Warum haben junge Menschen mehr Angst vor Corona als ältere? Angstforscher Peter Zwanzger über Sorgen in der Pandemie und wie man mit ihnen umgeht
Die Corona-Pandemie verunsichert: Habe ich mich angesteckt? Kommt der zweite Lockdown? Und wenn ja, wie werden meine Angehörigen und ich selbst ihn möglichst unbeschadet überstehen? Der Angstforscher und Chefarzt in der Psychosomatik am kbo-Inn-Salzach-Klinikum Peter Zwanzger hat mit uns über die Angst vor Covid-19 gesprochen - und Tipps gegeben, was dagegen hilft.
ZEIT Campus ONLINE: Herr Zwanzger, laut ARD-Deutschlandtrend hat aktuell fast jeder zweite Deutsche unter 40 Jahren Sorge, sich mit Corona anzustecken - bei den über 65-Jährigen sind es nur 29 Prozent. Überraschen Sie diese Zahlen?
Peter Zwanzger: Nein, aber auf den ersten Blick wirkt das natürlich paradox, weil gerade die Älteren potenziell zur Risikogruppe gehören. Zum einen kann man davon ausgehen, dass das Ergebnis durch die Fragestellung leicht verzerrt wird: Ältere Menschen machen sich allgemein mehr Sorgen um ihre Gesundheit als jüngere. Zum anderen haben wir aber auch folgende Beobachtung gemacht: Ältere Menschen sind oft vorsichtiger und glauben aufgrund ihrer Lebenserfahrung, dass sie sich besser gegen Corona schützen können
ZEIT Campus ONLINE: Warum haben jüngere Menschen mehr Angst vor Corona?
Zwanzger: Bei den Jüngeren spielt nicht nur die Angst eine Rolle, durch Corona krank zu werden und möglicherweise körperliche Schäden davonzutragen. Sondern auch Ängste wie: Kann ich meine Ausbildung jetzt weitermachen? Finde ich trotz Corona eine Lehrstelle? Wird das Abitur stattfinden? Wird die Schule ausfallen? Auch soziale Komponenten sind ein großer Teil der Sorgen: Kann ich meine Freunde, meine Partnerin oder meinen Partner treffen? Und habe ich noch Freizeit?
ZEIT Campus ONLINE: Allein für das Aussprechen dieser vermeintlich unwichtigen Sorgen müssen sich viele Menschen derzeit rechtfertigen. Zuletzt ist eine junge Frau in einen Shitstorm geraten, nachdem sie in einem ZDF-Interview zugegeben hatte, dass sie Partys vermisse. Müssen sich junge Menschen zu Recht dafür erklären?
Zwanzger: Die Pandemie ist für Menschen unter 30 eine große Herausforderung. Aber je älter man wird, umso mehr Distanz hat man zum Jugendalter. Vielleicht sollten sich die Kritikerinnen zurückerinnern an ihre Zeit mit 15, 20, 25 Jahren. Damals war man sozial viel aktiver, hat verschiedene Leute getroffen, ist ausgegangen. All das bricht durch Corona seit Monaten weg. Es fällt leicht, zu sagen: "Mein Gott, die jungen Menschen sollen sich jetzt mal zusammenreißen und nichts unternehmen!" Aber gerade das macht die Jugend aus.
ZEIT Campus ONLINE: Die Begriffe Angst, Angsterkrankung und Sorge werden oft synonym verwendet. Können Sie den Unterschied erklären?
Zwanzger: Zunächst einmal: Angst ist lebensnotwendig, denn sie schützt uns vor Gefahren. Sie wird erst dann krankhaft, wenn sie zu lange, zu stark und zu oft auftritt oder in Situationen, in denen gar keine Gefahr existiert. Angst ist aber auch ein Oberbegriff für eine Basisemotion, die sich aus mehreren Komponenten zusammensetzt. Da wäre zum Beispiel die physische Angst - dazu gehört Herzklopfen, Schwitzen, Nervosität, Anspannung, Kopfschmerzen, Magenschmerzen und das Gefühl des Unkontrollierbaren. Sorgen sind gedanklich beeinträchtigende Ängste, die uns dauerhaft quälen. Sorge vor Krankheit, Sorge um den Arbeitsplatzverlust und um die Familie zum Beispiel. Wenn wir diese Sorgen nicht mehr abschalten können, spricht man von krankhaften Sorgen und dementsprechend von einer Angsterkrankung.