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Wenn die deutschen Nazis kommen

Neonazis sollen gleich durch seine Stadt marschieren. Jiří Kolek will etwas dagegen tun. Noch wartet er auf der Bank in der Fußgängerzone im tschechischen Karlsbad, der Stadt der Heilquellen. Bei sich hat er eine Tüte mit einem Kostüm aus Bettlaken. Damit will Kolek, ein besonnener Stadt- und Bezirksabgeordneter, die Gegendemonstration anführen.

Die Neonazis haben gehofft, dass sie hier ungestört marschieren können. Dafür reisten sie extra von Deutschland nach Tschechien. Eine Rechtsextremisten-Demo in Karlsbad, das findet Kolek schlimm. Und auch noch durch das Kurviertel, das Aushängeschild der Stadt. Schlimm auch, dass der Bürgermeister nicht zu den Protesten kommt. "Das ist doch seine Pflicht", sagt Kolek.

Im Kurviertel warten schon drei Dutzend tschechische Rechtsextreme. Und dann kommen sie, die Deutschen, mit einer Stunde Verspätung. 150 Neonazis, von Trommlern angeführt. Sie halten sich streng an ihre Vorstellung eines Trauermarschs: schlichte, dunkle Kleidung, Fackeln, schwarze und dunkelgrüne Fahnen, gehalten im spitzen Winkel. Darauf die Aufschriften " Wunsiedel", der einstige Pilgerort mit dem Heß-Grab. Die dunkelgrünen Fahnen gehören zur neu gegründeten Partei Der III. Weg, einer Abspaltung der NPD.

Zu viele Gegendemonstranten

Der Grund, dass sie hier in Karlsbad aufmarschieren, liegt in Dresden. Dort versammeln sich jedes Jahr zum 13. Februar Neonazis aus ganz Deutschland, sie begehen den Jahrestag der Bombardierung der Stadt im Zweiten Weltkrieg. Doch in den letzten Jahren war das kaum möglich, zu stark waren dort die Proteste gegen die Neonazis. Vor einem Jahr kam ihr Marsch gegen das Geschrei der Gegendemonstranten keinen Meter voran.

In diesem Jahr sagten die Neonazis ihren Aufmarsch in Dresden zum Jahrestag gar komplett ab, weil die Auflagen der Behörden ihnen nicht passten. Allerdings gelang ihnen stattdessen ein Coup: Am Vorabend des Jahrestages zogen 500 Rechtsextreme durch die Innenstadt.

Dennoch: Angesichts der Gegendemonstrationen sahen sich die Neonazis nach alternativen Städten für ihre Aufmärsche um. Tschechien eignet sich gut, denn es gibt Kontakte zum dortigen Kameradschaftsmilieu. Letztes Jahr hatten Mitglieder des Neonazi-Netzwerks Freies Netz Süd nach dem desaströsen 13.2. kurzfristig zum Trauermarsch unter dem Titel "Ein Licht für Dresden" in der schlesischen Industriestadt Ostrava aufgerufen, wo sie ungestört mit Fackeln marschierten.

In Karlsbad wollten sie das am Samstag wiederholen. Die Stadt war im Zweiten Weltkrieg Lazarettstadt und bekam auch Bomben ab, das passt zum Mythos des "alliierten Bombenterrors gegen die europäischen Völker" und erlaubt den ideologischen Schulterschluss mit den tschechischen Kameraden.

Demo-Aufruf via Facebook

Bürgermeister Petr Kulhánek teilt mit, er sei auf einem Außentermin. Die Demonstration sei ordnungsgemäß angemeldet worden, weiter werde er sich nicht äußern. Der Abgeordnete Kolak entgegnet: Die Stadt habe Möglichkeiten, um eine Demo zu verhindern oder Auflagen zu erteilen. "Hätten sie sich ein wenig Mühe gemacht, hätten sie sie gefunden."

Kolek rief zusammen mit Bekannten via Facebook zur Gegendemonstration auf. 134 Zusagen erhielt er. Gekommen sind aber nur 60 Bürger. Sie halten Schilder hoch, auf denen "Warsaw", " Rotterdam" und " London" steht - Städte, die von Deutschland im Zweiten Weltkrieg bombardiert wurden. Wenn die Busse aus Deutschland eintreffen, skandieren sie "Nazis raus!".

"Karlsbad ist nicht für Nazis"

Als sich die Nazis im Halbkreis aufstellen, kommt der Auftritt von Jiří Kolek. Sein Bettlaken-Kostüm hat er inzwischen angezogen. Er stellt sich auf die Bank und breitet die Arme aus. So kann man die Aufschrift auf seinem Kostüm lesen: "Karlsbad ist nicht für Nazis."

Das ist ein Fotomotiv für Dutzende Fotografen: Vorne der Kostümierte, im Hintergrund eine Trauermarsch-Formation der Nazis. Die Gegendemonstranten sind klar in der Minderheit, nach einer halben Stunde Rufen und Ausbuhen müssen sie den Fackelmarsch ziehen lassen.

Vor dem dreischiffigen Säulenbau der Mühlbrunnkolonnade bilden die Neonazis einen Kreis aus Fackeln, ihre Kundgebung "europäischer Nationalisten" beginnt. Wieder und wieder beschwören die Redner die Feuerhölle von Dresden. Es scheint, als hätte jeder Redner eine Quote für die Worte "Tote", "Volk" und "Imperialismus" zu erfüllen.

Die üblichen Verdächtigen

Für die Beobachter der Szene sind sie übliche Verdächtige: Matthias Fischer, Gründer des "Deutsch-Böhmischen Freundeskreises", einem Netzwerk tschechischer und deutscher Neonazis, mit sehr germanozentrisch angelegtem Weltbild. Dazu noch Tony Gentsch vom Freien Netz Süd, Klaus Armstroff, Ex-NPDler und Gründer des III. Weges und ein Vertreter der ungarischen Morgenröte-Partei. Auch eine Tschechin kommt auf die Bühne: Die sogenannte freie Nationalistin Lucy Šlegrová.

Die Polizei hält die Gegendemonstranten auf Abstand. Ihr Pfeifkonzert kann die Redner am Mikrofon nicht übertönen. Jiří Kolek mogelt sich heimlich in den Kreis der Fackelträger und trotzt ihnen ein letztes Mal mit seinen ausgebreiteten Armen im weißen Kostüm. Dann wird er hinausgeschoben.

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