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Erneuerbare Energie in Großbritannien

In den schottischen Borders stehen viele Windkraftanlagen

Der Wind kommt in Großbritannien meist aus Westen. Er fegt über die Irische See, treibt die Turbinen der Windanlagen an der schottischen Westküste an, dreht die Rotoren von London Array, dem Vorzeigeprojekt der britischen Offshore-Windindustrie in der Themse-Mündung. Demnächst sollen sich noch viel mehr Räder bewegen, gewaltige Propeller, die größten Meereswindkraftanlagen der Welt. Gerade hat die Regierung in London den Startschuss für den Bau gegeben. Bis zu 6000 Turbinen sollen sich in wenigen Jahren in den britischen Gewässern drehen und rund 25 Millionen Haushalte mit Strom versorgen. Investitionsvolumen: knapp 100 Mrd. Pfund.

 

Der Wind soll Großbritanniens fragwürdige Ökobilanz retten: Gerade einmal 5,5 Prozent des Stroms stammen heute aus erneuerbaren Ernergiequellen. 30 Prozent sollen es bis 2020 sein. Durch seine Lage hat Großbritannien eigentlich eine natürliche Vorreiterposition, aber die Briten haben sie bisher kaum genutzt. Das soll sich nun ändern - schnell und gewaltig. Energiekonzerne wie Eon, RWE und Vattenfall werden den Inselstaat in den kommenden Jahren an die Spitze der Windkraftproduzenten katapultieren. "Seit der Entdeckung des Nordseeöls ist es das größte Energieinfrastrukturprojekt, das Großbritannien gesehen hat", sagt Manfred Hader, Energieexperte bei Roland Berger.

Einer der Menschen, die das Megaprojekt angeschoben haben, ist Adrian Fox. Er sitzt an einem Konferenztisch in einer ruhigen Seitenstraße nahe der Einkaufsmeile Regent Street in London. Hier hat Crown Estate seinen Sitz, ein nüchterner Neubau. Königlich ist hier gar nichts, obwohl Crown Estate der Landverwalter der Krone mit reichlich Tradition ist. Der Kaffee wird in Pappbechern serviert und ist kalt. Fox arbeitet als Projektmanager. Er soll dafür sorgen, dass es nach dem Zuschlag rasch losgeht mit dem Bau der Windkraftanlagen. In wenigen Tagen beginnt eine große Roadshow für die Zuliefererfirmen der Branche. Fox ist in seinem Stuhl ganz nach hinten gerutscht, so als wolle er manchen Fragen ausweichen. Er lässt sich nicht gern in die Karten schauen. Dabei gäbe es so viel zu erzählen.

 

Warum zum Beispiel ausgerechnet die Institution Crown Estate, die bisweilen durch eher skurrile Aktionen von sich reden macht, hinter dem Offshore-Prestigeprojekt steckt. Vergangenen Herbst etwa haben die königlichen Landverwalter auf einer Gartenschau den dicksten Kürbis aus Britanniens Gärten präsentiert, und neulich organisierte die Organisation einen Wettbewerb im Bäumeschnellpflanzen.

Dass sich in diesen Tagen alles um Crown Estate dreht, ist eine Laune der Geschichte: Die Einrichtung zählt mit einem Portfolio im Wert von rund 6 Mrd. Pfund zu den größten Immobilienbesitzern des Landes und erwirtschaftete zuletzt einen Jahresgewinn von mehr als 220 Mio. Pfund, der in die Staatskasse von Finanzminister Alistair Darling floss. Die Institution verwaltet fast alle königlichen Ländereien. Das liegt an Wilhelm dem Eroberer. Der segelte im Jahr 1066 von Frankreich nach England und verfügte, dass das gesamte Land der Krone gehöre. Zwar gibt sich die amtierende Regentin Queen Elizabeth II. mit einer jährlichen Apanage zufrieden, doch noch immer gibt es jede Menge königliche Ländereien, die verwaltet werden müssen.

Und so managt Crown Estate die Rennstrecke in Ascot und den Schlosspark in Windsor. Dem Landverwalter gehören die Rechte für den Lachsfang in Schottland und die Schürfrechte für eine Goldmine in Nordirland. Vor allem aber gehört ihm die Zwölf-Meilen-Zone vor der britischen Küste, die jetzt an Bedeutung gewinnt. Dort ist das Wasser nicht tiefer als 30 oder 40 Meter, sodass sich Windräder ohne allzu hohen technischen und finanziellen Aufwand aufstellen lassen.

