Der Waschbär kommt aus der Fremde und vermehrt sich in Europa rasant. Jetzt soll er ausgerottet werden.
DATUM Ausgabe Februar 2020
Die einen sagen, dass die Gesichtszeichnung des Waschbären, Procyon lotor, an eine Einbrechermaske erinnert. Das tückische Wildtier entkommt aus jedem Gehege, wehrt sich mit Zähnen und Krallen, wenn es in der Falle sitzt. In Mitteldeutschland löst der invasive Allesfresser bereits chaotische Zustände in der Vorstadt aus, volle Mülltonnen und satte Komposthaufen ziehen ihn an. Er überträgt Krankheiten, vermehrt sich rasant und irritiert die heimische Fauna, plündert etwa die Gelege der gefährdeten Europäischen Sumpfschildkröte oder verstümmelt ihre Gliedmaßen.
Die anderen sagen, dass der Waschbär ein vifer Generalist ist, im 19. Jahrhundert als Pelztier aus Nordamerika eingeführt; im 20. entkamen immer wieder Tiere aus der Gefangenschaft. Nun macht er sich zunutze, dass er in Europa kaum auf natürliche Feinde - Bär, Luchs, Wolf - stößt. Dabei richtet er in heimischen Ökosystemen nur geringfügigen Schaden an, weil er, eher Sammler denn Raubtier, mit Vorliebe das frisst, was ohnehin im Überfluss vorhanden ist. Dem Jäger entzieht er sich durch sein Leben in den Baumkronen, nachtaktiv und dem Menschen nah: In der Dunkelheit kann der Waidmann kaum schießen, in besiedelten Gebieten darf er das nicht.
Wieder andere schätzen den herzigen Kleinbären als Heimtier: Handaufgezogen durften Waschbären auch in Österreich als Haustiere aufgenommen werden, bis die EU das 2015 verbot. Sie sind aufgeweckte Mitbewohner, auch wenn sie manchmal die Einrichtung ramponieren. In Gefangenschaft › waschen ‹ die Tiere ihre Nahrung (daher auch der Name), tauchen sie ins Wasser, möglicherweise, um die Futtersuche in Gewässern zu imitieren. Der Tastsinn ihrer Vorderpfoten ist derart gut ausgeprägt - sie verfügen über je fünf freistehende › Finger ‹ - ihre Zutraulichkeit bei viel Zuwendung so groß, dass man meint, es mit einem Äffchen zu tun zu haben, wenn man sie füttert oder den etwa katzengroßen Säuger in menschlicher Obhut auf YouTube sieht, wie er für ein Stück Banane brav › Männchen ‹ macht.
Keiner dieser drei Zugänge zu Waschbären ist falsch.
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