An Ostern kochte meine Schwiegermutter doppelt. Es gab Hühnersuppe mit Eierstich – und Gemüsesuppe mit Eierstich. Lammbraten und, nur für mich, eine Kartoffeltarte. Gegessen wurde vom guten Geschirr (mit Goldrand) und als wir uns zuprosteten, sagte meine Schwiegermutter: „Schön, dass du da bist!" Vor ein paar Jahren wäre das undenkbar gewesen. Nicht, weil ich Vegetarierin bin. Sondern weil ich Frauen liebe, vor allem ihre Tochter Susanne.
Seit bald zehn Jahren sind wir ein Paar. Susanne war das schönste und coolste Mädchen der ganzen Schule (ach was, überhaupt). Ich war in sie verknallt, lange bevor ich wusste, dass sie auch lesbisch ist. Zwischen zwei Schulstunden küssten wir uns zum ersten Mal. Später knutschten wir auf dem Pausenhof unseres bayerischen Gymnasiums, ohne einen einzigen blöden Kommentar zu hören. In unserem Freundeskreis war das Coming-out, das Offenlegen der eigenen Homosexualität, kinderleicht. In der Familie war das anders - zumindest bei Susanne.
Ich war sechzehn, als ich zu meiner Mutter ins Bett schlüpfte und ihr von meinem ersten Date erzählte: „Mit einem Mädchen, Mama" - „Deshalb warst du gestern so aufgeregt!", antwortete sie.
Als Susanne ihrer alleinerziehenden Mutter sagte, dass sie lesbisch sei, brach diese in Tränen aus. Wollte den Kontakt zu „solchen Leuten" verbieten. Und schickte sie in Therapie.
Susanne hatte Glück, denn sie geriet nicht an eine selbsternannte Homo-Heilerin. Und das, obwohl die sogenannten Konversionstherapien, die Jugendliche in den Suizid treiben können, in Deutschland erst dieses Jahr verboten werden sollen. Susannes Psychotherapeutin kam zu dem Schluss: „Ihnen geht es gut. Eigentlich muss Ihre Mutter kommen."
Susannes Mutter kam nicht. Sie wütete und wehrte sich, glaubte an eine Phase. Als wir anfingen zu studieren, wir waren seit drei Jahren ein Paar, schrieb ihre Mutter Susanne einen Brief, in dem sie ihr einen guten Studienanfang wünschte. Und einen Neuanfang in der Liebe. Ich erfuhr erst Jahre später davon, Susanne wollte mich nicht belasten. Gleichzeitig verheimlichte sie es in dieser Zeit ihrer Mutter, wenn sie zu mir nach Berlin fuhr (hallo Fernbeziehung). Diese mache sich sonst so viele Sorgen, sagte sie. Mir war klar, dass das nicht nur am weiten Weg lag.
In dieser Zeit dachte ich manchmal: Als Mann wäre ich eine verdammt gute Partie. Ein freundlicher, sportlicher Streber aus gutem Hause. Ein Penis wuchs mir nicht. Dennoch begann Susannes Mutter, mich nach und nach zu akzeptieren.
„It gets better" ist das Motto, das so vielen Jugendlichen, die gleichgeschlechtlich lieben, hilft. Rückschläge gibt es trotzdem. Manchmal schien alles gut. Und dann wurden sie doch wieder nach oben gespült, die enttäuschten Erwartungen und Ängste. Susannes Mutter fragte: Habe ich etwas falsch gemacht? Was werden die Großeltern denken? Wirst du nie heiraten und Kinder kriegen? Was, wenn diese Frau dich im Stich lässt?
Sie fürchtete: Meine Tochter wird ein schweres Leben haben, vielleicht ein einsames. Eine Angst rührte ausgerechnet daher, dass meine Eltern unsere Liebe und Sexualität sofort akzeptiert hatten. Susannes Mutter fühlte sich gewissermaßen übertrumpft, vielleicht befürchtete sie, ihre Tochter an meine Eltern zu verlieren.
Doch Weihnachten 2014 war ein Wendepunkt. Meine Schwiegermutter strickte mir eine knallrote Mütze. Liebevoll und etwas unförmig. Die Mütze erinnerte an eine OP-Haube. Ich fand sie toll, trug sie jeden Tag und zu allen Farben. Selbstgenähtes und Gekochtes bekam ich nun öfter. Heute gehöre ich zur Familie. „Meine Mädchen", sagt Susannes Mutter gern. Sie verteidigt uns heldenhaft gegen homofeindliche Sprüche, auch aus ihrem eigenen Bekanntenkreis. Und die rote Mütze (nun maximal zerzaust) gebe ich nicht mehr her. Einen Umzug hat sie schon überstanden: in Susannes und meine erste gemeinsame Wohnung.