Ohne Kenntnisse der ostasiatischen Kultur wird manches harmlose Geschäftsessen zum Desaster. Die Kluft zwischen den Mentalitäten wird bei Auslandsgeschäften trotzdem oft unterschätzt. Geisteswissenschaftler helfen, kulturelle Fallstricke zu umgehen.
DÜSSELDORF. Wer in China investiert, muss vor allem mit einem rechnen: dem Verlust seines geistigen Eigentums. Einschlägige China-Erfahrungen haben illustre Namen der deutschen Industrie gemacht: der Siemens-Konzern, der nach einigen Produktionsjahren dort nun Straßenbahnen antrifft, die den eigenen verdächtig ähnlich sind; Thyssen-Krupp, das in Schanghai auf dem Universitätsgelände ein optisches Double seines Transrapids begutachten kann. Und dazu gehört auch Daimler-Chrysler, dessen Smart plötzlich als Elektroauto-Doppelgänger aus chinesischer Fertigung kam.
Erleichtert wird die Produktpiraterie durch die Regel der chinesischen Regierung, ausländische Investitionen nur im Joint Venture mit einem chinesischen Geschäftspartner zu gestatten. Aber die eigentliche Ursache liegt tiefer in der chinesischen Kultur: in der konfuzianischen Auffassung von der perfekten Imitation als höchster Form der Kunst. So wie in China die Meister in Malerei und Dichtkunst den Pinsel- und Zungenschlag der alten Meister zu treffen suchten, so bauen chinesische Ingenieure heute das nach, was ihnen als Inbegriff technischer Qualität gilt: Produkte made in Germany. Sinologen hatten das Plagiatsdesaster bereits vor Jahren prophezeit.
„Wenn Unternehmen erfolgreich auf dem globalen Markt agieren wollen, müssen sie mit unterschiedlichen Landeskulturen zurechtkommen", sagt Alois Moosmüller, Professor für interkulturelle Kommunikation an der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität. Für den aktuellen Sammelband „Internationales Risikomanagement" (Oldenbourg Verlag, 2009) hat Moosmüller untersucht, welche Tücken bei internationalen Geschäften lauern können. Er gehört zum Forschungsverbund transnationale Netzwerke, der die Risiken internationaler Wirtschaftskooperationen messbar zu machen sucht. In dem Verbund arbeiten nicht nur Ökonomen, sondern auch Kulturwissenschaftler und Psychologen mit. Denn die Kluft der Kulturen ist eines der größten - und im Allgemeinen unterschätzten - Risiken bei Auslandsgeschäften.
So berichtet Moosmüller von den Angestellten einer deutschen Firma, bei deren koreanischen Kunden Probleme mit dem Produkt aufgetreten waren. Um eine Lösung zu finden, schickten die Mittelständler drei Mitarbeiter zu dem Kunden, die zwar hervorragend mit dem Produkt, aber überhaupt nicht mit dem Fernen Osten vertraut waren. Das Gespräch endete abrupt: „Der koreanische Verhandlungsführer wird dunkelrot und brüllt den Deutschen an", sagt Moosmüller.
Den Wutanfall ausgelöst hatte eine simple Gegenfrage: Als die Koreaner mehr Details zu wissen verlangt hatten, wollten die Deutschen erst einmal wissen, warum. Der kulturelle Fallstrick an der vermeintlich „normalen" Situation: Die koreanische Gesellschaft ist streng hierarchisch. Und so wie Männer erwarten, von ihren Frauen zurückhaltend umsorgt zu werden, so erwartet ein Kunde von einem Lieferanten ein sichtbares Maß dienstfertiger Unterwürfigkeit. „Die Deutschen gingen ganz selbstverständlich davon aus, mit dem Kunden auf gleicher Augenhöhe diskutieren zu können", sagt Moosmüller. „In Korea wäre aber ein devotes Verhalten normal gewesen. Was die Deutschen taten, wirkte auf die Koreaner anmaßend, völlig ungebührlich."
Eine fremde Kultur wird immer dann, so Moosmüller, zu einem unternehmerischen Risikofaktor, wenn man wenig über sie weiß. Beide Parteien gingen davon aus, dass ihr Empfinden der Situation das einzig richtige sein müsse. Niemand dachte darüber nach, dass „normal" eben keine feste Größe ist, sondern in jeder menschlichen Gesellschaft anders justiert wird. Sozialwissenschaftler sprechen bei dieser sehr menschlichen Neigung, die eigenen Normen über die anderer zu stellen, von „Ethnozentrismus". Dieser scheint eine Art unbewusster Reflex zu sein, der sich automatisch einstellt, wenn unterschiedliche Kulturen aufeinandertreffen. Er ist vielleicht die größte Barriere interkultureller Geschäfte.
