Um gegen die Arbeitsmarktreform von Präsident Emmanuel Macron zu demonstrieren, gingen Hunderttausende Menschen in Frankreich auf die Straße. Was denken junge Franzosen über die Reformen?
Wenn Frankreich demonstriert, dann richtig. Mehr als 200.000 Menschen gingen im ganzen Land auf die Straße, um ihren Frust über die geplante Arbeitsmarktreform von Präsident Emmanuel Macron rauszuschreien oder zu -pfeifen. Was die Franzosen stört?
Die Reform soll Unternehmen erleichtern, ihren Mitarbeitern zu kündigen. Und wer entlassen wird, dessen Entschädigung soll künftig begrenzt werden. Das Ziel: die Wirtschaft in Gang bringen und die Arbeitslosenquote von 9,8 Prozent senken.
Allein in Paris versammelten sich nach Angaben der Polizei 24.000 Franzosen, um zu protestieren. Die Gewerkschaften zählten 60.000 Teilnehmer. Dienstag am Place de la Bastille: Die Demonstration in der Hauptstadt beginnt an jenem Ort, wo französische Bürger im Jahr der Revolution 1789 das Anwesen des Königs stürmten. Heute geht es gegen den Präsidenten, Emmanuel Macron.
Ein Gewerkschaftswagen reiht sich hinter den nächsten, ein älterer Mann ruft rhythmische Parolen in sein Megafon: „Anordnungen von Macron? Macron wird angewiesen!“ Zwischen den Kundgebungen singen die Teilnehmer die „Internationale“, ein Kampflied der Arbeiterbewegung. Konfettikanonen fahren auf. Bunt geschminkte Clowns und Tänzer sorgen für eine Stimmung wie auf dem Jahrmarkt.
In den vordersten Reihen kommt es zwar vereinzelt zu Konflikten zwischen Demonstranten und Polizei, es werden 13 Teilnehmer festgenommen. Kein Vergleich jedoch zu den Bildern von gewalttätigen Ausschreitungen unter Macrons Vorgänger François Hollande.
Auch wenn die Stimmung nicht aggressiv ist gibt es dennoch viele Franzosen, die sich über die Reformen empören. Grüppchen junger Menschen schlängeln sich durch die Massen, manche in maskierter Antifa-Manier, andere im Pariser Chic. Für sie geht es um ihre Zukunft und die Frage: Wie werde ich in ein paar Jahren auf dem Arbeitsmarkt zurechtkommen? Wir haben vier junge Pariser gefragt, was sie auf die Straße treibt.
Eva, 27: „Ich werde nie einen sicheren Job finden“
„Vor drei Jahren habe ich mein Psychologiestudium abgeschlossen. Seitdem habe ich nur mit befristeten Verträgen gearbeitet. Jetzt will Macron mit seiner Reform die Regeln für unbefristete Verträge aufweichen.
Arbeitgeber könnten demnächst befristete Verträge anbieten, die problemlos vorher kündbar sind, wenn beispielsweise ein Projekt früher endet als geplant. Für mich bedeutet das: Ich werde vielleicht nie einen Job finden, der mir mehr Sicherheit verspricht.
Ich liebe meine Arbeit, aber trotzdem ist es hart, auf grundlegende Sicherheit verzichten zu müssen. Wenn ich bedenke, wie viele junge Leute sich in einer ähnlichen Situation befinden, ist die Demo enttäuschend klein. Ich mache zurzeit eine Weiterbildung und ich war die einzige Person aus meiner Klasse, die heute auf die Straße gegangen ist.“
Naej, 18: „Ich helfe dem Schwarzen Block“
„Ich habe zwar noch etwas Zeit, bis ich mich auf dem Arbeitsmarkt behaupten muss, aber die Reformen betreffen mich trotzdem: Seit diesem Semester wurde das monatliche Wohngeld für Studenten um fünf Euro gekürzt. Es ist ohnehin unglaublich schwierig, in Paris eine bezahlbare Wohnung zu finden. Und die Mieten steigen weiter. Ich ziehe zurzeit ständig um, weil ich noch auf der Suche nach einem Zimmer bin.
Auch wenn ich mich von jeder Gewalt distanziere verstehe ich es, wenn sich bei manchen Demonstranten die Frustration in Aggression verwandelt. Deshalb solidarisiere ich mich mit dem schwarzen Block, indem ich mich maskiere.“
Eloise, 25: „Das ist erst der Anfang!“
„Ich bin Mitglied der Organisation Genepi, die sich für bessere Arbeitsbedingungen von Häftlingen einsetzt. Die Häftlinge haben kaum Rechte bei ihrer Arbeit. Heute bin ich auf die Straße gegangen, um zu verhindern, dass demnächst alle Franzosen so schlechte Arbeitsbedingungen wie in Gefängnissen haben.
Da ich hauptsächlich für soziale Organisationen arbeite, unterstützt mich der Staat beim Gehalt. Macron will diese Unterstützung verringern, dadurch müssten viele Vereine und Gruppierungen ihre soziale Arbeit erheblich einschränken.
Wir sind zwar heute viele Menschen, aber mit fehlt der Geist einer starken Bewegung. Ein langer Streik könnte die Regierung vielleicht noch umstimmen. Es wird noch einige Demonstrationen und Aktionen geben, das ist erst der Anfang.“
Jeanne, 36: „Wir müssen erhalten, was vorherige Generationen erreicht haben“
„Als Infografikerin arbeite ich in unterschiedlichen Kino-Projekten, in den Phasen dazwischen kann ich als freischaffende Künstlerin Geld vom Staat bekommen. Ich bin darauf angewiesen und fürchte jetzt, dass bei den Arbeitsmarktreformen auch diese Absicherung gekürzt wird.
Wir müssen uns engagieren, um die Errungenschaften früherer Generationen zu erhalten. Bei der Präsidentschaftswahl habe ich den linken Kandidaten Jean-Luc Mélenchon unterstützt. Jetzt hoffe ich, dass es viele Menschen auf die Straße zieht, unabhängig von Parteien. Es ist schön zu sehen, dass die Demonstration groß und trotzdem sehr friedlich ist.“
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