Auf den Spuren von Jack Kerouac: In dem Doku-Zweiteiler "On Jack's Road" schickt Arte vier junge Künstler quer durch die USA, um dem Geist der Beat-Generation nachzuspüren. Ein Experiment, das bald an seine Grenzen stößt. Es reicht eben nicht, mit Anlauf in Jungs-Betten zu springen. Von Peter Luley
Man muss derzeit den Eindruck haben, der 1969 verstorbene US-Schriftsteller Jack Kerouac sei der Autor der Stunde: Kürzlich erschien sein Kultroman "On the Road" in der unzensierten Urfassung auf Deutsch, am 4. Oktober startet Walter Salles' gleichnamige Kinoverfilmung, und am kommenden Samstag zieht es auch Arte auf die Straße: "On Jack's Road" heißt das Doku-Roadmovie, das sich der Romanroute folgend quer durch die USA begibt.
Um zu ergründen, was uns "On the Road", das 1951 erschienene Manifest der Beatnik-Bewegung, heute noch zu sagen hat, hat der Kulturkanal ein Quartett junger Künstler gecastet - und das durchaus nicht ungeschickt. Auf zweiwöchige Spurensuche gehen der in Los Angeles lebende Filmemacher Philip Hodges und die österreichische Songwriterin Anna F., die schon mit Lenny Kravitz tourte; dazu der Franzose François Lang, nach eigenen Angaben Autor von satirischen Gesellschaftsspielen, und die Berliner Fotografin Marlen Müller.
Sie alle sind weltoffene, sprachgewandte Twentysomethings, weitgehend ohne Scheu vor Menschen und der Kamera und können plausibel eigene Erwartungen an den Roadtrip formulieren: Inspiration finden, Videomaterial drehen, fotografieren...
"Wahrscheinlich würden Beatniks heute bloggen"
Und die vier haben erkennbar Lust: Beherzt prosten sie sich mit der Formel "Jack is back" zu und erkunden erst mal New York, den Ausgangspunkt der Reise. Im Stil journalistischer Recherche treffen sie Gesprächspartner wie Paul Slovak, Kerouac-Experte beim Verlag Penguin Books, der klarstellt, dass ausgerechnet der große Straßenromantiker Kerouac nie selbst gefahren sei, ja nicht mal einen Führerschein besaß. Wie sich die Beatniks heute ausdrücken würden? "Wahrscheinlich würden sie bloggen", glaubt Slovak.
Im Café Wha? in Greenwich Village rezitieren die vier Protagonisten den Anfang des legendären Allen-Ginsberg-Gedichts "Howl". Vor Kerouacs Haus wird kurzerhand auf einem auf der Straße gefundenen Sofa Platz genommen, und jeder liest - auf Englisch, Deutsch, Französisch - eine Textpassage aus "On the Road" vor.
Ein Höhepunkt ist die Begegnung mit dem "letzten lebenden Beat-Poeten" Charles Plymell im Cherry Valley. Der beeindruckend verwitterte Greis trägt seinen Gästen mit so viel dylanesker Verve ein Gedicht vor, dass fühlbar wird, was diese literarische Gattung nicht zuletzt auszeichnet: der Groove.
Allmählich stößt die Versuchsanordnung aber doch an ihre Grenzen: So sehr die bezaubernde Anna F. auch mit Anlauf in die Jungs-Betten springt, so sehr unverkrampfte Körperlichkeit zelebriert wird, so klar ist eben immer auch, dass es sich um eine konstruierte Konstellation handelt. Natürlich kann hier - um zwei kerouacsche Kernthemen zu nennen - keine erotische Anziehung verordnet und gezeigt werden, und natürlich geben sich die vier auch keinen Drogenexzessen hin. Trotz stimmungsvoller Bilder und eines beseelten Soundtracks wirkt das Beschwören des Beatnik-Spirits deshalb bisweilen gewollt.
Der Reisespirit soll die Regie übernehmen
Spätestens, wenn sich die Reisegruppe in der Mitte der Doku vorübergehend trennt - die Jungs wollen stilecht im Greyhound-Bus einen Schlenker nach Chicago machen, die Mädchen fahren schon mal in die Wüste Arizonas vor -, scheint der Zwang zu inszenatorischer Zuspitzung durch: Das anschließende Wiedersehen wird vor der Kamera gefeiert, als träfen sich jahrelang getrennte Kindheitsfreunde wieder.
Überdies hatten die Filmautoren Hannes Rossacher und Simon Witter offenbar den Plan, dass nach der Kennenlernphase und den Interview-Recherchen des Anfangs auf dem Weg an die Westküste, nach Los Angeles und San Francisco, der Reisespirit selbst die Regie übernehmen sollte - ein etwas dünnes Konzept. Die immer wieder eingelesenen Passagen aus dem Roman vermögen dessen Reiz nur bedingt zu transportieren; und mit der Anforderung, vor der Kamera tiefsinnige Dialoge zu produzieren, sind Kerouacs wackere Erben ein wenig überfordert. "Vielleicht gibt es doch einen Gott?", sinnieren sie angesichts eines schönen Blicks auf den Pazifik. Da nimmt der Film Züge einer Schüleraustausch-Doku-Soap an.
Gleichwohl kann man dem sympathischen Kleeblatt nicht gram sein - und immerhin ist der Zuschauer nach Ansicht des Zweiteilers voll drin im Kosmos Kerouacs: Ganz präsent sind einem neben Allen Ginsberg auch wieder Kerouacs Reisegefährte und Inspirationsquell Neal Cassady sowie der Drogenpapst und "Naked Lunch"-Autor William S. Burroughs.
Das kann im Hinblick auf die kommende Woche startende "On the Road"-Kinoverfilmung nicht schaden, zumal die realen Personen im Roman andere Namen tragen. Unter der Regie von Walter Salles hat sich eine erlesene Darstellerriege zusammengefunden: Keine Geringeren als Sam Riley (Kerouac), Garrett Hedlund (Cassady), Tom Sturridge (Ginsberg) und Viggo Mortensen (Burroughs) sowie Kristen Stewart (als Cassady-Geliebte LuAnne Henderson) und Kirsten Dunst (als Cassadys Ehefrau Carolyn) versuchen sich daran, den Beatnik-Zeitgeist mit viel Sex, Drugs und Bebop-Jazz heraufzubeschwören.
Nachzuschauen, wie sie sich dabei schlagen - darauf machen die Abenteuer von Phil und Anna, François und Marlen jedenfalls richtig Lust.
"On Jack's Road", Sonnabend, 22.10 Uhr, Arte
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