Von Oliver Jensen
Für den Weltrekord riskiert Sebastian Steudtner regelmäßig sein Leben. Der deutsche Surfer reitet die größten Wellen der Ozeane. Ein Arzt, der ihn im Notfall reanimieren könnte, ist immer dabei. Nun soll die Krönung für den 31-Jährigen folgen.
Sie ist 500.000 Tonnen schwer, 70 km/h schnell und rollt mit ihrer vollen Naturgewalt auf Sebastian Steudtner zu. Der Surfer erlebt die Momente sehr bewusst, wenn eine Mega-Welle näher und näher kommt. "Das ist so, als würde ein Berg auf mich zurasen", erzählt der 31-Jährige im Gespräch mit n-tv.de. "Dann merke ich, wie klein und unbedeutend wir Menschen sind und wie prachtvoll, groß und krass die Natur ist. Es ist ein großartiges Gefühl, daran teilhaben zu können." Steudtner ist ein sogenannter Big Wave Surfer. Er reitet die größten Wellen überhaupt. Sie haben eine Höhe von über 20 Metern und sind lebensbedrohlich. Ein klitzekleiner Moment der Unaufmerksamkeit genügt und Steudtner würde die Ideallinie verlassen, vielleicht sogar auf dem rauen Wasser das Gleichgewicht verlieren.
Fällt Steudtner ins Wasser, wird es richtig gefährlich: Die Wellen begraben ihn unter sich, ziehen ihn viele Meter unter die Wasseroberfläche. Steudtner würde unter Wasser hin- und hergeschleudert werden, die Orientierung verlieren und nicht mehr wissen, wo oben oder unten ist. 1:39 Minute wurde er schon einmal unter die Wasseroberfläche gezogen. Für einen Big Wave Surfer kein Problem: Steudtner kann bis zu fünf Minuten die Luft anhalten.
Eben so lange, bis er die Bewusstlosigkeit verliert. "Ich habe gelernt, den Atemreflex bis dahin zu unterdrücken", erzählt er. Unter Wasser muss er die Ruhe bewahren, darf nicht gegen die Welle ankämpfen - er hätte ohnehin keine Chance und würde nur unnötig Kraft verschwenden. Verliert er tatsächlich das Bewusstsein, würde sein Körper automatisch Wasser einatmen. Dann könnte er aber noch immer gerettet werden. Ein Arzt von der deutschen Marine ist immer dabei, um Steudtner notfalls zu reanimieren.
Zweimal den Surf-Oscar gewonnenDer in Nürnberg aufgewachsene Athlet hat sein ganzes Leben auf das Surfen ausgerichtet. Bereits mit 13 Jahren wollte er nach Hawaii ziehen, um die großen Wellen zu reiten. Damals konnten seine Eltern das noch verhindern. Mit 16 war allerdings kein Halten mehr. Steudtner verlegte seinen Lebensmittelpunkt auf die hawaiianische Insel Maui. Heute zählt er zu den erfolgreichsten Big Wave Surfern weltweit. Im Jahre 2015 gewann er bereits zum zweiten Mal bei den WSL Big Wave Awards in der Kategorie "Biggest Wave". Für Surfer ist das die höchste Auszeichnung. Umgangssprachlich wird auch von den "Surf-Oscars" gesprochen.
Nun hofft er, den Weltrekord für die höchste jemals abgerittene Welle gebrochen zu haben. "Die Bestmarke liegt momentan bei 23,8 Metern", weiß der Surfer. Von September bis März war Steudtner in der Welt unterwegs. Seine liebsten Surf-Gebiete befinden sich Portugal, Irland, Spanien, Südamerika und auf Hawaii. Er ist so viel auf Reisen, dass er keinen richtigen Hauptwohnsitz hat.
Mit Bildern und Videos wurden all seine Wellenritte festgehalten. Der Dachverband World Surf League (WSL) errechnet anhand dieses Materials, wer die höchsten Welle gesurft ist. Am 29. März werden die fünf Nominierungen bekannt gegeben. Am 28. April finden die WSL-Awards in der Surfer-Stadt Huntington Beach in Kalifornien statt.
Steudtner behauptet nicht, den Weltrekord gebrochen zu haben. Das gehört sich in Surfer-Kreisen nicht. Alleine schon, weil die Athleten das selber schwer beeinflussen können. Surfer sind immer vom Wetter abhängig. Bringt der Wind keine große Welle zustande, lassen sich keine Rekorde brechen. Steudtner weiß allerdings, dass in diesem Winter ein paar große "Brecher" dabei waren. "Ich bin mir relativ sicher, dass meine größte Welle größer war als die von 2015", sagt er. Damals wurde bereits eine Höhe von 21,64 Metern gemessen. Der Weltrekord ist also nicht weit.
Surfen ist TeamsportFür Außenstehende mag es so wirken, als wären Surfer Einzelsportler. Steudtner allerdings behauptet: "Surfen ist ein Teamsport." Zwei Jetski-Fahrer begleiten ihn auf dem Wasser. Einer zieht ihn in die Welle, der andere ist für die Sicherheit zuständig. Am Land steht ein weiterer Mitarbeiter, der per Funk mit den Jetski-Fahrern verbunden ist und darüber informiert, welche Welle die beste ist. Vom Wasser aus lässt sich das nicht beurteilen. Und dann wäre da noch das Produktionsteam, welches den Wellenritt aufzeichnet. Befindet sich Steudtner nicht auf dem Wasser, arbeitet er mit einem Personal-Trainer an seiner Fitness.
Mehr zum ThemaFrüher musste sich Steudtner das Surfen mit Nebenjobs finanzieren, arbeitete zum Beispiel als Bauarbeiter. Heute verdient er durch Sponsoren, Vorträge und den Verkauf von Filmen und Fotos genügend Geld. Als reich würde er sich allerdings nicht bezeichnen. Von den Einnahmen des amtierenden Surf-Weltmeisters John John Florence, der rund drei Millionen Dollar im Jahr verdienen soll, ist er noch weit entfernt. Das liegt nicht zuletzt an der Disziplin. "Das normale Wellenreiten bietet mit den vielen Weltcups ganz andere Vermarktungsmöglichkeiten", erzählt Steudtner. "Viele Sportartikelhersteller fördern den Sport, weil sie ihre Produkte verkaufen wollen. Diesen Markt gibt es beim Big Wave Surfen nicht. Daher ist etwas Kreativität gefordert, um sich gut zu vermarkten."
Sollte er wirklich den Weltrekord gebrochen haben, dürfte das ein Selbstläufer sein.
Quelle: n-tv.de