 

Diese Institution also soll die Briten in Sachen erneuerbare Energien ins 21. Jahrhundert führen. Und das möglichst schnell. Die Regierung steht unter Zeitdruck, denn die Briten sorgen sich - nicht unberechtigt -, dass bei ihnen bald die Lichter ausgehen könnten. Premierministerin Margaret Thatcher hatte den Energiesektor in den 80er-Jahren zwar privatisiert und umfassend umstrukturiert. Seitdem wurde in den Sektor allerdings kaum noch investiert. Inzwischen sind viele Atom- und Kohlekraftwerke veraltet, einige stehen vor der Schließung. Zudem geht das Öl in der Nordsee zur Neige, und die EU macht strenge Umweltauflagen.

 

Mit der Climate Change Bill hat die Regierung unter Premier Gordon Brown zwar einen ehrgeizigen Plan ausgearbeitet und brüstet sich gern, das weltweit erste Gesetz geschaffen zu haben, das eine deutliche Reduzierung der CO2-Emissionen vorsieht. Doch selbst Regierungsberater geben zu, dass noch viel passieren muss, wenn das Gesetz mehr sein soll als bedrucktes Papier. Die Regierung sucht daher nach einem neuen Energiemix, der einerseits eine gleichmäßiges Stromangebot garantiert und andererseits möglichst sauber ist. Windenergie soll dabei die zentrale Rolle spielen.

Für Crown Estate bedeutet dies: Die traditionsreiche Institution muss sich neu erfinden. So waren zahlreiche Vorbereitungen erforderlich, um Konzerne wie Eon, RWE Npower und Siemens für die Lizenzen zu begeistern. Damit den Unternehmen beim Bau der Anlagen niemand etwa aus Umweltschutzrechtlichen Gründen in die Quere kommt, haben die königlichen Verwalter Fachverbände und Biologen konsultiert und den Meeresgrund von Geologen untersuchen lassen. "Wir haben sehr viel Vorarbeit geleistet", sagt Fox.

Das spart den Konsortien Zeit und Geld, lässt Crown Estate aber auch in eine neue Rolle schlüpfen. Auch wenn es offiziell noch niemand sagt, dürfte Crown Estate in Zukunft den Anspruch haben, nicht nur Lizenzen zu vergeben, sondern auch bei der Gestaltung der Projekte mitzureden. "Wir haben unser eigenes Geld in die Vorbereitung der Lizenzrunde gesteckt", sagt Fox. "Das bedeutet, dass wir die Windparks mitentwickeln und dabei auch unsere eigenen Vorstellungen einbringen können."

400 Menschen arbeiten für Crown Estate, rund 60 für die Offshore-Projekte - eine verschwindend geringe Zahl. Bei Eon beschäftigen sich Hunderte Mitarbeiter mit dem Thema Windkraft. Aber der königliche Landverwalter hat einige Trümpfe in der Hand. Er hat ein weit reichendes Netz an Regierungsstellen und Behörden an seiner Seite, seit dem vergangenen Juli ist eine vierköpfige Expertenrunde aus Bankern und Private-Equity-Experten mit im Boot. Zudem haben die Mitarbeiter inzwischen reichlich Kontakte in die Energiebranche geknüpft und - wo es ging - Experten aus der Industrie abgeworben. Das Institut hat zwar den Ruf, etwas behäbig zu sein, aber die Mitarbeiter sind auch Tüftler, Pedanten, die sich in mühevoller Kleinstarbeit viel Expertise angeeignet haben.

 

Die Investoren für die neuen Windparks stehen seit dem Wochenende fest. Noch spannender wird in den kommenden Monaten sein, wer die vielen Folgeaufträge ergattert. "Das Potenzial für Offshore-Windparks ist riesig - allein in Europa liegt es bei bis zu 70.000 Megawatt", sagt Andreas Nauen, Chef der Siemens Wind Power.

Energieexperten bezweifeln allerdings, dass die Windturbinen sich so schnell drehen wie gehofft. "Ich will hier niemandem die Party verderben, weil das ein gigantischer Sprung nach vorn ist", sagt Eddie O'Connor, Chef des Energieunternehmens Mainstream Renewable Power. Aber das bestehende Netz, das den Strom vom Meer in die Ballungsräume schaffen soll, sei für das Vorhaben "komplett ungeeignet".

Zudem fürchten die Briten, dass der Boom an den heimischen Herstellern vorbeigeht. "Es gibt nur eine sehr beschränkte heimische Windkraftanlagenherstellung in Großbritannien", sagt Azad Camyab, Energieexperte bei dem niederländischen Beratungsunternehmen Kema. Die 175 Windräder für das Prestigeprojekt London Array lieferte keine britische Firma, sondern Siemens. Mit Schrecken reagierte die Branche, als im vergangenen Sommer der dänische Windanlagenbauer Vestas seine wenige Jahre alte Produktion auf der Isle of Wight wieder dichtmachte.

Fox wischt diese Kritik beiseite - und schmiedet in Gedanken schon die nächsten Pläne. Er holt eine große Nordseekarte hervor und fährt mit dem Finger über das Blau. "Hier, sehen Sie. Das ist doch eine einzige große Ressource!"

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