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Reportage

"Ich kann nicht anders" - Ehrenamtliche Hebammen in Flüchtlingsunterkunft.

Autor: Michael Stadnik, Mai 2016

Zu Besuch bei einer Schafferin

„Wir schaffen das“ rief Bundeskanzlerin Angela Merkel im vergangenen August aus, ich habe nun eine Frau besucht, die das „Schaffen“ erledigt. Janine Willner, ist 35 Jahre alt, Mutter von zwei Kindern und mit Herz und Seele Hebamme. Wir treffen uns am Nachmittag bei ihr Zuhause, die Familie zieht gerade um, daher solle ich bitte die Unordnung nicht beachten, sagt sie und lacht. Unordentlich sieht es aber gar nicht aus, fein säuberlich stapeln sich die gepackten Umzugskisten im Wohnzimmer. Es zeigt sich hier eine besondere Eigenschaft von Frau Willner: Sie ist ein Organisationstalent.

Dies scheint für ihre ehrenamtliche Arbeit im Erstaufnahmelager für Flüchtlinge in Babenhausen essentiell zu sein. Dort baute sie seit November 2015 eine Sprechstunde für Schwangere auf. Unterstützung hatte sie anfangs nur von zwei Kolleginnen. Auf die Frage warum sie dieses Projekt startete, sagt sie, sie habe sich vorgestellt, wie sie sich ohne Hilfe in einem fremden Land fühlen würde. Sie wäre froh, wenn man ihr auch geholfen hätte. „Ich bin jemand, der packt an, die Überlegung war gar nicht, warum soll ich das machen, sondern warum nicht?“ Die Hebammen organisierten von Anfang alles, was sie benötigten, selbst: Spielzeug, Hygieneartikel, Vitamine, bis hin zum Labor, welches Blutproben untersuchen sollte.

Ein Netzwerk hilft
Um alles zu organisieren, greift Willner auf ihr weitgestricktes Netzwerk zurück. Sie sagt frei von der Leber weg: „Ich bin ‚the brain‘, ich kann gut organisieren und delegieren.“ Jeden Mittwoch können sich dank ihr geflüchtete Frauen untersuchen lassen. Dabei stellen die Hebammen Schwangerschaften fest, hören Herztöne ab, machen die Wochenbettbetreuung und hören auch mal den Geschichten der traumatisierten Frauen zu, wenn die Zeit es zulässt. „Wir haben kaum Zeit mit denen zu reden, denn inzwischen leben 860 Menschen im Lager und wir sehen jeden Mittwoch 14 bis 18 Frauen“, erzählt Willner. Es bleibt jedoch nicht allein bei dieser Arbeit: „Wir müssen dort auch viele administrative Aufgaben übernehmen, die Anamnese machen, Proben einschicken und manchmal auch die Schwangeren ins Krankenhaus fahren.“

Keine Hilfe vom Land Hessen
Es ist sehr viel, was die Hebammen leisten. Man merkt, dass ohne sie, sich niemand um die Schwangeren kümmern würde. Über die Zustände in der Unterkunft zeigt sich Willner zu dem schockiert. Es könne ja nicht sein, dass es anfangs gar keine Frauenärzte gab, erzählt sie. Sie ist froh, dass ihr Team inzwischen gewachsen ist und von einer Gynäkologin unterstützt wird. An den hygienischen Verhältnissen hat sich in der Unterkunft jedoch nichts geändert, die Toiletten seien sehr schmutzig und stänken. Es wären auch mehr Ärztinnen nötig. Darüber hinaus macht sich zwischen Hebammen und Ärzten eine Kluft auf, zumindest in der Wahrnehmung der zuständigen hessischen Stellen: Das Land Hessen bezahlt die Gynäkologin und das Labor, die Hebammen gehen jedoch leer aus. Auch wenn es Willner nicht ums Geld geht, sie findet es ungerecht, dass sie viel leistet, während nur die Ärzte für deren Leistung  bezahlt werden. Inzwischen hat sich Willners Team beim hessischen Gesundheitsministerium und bei der Kanzlerin beschwert. Das Ministerium wiegelt die Schilderungen der Hebammen im Antwortschreiben ab. Hebammen würden vier bis maximal sechs Tage Wochenbettbetreuung bezahlt bekommen. Dies steht konträr zu Willners Erfahrungen.
Sie ist froh, dass das Büro der Bundeskanzlerin sie bestätigt. Man scheint sich auf Landes- und Bundesebene nicht einig zu sein, was eine angemessene Versorgung Schwangerer sei.

Warum tut man sich die Arbeit an?
Bei der Frage, warum sie sich so viel Arbeit antut, kommt sie ins Schwärmen: „Als ich 15 war, habe ich ein Klinik-Praktikum gemacht und dort meine erste Geburt miterlebt“, erzählt sie und lächelt dabei, „von da an wusste ich, was ich später machen möchte.“ Inzwischen ist sie seit 15 Jahren Hebamme und hat 1126 Kindern (Stand: 22.05.2016) auf die Welt geholfen. Man merkt schnell: Hebamme zu sein, ist für Willner mehr als nur ein Beruf, es ist eine Passion. Das ist auch der Grund warum sie am Ball bleibt, andere halten die Belastung nicht durch.                                                                           
Zum Ende unseres Gesprächs stürmt ihre jüngste Tochter ins Esszimmer. Ihr sei langweilig ruft sie. „Ja“, antwortet Willner seufzend, „mir wäre auch gerne mal wieder langweilig“. Was sie dem aber hinzufügt passt gut ins Bild. „Ich bin eine Schafferin, ich kann nicht anders.“ Es ist beeindruckend was Willner und ihre Kolleginnen, trotz aller Widrigkeiten, leisten. Sie machen dies aus Selbstlosigkeit, im wahrsten Sinne. Es sind Menschen wie Willner die den Satz „Wir schaffen das“ ausfüllen.


Update: Inzwischen bezahlt das Land Hessen die Hebammen. Die allgemeine Situation hat sich im Erstaufnahmelager entspannt, da nicht mehr viele Menschen dort untergebracht sind.