Es ist nicht leicht, als mittelgroße oder selbst größere Indieband in Hamburg eine Halle auszuverkaufen. Noch schwerer ist es, das Nordlichterpublikum zu mehr als kräftigem Applaus und ein paar Woohoos zu bewegen. Wir halten es da eher mit inniger Liebe zu den Klängen im Inneren, was per se nichts Schlechtes ist. Aber es kommt dennoch bei mancher Band vielleicht mal als mangelnde Begeisterung rüber.
Diese Probleme hatten die Future Islands, die (nicht mehr ganz so) kleine Synthiepop-Sensation aus Baltimore, Maryland beileibe nicht. Viele Hamburger waren Ende Oktober gezwungen, auf Ticketbörsen ihr Glück zu versuchen - alles ausverkauft. Und auch in Sachen Zurückhaltung des Publikums durchbrachen Gerrit Welmers (Keyboads), William Cashion (Bass, Gitarre), Samuel Herring (Gesang, bionischer Hüftschwung) und Michael Lowry (Schlagzeug) die stattlichen Barrieren der Hanseaten. Die ungewohnt ungezügelte Ekstase lag natürlich zu großen Teilen an der „Herring-Show", durch die Future Islands mit Album Nummer vier, „Singles", 2014 den Durchbruch schafften.
Es brauchte nur einen Auftritt bei David Letterman und den Hit „Seasons (Waiting On You)", sodass, sagen wir mal ‚die Welt' merkte, was für eine grandiose Liveband die Future Islands sind. Und ja, auch diesen Song gab es natürlich im letzten Drittel der Setliste beim Gig im Docks auf der ollen Reeperbahn. Aber so toll und wichtig dieses Lied auch sein mag, es ist nicht ihr bestes. So schmetterte Herring schon in der ersten Viertelstunde „Time On Her Side" vom famosen aktuellen Album „The Far Field" so inbrünstig und zu mitsingenden Fans in der Halle, dass „Seasons" später fast wie eine nette Dreingabe wirkte. „Time On Her Side" ist eben so ein schmuckes Kleinod, zu dem Großstadtkids genauso schmachten wie meine Mutter, wenn es in ihrem Mp3-Mix im Auto wieder mal dran ist.
Die retro-charmanten, oft um Bass und Keyboard herum konstruierten Lieder der Islands wirken live derweil ungleich druckvoller, auch wenn das drei Viertel der Bandmitglieder eher stoisch-sympathisch herüberbringen, ohne großartige Moves oder gar Mimik. Sam Herring hingegen, neuerdings mit Bart und wie immer in schlichtem tiefrotem Hemd und perfekt strapazierfähiger Hose unterwegs, schmiss sich wie eh und je wortwörtlich in jede Songzeile. Ob er mit donnergrollender Stimme und emporgestreckter Hand imaginäre Dämonen austreibt oder Beyoncés Hüftschwung mit seinem eigenen ad Absurdum führt - irgendwie wähnt man Herring eher volltrunken in einer Karaokebar zur Musik seiner eigenen Band durchdrehend. Schon nach 15 Minuten war der 33 Jahre alte Frontmann komplett durchgeschwitzt.
Diese Energie sprang auf die Hamburger über, auch wenn es ein zugegeben einfaches Rezept ist: Herring grunzt eine sonst normal gesungene Textzeile ins Mikro - das Publikum dreht durch. Herring schmeißt seine Beine im Kasatschok von sich - das Publikum dreht durch. Herring starrt zu anhaltendem Applaus intensiv in die Masse - das Publikum ... und so weiter und so fort. Ein einziges Fest und echter Gewinn für die Band, zumal seine Ansagen zwischen den Liedern dennoch so bescheiden und überbordend freundlich sind, dass man es hier wohl mit der liebsten Indieband des Kosmos zu tun hat. Da gönnt man ihnen erst recht jeden ausverkauften Gig, auch wenn es schönere kleinere Locations für sie gegeben hätte, wie etwa das Uebel & Gefährlich, das sie bei ihrem letzten Besuch in Hamburg bespielt hatten.
Das hat aber inzwischen zu wenig Platz für das bunt gemischte Publikum. Es ist schön, wenn kreisrunder Haarsaufall direkt neben Wollmütze steht und feiert. Es ist ein Kompliment für jede Band. Das Set bestand zum Großteil aus Songs der letzten beiden Alben, bot aber auch einen großen Block und Überraschungen aus den frühen Werken, die allesamt enthusiastisch gefeiert wurden. Auch ein brandneues und noch unveröffentlichtes sowie sehr vielversprechendes Stück war dabei, ehe die Band mit „Little Dreamer" ihres Debütalbums die gut eine Stunde und 40 Minuten währende Show beendete und zufriedene Gesichter im Publikum hinterließ. Es bleibt den Männern aus Baltimore zu wünschen, dass es für sie weitergeht wie bisher - und der charismatische Bühnenwüstling Sam Herring niemals merkt, dass seine Band eigentlich Synthiepop und keinen Deathmetal spielt.