Der Kommunikationswissenschaftler Moosmüller glaubt, dass gerade auch unternehmerisches Handeln entscheidend davon beeinflusst wird, aus welchem Kulturkreis der Handelnde stammt. „Kultur strukturiert das Wahrnehmen, Denken, Fühlen und sorgt gleichzeitig dafür, dass ebendies nicht zu Bewusstsein kommt", sagt er. Er glaubt, dass viele Unternehmen ihre Auslandsgeschäfte gefährden, indem sie die ethnozentrische Einstellung ihrer Mitarbeiter ignorieren.
„Internationale Erfahrungen führen nicht automatisch zur Entwicklung interkultureller Kompetenz", sagt er. Stattdessen könne sich die Ablehnung einer anderen Kultur durch unvorbereiteten Kontakt verstärken - und dazu führen, dass der Mitarbeiter bei den ausländischen Kunden mehr schadet als nützt.
Erika Spieß, Wirtschaftspsychologin an der Ludwig-Maximilians-Universität, untersucht solche Kulturschockphänomene. „In China sind die kulturellen Unterschiede eindeutig das größte Geschäftsrisiko", sagt Spieß. „Die meisten Entsendeten beschreiben Chinesen als berechnende Menschen, die nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht wären. Eine derart negative Einstellung gefährdet das Unternehmensziel, weil man so keine Netzwerke knüpfen wird." Vor allem die Art, wie Beziehungen offen ausgenutzt werden, löst bei ungeschulten Mitarbeitern starke Ablehnung, sogar Abscheu aus - sie rührt an westliche Tabus.
So erzählte ein deutscher Manager bestürzt, wie er sich zunächst freute, von seinem chinesischen Kollegen so schnell nach Hause eingeladen zu werden. Einige Tage später kam für ihn das „böse Erwachen": Er wurde gebeten, das Studium der Tochter in Deutschland zu finanzieren. „Eigentlich war diese Bitte ein Zeichen, dass der Entsandte sich in kürzester Zeit hervorragend in die chinesische Gesellschaft integriert hatte, die große Chance", sagt Spieß. Chinesen, sagt sie, fühlten sich ihren interpersonellen Netzwerken nicht nur verpflichtet, sie forderten von ihnen auch die Einlösung von Verpflichtungen, wenn sie es ernst damit meinen. Gerade auch finanzielle Unterstützung, hierzulande verpönt, gehört in diesen „Leistungskatalog" - mit dem Geld von Freunden wurden schon ganze Schanghaier Wirtschaftsimperien begründet.
Spieß rät, sich auf das Spiel einzulassen: Meistens sind es ja keine Alimente für studierende Töchter, sondern kleine Gefälligkeiten, die von frischen Bekannten eingefordert werden. Würde man es als das sehen, was es von chinesischer Seite ist - ein Angebot, eine wechselseitig nutzbringende Beziehung einzugehen -, dann könnte man so ganz leicht die Basis für wirtschaftlichen Erfolg im Gastland begründen. „Hilft man einem chinesischen Kollegen, so wird er sich ebenfalls verpflichtet fühlen und sich bei nächster Gelegenheit revanchieren", sagt Spieß.
Ullrich Günther erforscht in Lüneburg internationale Wirtschaftspsychologie. Auch aus seiner Sicht ist in Fernost die Frage entscheidend, in welchem Umfang man das Vertrauen der Geschäftspartner gewinnen kann. „In asiatischen Ländern stehen nicht die Sachinhalte an erster Stelle im unternehmerischen Umgang, sondern die persönlichen Beziehungen", sagt er. Verträge seien dort nichts Verbindliches und Dauerhaftes, sondern eher ein Handlungsvorschlag, der jederzeit neu ausgehandelt werden könne. „Auf diese Weise wurden die japanischen Autobauer so erfolgreich: Wenn sich die Weltmarktsituation ändert, gehen sie zu ihren Lieferanten und handeln neue, aktuell passendere Bedingungen aus", sagt er. „Während sich deutsche Firmen darüber ärgern, dass der alte Vertrag nicht zu den neuen Gegebenheiten passt."
Irritationen entstehen leicht, weil sich asiatische Geschäftspartner oft nicht an Vertragsklauseln wie etwa Zahlungsfristen halten, weil sie sich nicht schriftlichen, sondern eher mündlichen Zusagen verpflichtet fühlen. Deutsche halten diese Partner dann meist für unzuverlässig.
„Wer im Ausland Geschäfte machen will, der muss es einfach aushalten können, dass dort die Dinge anders sind", sagt Günther. „Nicht besser, nicht schlechter, einfach anders. Dafür ist nicht jeder Mensch von vornherein gemacht. Aber die meisten Menschen können das ganz gut lernen."