessen bremse das Wirtschaftsministerium, meint Krischer: „Altmaier lebt offenbar noch in einer Welt, in der Strom aus großen Kraftwerken kommt und in der 40 Prozent Erneuerbare genug sind", sagt Krischer gegenüber EnergieWinde.

Statt die Energiewende systematisch anzugehen, beschränke sich Altmaier auf das, was gerade öffentlich debattiert wird, wirft ihm der Grünen-Politiker vor. Strompreisbremse, Netzgipfel oder Windgipfel seien Showveranstaltungen. „In der gesamten Energiewirtschaft war man sich noch nie so einig wie in der Bewertung, dass es einen vollkommenen Stillstand gibt", sagt Krischer.

Und das, so meint der Grüne, sei eigentlich erstaunlich. Schließlich habe Altmeier in seiner Zeit im Kanzleramt bewiesen, dass er das politische Handwerk versteht und schwierige Prozesse managen kann.

Als Altmaier die Solarenergie deckelt, schicken ihm Gegner Klodeckel ins Büro

Altmaiers Strompreisbremse ist irgendwann vom Tisch. Doch wenig später legt der Umweltminister eine EEG-Novelle vor, die den Ausbau der Fotovoltaik nach 2013 einbrechen lässt und auf eine Kapazität von insgesamt 52 Gigawatt begrenzt. Die Menge dürfte im kommenden Jahr erreicht sein.

Ökoverbände, Bayern und weitere Bundesländer fordern deshalb, die Begrenzung wieder zu streichen. Ansonsten, so ihre Befürchtung, werde es in der Solarbranche einen ähnlichen Stellenabbau geben, wie er sich derzeit in der Windenergie abspielt.

Die originellste Protestkampagne organisiert Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der HTW Berlin. Er lässt Deckel aller Art ans Wirtschaftsministerium schicken. Den ersten Klodeckel adressiert der Energieexperte selbst an Altmaier, den Erfinder der Ausbaubegrenzung. „Irgendwann verweigerte der Pförtner beim BMWi die Annahme von Klodeckeln", erzählt Quaschning im Gespräch mit EnergieWinde.

Immerhin, die Botschaft scheint angekommen zu sein: In ihrem jüngst beschlossenen Klimapaket hat die Bundesregierung den Deckel beseitigt.

Die Windkraftkrise sei nicht seine Schuld, sagt er. Es fehlten schlicht gute Standorte

Eine andere Botschaft Quaschnings weist Altmaier persönlich zurück. Nach der Insolvenz des Turbinenbauers Senvion macht der Wissenschaftler ihn auf Twitter für den nahezu zum Erliegen gekommenen Windkraftausbau verantwortlich. Altmaier kontert: „Leider falsch: Mit Sonderausschreibungen wird sogar mehr ausgeschrieben, aber es fehlt offenbar an geeigneten Standorten. Denn die Genehmigungsverfahren dauern immer länger. Die werden aber nicht von der Bundesregierung entschieden. Deshalb der Windgipfel mit allen Beteiligten."

Quaschning wertet die Antwort als übliches Schwarzer-Peter-Spiel: Obwohl das BMWi die Regeln für die Windkraft im EEG definiert, mache man jetzt Wutbürger und fehlende Akzeptanz für das Stocken der Energiewende verantwortlich. Dabei sei schon 2017 klar gewesen, dass bei den ausgeschriebenen Windkraftmengen von 2,8 Gigawatt vor allem vermeintliche Bürgerwindparks zum Zuge kommen würden, die noch gar keine Baugenehmigung besaßen - wodurch zwei Jahre später kaum noch neue Windturbinen ans Netz gingen. Eine Flaute mit Ansage.

Der Klimaschutz stockt. Doch Altmaier sagt, man liege „voll auf Zielkurs"

Ungeachtet vermurkster Ausschreibungen aus dem eigenen Ministerium gibt sich Altmaier als Krisenmanager, als er vor wenigen Wochen zu einem Windgipfel lädt. Das Treffen endet allerdings ergebnislos, der Chef des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft konstatiert: „Der heutige Windgipfel hat noch einmal gezeigt: Es gibt kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem."

Stromlobby und Ökoverbände hatten im Vorfeld mehr Flächen für Windparks, ein leichteres Repowering und die Standardisierung naturschutzrechtlicher Vorgaben gefordert. In einem Zehn-Punkte-Plan wird außerdem der Verzicht auf pauschale Abstandsregelungen genannt. Genau die beschließt dann das Klimakabinett mit Altmaier und Ministerkollegen - zwei Wochen nach dem Windgipfel.

... der einzige Sektor, in dem Deutschland bislang über Plan liegt. In anderen Bereichen wie etwa der Energieffizienz oder im Verkehr verfehlt das Land seine Ziele deutlich. Nicht die einzige Kritik, die sich Merkels Strippenzieher anhören muss. Vor allem ...

Angesichts immer neuer Hürden für die Energiewende erscheinen Aktionen wie der Windgipfel vor allem als politische Ablenkungsmanöver. Die sind auch gefragt, als der redegewandte Altmaier im März 2018 vom Kanzleramt ins Wirtschaftsministerium wechselt. Da zeichnet sich längst ab, dass die Energiewendeziele der Bundesregierung für 2020 verfehlt werden - bei den Strompreisen ebenso wie bei den Treibhausgasen oder der Effizienz. Einzig der Ausbau der Erneuerbaren liegt über Plan, wie Altmaier gern betont: Deutschland liege „voll auf Zielkurs".

