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Finanz-Talk bei "Illner": Der Doppel-Scholz

Maybrit Illner diskutierte mit ihren Gästen über Geld. Finanzminister Olaf Scholz gab unter anderem die Rolle des strengen Kassenwarts - und wurde trotzig, als er konkrete Zahlen nennen sollte. Von Peter Luley



Die Gratwanderung des Abends: Finanzminister Olaf Scholz musste erklären, wieso einerseits "die fetten Jahre vorbei" seien, wie er zu Jahresbeginn gewarnt hatte - andererseits aber seiner Meinung nach genug Geld da ist, um etwa die SPD-Grundrentenpläne zu finanzieren. "Wir haben ja noch Wachstum und ordentliche Steuereinnahmen", beschwichtigte der Vizekanzler. Deutschland habe einen 350-Milliarden-Haushalt, da gehe es um "Prioritäten". Und "Zusammenhalt", wie ihn die Grundrente herstelle, sei keine schlechte Sache.

Als der stellvertretende CSU-Vorsitzende Manfred Weber einwandte, "das Geld wird weniger", korrigierte Scholz: "weniger mehr". Bei der Rollenwahl zwischen strengem Kassenwart und SPD-Parteipolitiker entschied sich der "Doppel-Scholz", wie er in einem Einspieler genannt wurde, für ein klares Sowohl-als-auch.

Der GroKo-Konsens des Abends: Einig waren sich die beiden Vertreter der Koalitionsparteien über das Ziel einer Grundrente, über die Wichtigkeit der "schwarzen Null" und Haushaltsstabilität. Während die Wirtschaftsjournalistin Carolin Roth fragte, ob die "schwarze Null" nicht ein "Eitelkeitsprojekt" sei und stattdessen für Investitionen plädierte, erklärte Scholz, er habe das Neuverschuldungsverbot immer richtig gefunden. Stabile Finanzen seien im Übrigen auch für Unternehmen "eine wichtige Kategorie".


Manfred Weber warnte zwar in Richtung Scholz und SPD davor, "neue Sozialprojekte" zu versprechen. Die auf entsprechende Unionskritik anspielende Frage, ob er "Angst vor Olaf Lafontaine" habe, beantwortete er jedoch mit einem klaren "Nein".

Der GroKo-Dissens des Abends: Die bekannten unterschiedlichen Positionen zur Bedürftigkeitsprüfung bei der Grundrente und zur Komplett-Abschaffung des Solidaritätszuschlags wurden auch in dieser Runde ausgetauscht. Während Scholz sich sicher war, den Koalitionspartner noch überzeugen zu können, erhielt Weber in beiden Fällen Unterstützung von Clemens Fuest, dem Präsidenten des Münchner Ifo-Instituts.

Bei der Bedürftigkeitsprüfung müsse es bleiben, erklärte der Wirtschaftswissenschaftler, denn ohne sie sei die Maßnahme "ungerecht und nicht zielgenau". Der Sozialstaat müsse aber zielgenau sein. Und der Soli müsse weg, "ganz klar". Es habe diesbezüglich ein Versprechen gegeben. Nun zu behaupten, seine komplette Streichung wäre "ein Geschenk an Reiche", gehe zu weit. Wer Großverdiener zur Kasse bitten wolle, müsse eben den Spitzensteuersatz erhöhen.

Das Ausweichmanöver des Abends: Fast eine gewisse Komik entfaltete Scholz' Weigerung, auf Illners dreimal vorgetragene Frage zu antworten, "was Bürgergeld und Grundrente denn auf die Uhr bringen würden". Nach einem ausweichenden Exkurs über den "moralischen Missstand", dass der Mindestlohn noch immer zu gering sei, beschied er der Moderatorin: "Das wird nicht so viel kosten, wie einige jetzt denken."

Als Illner nochmals insistierte, es wäre schön, wenn er jetzt eine Zahl nennen könnte, reagierte er fast trotzig: "Ja, aber ich will nicht." Das müsse man "in der konkreten Reform durchrechnen".

Viel leichter kamen ihm Zahlen über die Lippen, als er ausführte, warum es gut sei, den Soli zwar für 90 Prozent der Zahler, aber nicht für Spitzenverdiener abzuschaffen: "Wir müssen nicht jemandem, der eine Million verdient, eine Steuererleichterung von 20.000 Euro verschaffen." Genauso sei er dagegen, dass ein Dax-Vorstand, "der fünf Millionen verdient, über 100.000 Euro Steuererleichterung bekommt".

Das Fallbeispiel des Abends: Als Arbeitnehmer, der mit der Ansage "Die fetten Jahre sind vorbei" wenig anfangen konnte, war Daniel Turek eingeladen. Der Logistiker bei einer Charité-Tochtergesellschaft verdient, seitdem er outgesourct wurde, 1900 Euro brutto im Monat und kann davon seine Familie nicht allein ernähren. "Fette Jahre haben wir gar nicht erlebt", stellte er klar - und fand den Umstand, dass vom vielbeschworenen Boom bei ihm so gar nichts angekommen sei, einfach nur "erschreckend".

Die Selbstkritik des Abends: "Wir haben einen zu großen Niedriglohnsektor", erklärte Scholz nach diesem Intermezzo, und Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt räumte auf Illners Frage, ob sie ein schlechtes Gewissen wegen der Agenda 2010 habe, ein: "Es war eine andere Zeit, es gab viel mehr Arbeitslose, aber wir haben Fehler gemacht." So sei nicht geplant gewesen, dass die Leiharbeit zu einem dauerhaften Sektor geworden sei.


Das Framing des Abends: Ein schönes Beispiel für den gerade viel diskutierten Begriff des Framings bot sich, als Göring-Eckardt forderte, Deutschland brauche als moderner Industriestaat angesichts von 150.000 leeren Stellen im Handwerk endlich ein Einwanderungsgesetz. Da beeilte sich Manfred Weber zu versichern, Horst Seehofer habe ja das Fachkräftezuwanderungsgesetz auf den Weg gebracht, einen "Meilenstein". Denn darum gehe es ja auch, "wir wollen keine Zuwanderung in Sozialsysteme, wie das vielleicht die Grünen wollen".


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