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Quidditch-WM: Der heiße Ritt auf der Plastikstange

Quidditch-WM in Frankfurt: Von wegen alberne Besenrennerei (© LUKAS KREIBIG, F.A.Z.)

Langsam schreitet James Hicks am Spielfeldrand entlang. Durch die leicht gelblich schimmernden Gläser seiner schwarz gerahmten Sportbrille beobachtet der hünenhafte Coach sein Team, die amerikanische Quidditch-Nationalmannschaft, beim Aufwärmen. Für den Turnier-Favoriten steht das dritte Gruppenspiel bei der Quidditch-WM in Frankfurt an, der Gegner ist Norwegen.


Die Trikots von Hicks' Quidditch-Helden - das „Team USA" hat zu diesem Zeitpunkt noch kein einziges Länderspiel verloren - erinnern an den Comic Heros Captain America: Blau im Bereich des Oberkörpers, weiße Sterne auf eben diesem blauen Grund an den Schultern und unterhalb der Brust sind die Jerseys weiß-rot gestreift wie die amerikanische Nationalflagge. Kein Team wärmt sich derart akkurat wie die Amerikaner auf. Unmittelbar vor dem Anpfiff peitschen sich die Amerikaner verbal ein, ihre Gesichter laufen vom Schreien rot an, Adern quellen an einigen Hälsen hervor. Nach rund 30 Minuten ist das Spiel vorbei, Amerika besiegt Norwegen 230:10.


„Die Amerikaner treten bei diesem Turnier schon etwas hochnäsig auf. Sie bleiben eher isoliert in ihrer eigenen Gruppe", sagt Nadine Cyrannek, Kapitänin der deutschen Quidditch-Nationalmannschaft. Während es nach den Spielen wie selbstverständlich Gruppenfotos und Umarmungen zwischen konkurrierenden, aber auch befreundeten Teams gibt, müsse man „Team USA" dazu animieren. Nach der Eröffnungszeremonie der Weltmeisterschaft vergangenen Freitag ging die amerikanische Nationalmannschaft zeitig in ihr Quartier zurück, geschlossen und als erstes der 21 teilnehmenden Teams. Der amerikanische Quidditch-Verband wird hauptberuflich geführt, über 4000 amerikanische Athleten spielen Quidditch, zu Turnieren in Amerika kommen über 5000 Zuschauer - die Amerikaner üben den Sport, der auf den Harry-Potter-Romanen von Joanne K. Rowling basiert, nahe an der Professionalität aus.


„Diese Potter-Klischees finde ich ganz schlimm. Ich will gar nicht wissen, wie viele Zaubersprüche uns beim Training in Darmstadt schon an den Kopf geworfen wurden", sagt Cyrannek. Von den mehr als 1000 Zuschauern an der Rebstockanlage hört man keine Zaubersprüche, dafür intonieren die sangesfreudigen Anhänger der Briten „Jemma Thripp's on fire" - in Anlehnung an „Will Grigg's on fire", der Song der Nordiren bei der Fußball-Europameisterschaft in Frankreich. Und nur einige wenige tragen Kleidung mit Harry-Potter-Anspielungen wie beispielsweise drei junge Frauen in Pullovern mit dem Wappen von Potters Schulhaus, Gryffindor.


„Klar sind wir Exoten. Aber wir betreiben hier einen gemischt-geschlechtlichen Vollkontakt-Sport. Und wer einmal richtig getackelt wurde, der macht sich nicht mehr über Quidditch lustig", sagt Cyrannek. Die Jäger versuchen den „Quaffle", einen nur sporadisch mit Luft vollgepumpten Volleyball, durch die drei Ringe, die Tore der Gegner, zu befördern und bekommen dabei die meisten körperlichen Attacken der sieben Feldspieler pro Team ab. Mit gleichfalls wuchtigen wie präzisen Grifftechniken, abgeleitet aus den Sportarten Rugby und Ringen, werden die ballführenden Spieler in Nähe der „Hoops", der Tor-Ringe, attackiert.

Für einen Treffer gibt es zehn Punkte. Wenn ein Jäger trotz harter Tacklings nicht vom Quaffle zu trennen ist, gibt es noch die Treiber: Sie sind im Besitz des „Bludgers", ein Kunststoffball, der beim amerikanischen Sport Dodgeball zum Einsatz kommt, und dürfen mit diesem die Jäger abwerfen. Vom Bludger getroffene müssen zurück zu den eigenen Tor-Ringen am anderen Ende des Feldes, bevor sie wieder angreifen dürfen. „Das kann schon richtig auf der Haut brennen, wenn man den abbekommt", weiß Cyrannek aus eigener Erfahrung - sie spielt auf der Jäger-Position.


Die heftigsten Treiber der Quidditch-WM in Frankfurt dürften wohl die Amerikaner gewesen sein: Aus nächster Nähe donnerte einer von ihnen den Dodgeball mit einem Schlagwurf auf die Gegenspieler. Nach 18 Minuten kommt der Schnatzträger auf das Spielfeld. Auf der Hinterseite seines Hosenbundes befindet sich der Schnatz, ein Tennisball, der sich in einer Socke befindet. Die Sucher der Teams müssen versuchen, dem komplett in goldgelb gekleideten Schnatzträger die Socke vom Klettverschluss der Hose zu reißen - ein durchaus schweres Unterfangen, betrachtet man Wesley Mackie, den Schnatzträger vom Spiel Deutschland-Norwegen: Ein gut 1,90 Meter großer, über 100 Kilogramm schwerer Athlet, der die Sucher im Stile eines Wrestlers wegstößt und umwirft.


Hart zu erkämpfende 30 Punkte für den Schnatz, die zudem das Spiel beenden. Während die Spieler auf dem Feld all die Aufgaben der verschiedenen Positionen ausüben, müssen sie die von der International Quidditch Association (IQA) bereitgestellten roten PVC-Stangen, die Besen, zwischen ihren Beinen halten. Verliert ein Spieler seinen Besen, muss er direkt zurück zu den eigenen Tor-Ringen, erst danach darf er weiterspielen.


Das Besondere an Quidditch ist für Cyrannek neben dem Sportlichen „die Community hinten dran: Egal zu welchem Quidditch-Turnier du fährst, du wirst immer freundschaftlich aufgenommen." Nach den beiden Testspielen des deutschen Nationalteams vom vergangenen Freitag gegen Frankreich und Australien „haben beide Mannschaften uns sogar Tipps gegeben, wie wir uns weiter verbessern können." Für Deutschland reichte es bei der Heim-Weltmeisterschaft vom vergangenen Wochenende zum 11. Platz. Das Finale bestritten wie bei der zurückliegenden WM vor zwei Jahren Amerika und Australien. Die Mannschaft aus Down Under setzte sich dieses Mal 150:130 durch, Und fügte dem haushohen Favoriten die erste Niederlage überhaupt zu. James Hicks' Halb-Profis wurden von den „Dropbears", den australischen Wolpertingern, entzaubert - aber auf sportlichem Wege.


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