Bleibt der Wirtschaftsminister bei seiner Politik, ist es damit allerdings vorbei: Beim aktuellen Ausbautempo werde Deutschland seinen Bruttostromverbrauch 2030 laut BEE nur zu 44 statt der anvisierten 65 Prozent aus erneuerbaren Energien bestreiten.

Bremst der Minister Ökostrom aus, um die Rendite der Kohlekonzerne zu sichern?

Auch beim Paris-Abkommen, das die Erderwärmung auf möglichst nicht mehr als 1,5 Grad begrenzen soll, ist die Bundesregierung nicht auf Kurs. Dafür wären in Deutschland bei der Windkraft an Land 200 und auf See 75 Gigawatt nötig, rechnet Quaschning vor. Die Fotovoltaik-Kapazität müsste auf 400 Gigawatt steigen - das Achtfache des derzeitigen Bestands. Doch ein kräftiger Ausbau würde die fossilen Erzeuger in Bedrängnis bringen: „Schon rund 60 Gigawatt Solarstromleistung können an sonnigen Tagen mittags den größten Teil der Stromversorgung abdecken. Der Betrieb von Grundlastkohlekraftwerken wird dann immer schwerer und zunehmend unwirtschaftlich", erklärt der Elektrotechnikingenieur.

Seit Altmaiers Wechsel ins Umweltministerium werde deshalb dafür gesorgt, dass die Zahl der installierten Solarmodule nur moderat steige, indem man etwa den Eigenverbrauch mit der EEG-Umlage belastet oder die Leistung von Solarparks willkürlich auf zehn Megawatt begrenzt. Den angestrebten jährlichen Fotovoltaikzubau hat Altmaier zuletzt von 2,5 auf 1,9 Gigawatt gesenkt.

„Der einzige Grund für die Größe des Zubaukorridors ist, die Kohlekraftwerke weiter betreiben zu können", glaubt Quaschning. Weil die Energieriesen mindestens acht Prozent Rendite auf ihre Investments in die fossilen Meiler ansetzten, würden die Erneuerbaren klein gehalten. Klimaziele spielten dabei keine Rolle - entgegen aller Bekenntnisse.

Was Altmaier auf diesen Vorwurf entgegnet, hätte EnergieWinde gern vom Minister persönlich erfahren. Doch ein Gespräch sei aus Termingründen leider nicht möglich, hieß es aus der Pressestelle.

Beim Netzausbau drängt der Minister aufs Tempo. Das war nicht immer so

Altmaiers Lieblingsprojekt, der Netzausbau, ist für Quaschning ein „Nebenkriegsschauplatz" im Kampf um die Energiewende. So wie bei der Fotovoltaik auf hohe Kosten verwiesen werde, um den Ausbau zu begrenzen, dienten fehlende Leitungen als vorgeschobenes Argument gegen mehr Windkraft: „Wenn Altmaier jetzt Suedlink durchprügelt, um damit vier Gigawatt von Nord nach Süd zu transportieren, bringt das die Energiewende nicht entscheidend voran", sagt der Wissenschaftler.

Weit effektiver wäre aus seiner Sicht ein regional besser verteilter Ausbau der Erneuerbaren: „Damit ist ein Plus von mehr als 50 Prozent bei Sonne und Wind möglich - ohne eine neue Leitung zu bauen." Altmaier selbst hat übrigens einen Anteil daran, dass es beim Netzausbau hakt: Zu seiner Zeit im Kanzleramt versprach der Bund der bayerischen Landesregierung nach deren Protest gegen Freileitungen, mehr Erdkabel zu verlegen. Dadurch begannen die Planungen für viele Trassen von vorn.

Altmaier will Ökostrom marktreif machen

Ist Altmaier ein „falscher Freund der Energiewende", wie ein Fachmagazin jüngst fragte? Selbst wenn er guten Willens sein sollte - im Klimakabinett soll er sich etwa für einen höheren CO 2-Preis ausgesprochen haben -, komme er nicht gegen mächtige Akteure in der eigenen Partei an, glaubt Grünen-Politiker Krischer: „Bei der Energiepolitik wird Altmaier vom Wirtschaftsflügel der Union an die Wand gedrückt."

Der CDU-Minister verweist gern darauf, dass er die Erneuerbaren marktorientiert ausbauen möchte. Also wird bei Vergütungen gekürzt und es gibt mehr Ausschreibungen für Ökostrom. Bei seinem Energiesammelgesetz konstatiert der Minister: „Wir bringen den Ausbau der erneuerbaren Energien kosteneffizient, marktorientiert und netzsynchron voran." Der Grüne Krischer mag dieser Einschätzung nicht folgen: „Altmaier verwechselt Nichtstun mit Marktwirtschaft." Nötig seien passende Rahmenbedingungen, damit sich die Erneuerbaren im Markt bewegen können. Zur überfälligen Reform der Netzentgelte sei vom Wirtschaftsminister allerdings ebenso wenig zu hören wie zum Strommarktdesign der Zukunft.

Viele offene Baustellen für den Minister also. Und als sei das alles nicht genug, muss er sich auch noch durch eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion vorführen lassen. Die hatte sich nach der Klimabilanz der Regierungsdienstwagen erkundigt. Ergebnis: Den höchsten CO 2-Ausstoß hat der Audi von Peter Altmaier.

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