Alte Schule, ganz lebendig: Die ARD-Doku "Wader Wecker Vater Land" zeigt die zwei großen Liedermacher Hannes Wader und Konstantin Wecker auf Tour. Bei allen Gegensätzen kommen sich die zwei näher - und geben Einblicke sowohl in ihr Privatleben als auch in die alte BRD. Von Peter Luley
Am Anfang ist es richtig haarig: Nicht nur, weil die beiden Künstler, die hier auf ihrer gemeinsamen Deutschland-Tournee 2010 begleitet werden, recht unglamourös mit dem Zug reisen und gleich mal daran scheitern, die Schiebetür zu ihrem Abteil zu öffnen. Man spürt auch bei den Proben, dass die Chemie zwischen Hannes Wader und Konstantin Wecker, den beiden großen alten Liedermachern, nicht stimmt.
Wader, Jahrgang 1942, hat schlecht geschlafen, verpatzt seine Einsätze, wirkt hilflos, wie er mit seinem Hörgerät umhertapert, und leidet selbst am meisten unter seinen Fehlern. Nicht mal die Roadies der beiden können sich beim Bühnenaufbau einigen. Und dann kommt Wecker noch auf die Idee, der legendär hüftsteife Wader könne doch als Gag mit einem Funkmikro über die Bühne tänzeln und "Quando, quando, quando" singen.
Da fragt man sich kurz, ob es eine gute Idee war, erstens den barocken Wecker aus Bayern und den spiddeligen Wader aus Norddeutschland noch einmal für eine Tour zusammenzuspannen - und zweitens, daraus auch noch einen Film zu machen.
Doch Regisseur Rudi Gaul, Jahrgang 1982, hat nicht nur durch seine Jugend einen angenehm unverstellten Blick. Er hat auch das Glück des Tüchtigen, dass der Tourneeverlauf einer günstigen Dramaturgie folgt: Wecker, der einstige Bodybuilder, die Rampensau, und Wader, der schüchterne Einzelgänger, kommen sich quasi spielend näher, werden wärmer, gewinnen an Sicherheit. Sogar das zu Beginn noch etwas drollig wirkende Ritual, dass alle Musiker sich vor dem Auftritt zum Kreis zusammenschließen, einander die Arme um die Schultern legen und versuchen, durch freies Singen einen "schönen Ton" zu treffen, bringt allmählich harmonischere Klänge hervor.
"Diese Baader-Meinhof-Scheiße"
Effektvoll kontrastierend hat Autor Gaul Backstage-Situationen, aktuelle Auftritte und Archivmaterial verwoben. Wenn Wader, der asketische Folkpicking-Meister, seine Hymne "Heute hier, morgen dort" vorträgt und Wecker in alten Aufnahmen schweißgebadet am Flügel "Genug ist nicht genug" schmettert, wird noch mal richtig augenfällig, aus welch unterschiedlichen Ecken die beiden kommen.
Freimütig geben sie Auskunft über ihre Brüche und Krisen. Wader erzählt, wie der Eintritt in die DKP in den Siebzigern ihm zunächst Halt gab ("Ich war überfrei"), nur um ihn später, erstmals bei der Katastrophe von Tschernobyl und dann beim Zusammenbruch des Kommunismus, in eine umso tiefere Sinnkrise zu stürzen. Auch die Sache mit der RAF, als Wader seine Hamburger Wohnung unwissentlich Gudrun Ensslin überlassen hatte und deshalb jahrelang mit dem bewaffneten Terrorismus in Verbindung gebracht wurde, wird noch einmal thematisiert - obwohl Wader an "diese Baader-Meinhof-Scheiße" eigentlich nicht mehr erinnert werden möchte.
Wecker wiederum rekapituliert, wie er einst, nach dem Erfolg von "Willy", vor der Vereinnahmung durch allerlei politische Gruppen in die Toskana floh, und vermutet, mit seinem "systematischen Abgleiten in die Drogensucht" - 1995 wurde er wegen Kokainbesitzes verhaftet - habe er sich einen "ähnlich brüchigen Hafen gesucht" wie Wader mit der DKP.
Wader kassiert 'ne 4+
Zwischen Filmautor und Porträtierten muss im Lauf des Drehs ein enormes Vertrauensverhältnis entstanden sein, denn beide Künstler lassen Gaul auch in ihr Privatleben blicken - was in beiden Fällen junge Familien einschließt - und buchstäblich in ihre inzwischen doch recht bürgerlichen Küchen gucken. Köstlich, wie Waders Tochter dem Vater eine 4+ für eine von ihm verfasste Schularbeit präsentiert und dieser milde anmerkt: "Ist doch prima!" Zur Entspannung wird dann im Heimstudio ein bisschen Georges Brassens gesungen.
Aus all diesen Bestandteilen entsteht eine nichts beschönigende, aber liebevolle Hommage an die zwei Protest-Ikonen und zugleich ein kleiner Exkurs zum Verhältnis der älteren Generation zu Deutschland. An dem titelgebenden Begriff "Vaterland" haben sich sowohl Wecker als auch Wader stark und oft gerieben - nicht nur deshalb ist er gut gewählt. Er reflektiert hier auch die Art, wie der Filmemacher auf sie und die Themen, die sie umtreiben, blickt. "Unter unseren verschiedenen Mänteln wollen wir das Gleiche", hatte Wecker schon eingangs festgestellt. Was ihren Glauben an Gesellschaftsutopien und die eigene Wirkmächtigkeit angeht, so haben sie sich auf das Wadersche "Trotz alledem" geeinigt.
Und nun, gegen Ende des Films, verströmen das auch die gemeinsamen Auftritte: Es rührt an, wie auch das junge Publikum die alten Lieder mitsingt, und als Wecker auf Bayerisch in Waders plattdeutsches "Dat du min Leefste bist" einstimmt, haben die zwei spürbar dieselbe Wellenlänge gefunden. Irgendwann beim Anstoßen nach dem Konzert sagt Wecker: "Hannes, es ist schön, mit dir auf Tour zu sein." Und der stimmt trocken, aber erkennbar bewegt zu: "Das machen wir morgen einfach wieder."
Vielleicht liegt es auch ein wenig daran, dass im letzten Jahr mit Franz Josef Degenhardt, Georg Kreisler und Ludwig Hirsch gleich drei Liedermacher-Granden kurz nacheinander gestorben sind und die "Süddeutsche Zeitung" bereits "das Ende der Akkordarbeiter" beschwor. Auf jeden Fall weckt dieser Film eine Freude, Hannes Wader und Konstantin Wecker, die beiden Barden alter Schule, derart lebendig im Hier und Jetzt zu sehen.
"Wader Wecker Vater Land", Dienstag, 23.45 Uhr, ARD
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