Sprachen sind sterblich. Ihr Tod kann sich über Jahrhunderte erstrecken, lang und schmerzvoll. Bis es irgendwann zu Ende geht, wenn die letzten Sprecher verstummen. Doch so schlimm ist es mit diesem Patienten von der schleswig-holsteinischen Westküste noch nicht gekommen. Im Gegenteil - es scheint sogar ein bisschen bergauf zu gehen. Beobachtern zufolge ist Friesisch nämlich jüngst wieder sehr gefragt, kann man mit dieser sehr speziellen Sprache doch im Internet kommunizieren, ohne von datenhungrigen Konzernen wie Google oder gar der NSA ausgespäht zu werden.
Soviel vorweg: Inwiefern das Austricksen der NSA tatsächlich ausschlaggebend ist, um wieder mehr Friesisch im Alltag zu benutzen, ließ sich bei dieser Recherche nicht schlussendlich klären. Fakt ist aber: Durch neue Kommunikationskanäle wie Whatsapp oder Facebook hat die alte Sprache offenbar wieder neuen Schwung gewonnen.
„Gerade geschlossene Gruppen, bei denen alle Mitglieder Friesisch sprechen, laden ja dazu ein. Da kommen dann auch Diskussionen auf Friesisch auf. Für die Sprache ist das natürlich eine große Hilfe", sagt Ilwe Boysen. In der jungen Friesisch-Community kennt sich der 30-Jährige bestens aus, bis vor Kurzem war er Vorsitzender des friesischen Jugendkulturvereins „Rökefloose", mittlerweile arbeitet er beim Kulturverband der Nordfriesen.
Die Sprache wählt er intuitiv: „Es wäre ein komisches Gefühl, mit Menschen auf Deutsch zu schreiben, die normalerweise Friesisch sprechen. Deshalb ist es für mich völlig normal, diese Sprache auch im Internet zu verwenden." Auch Sprach- und Videonachrichten seien beliebt.
Dass die Sprache überhaupt auf Online-Kanälen benutzt wird, ist ein Zeichen, dass es um ihre Vitalität noch ganz gut bestellt ist. „Hätte sie den Schritt ins Internet nicht geschafft, dann hätte das gezeigt, dass sie kurz vor dem Sarg steht", sagt Hauke Heyen, der gerade seine Master-Arbeit über Friesisch in digitalen Medien schreibt.
Dabei hat er herausgefunden, dass oft die Verschriftlichung das Problem ist. Zwar habe das Friesische eine recht einfache Orthografie, allerdings sei diese ganz anders aufgebaut als im Deutschen. „Deshalb fühlen sich da viele unsicher", erklärt der junge Wissenschaftler. „Das Fehlerpotenzial ist hoch, weshalb gerade die schriftlose Kommunikation gute Möglichkeiten bietet."
Grundsätzlich gilt: Je größer die gewünschte Reichweite, desto seltener wird die Sprache auf Facebook & Co genutzt. Deshalb sind es auch meist geschlossene Kanäle, in denen das Friesische zu Höchstformen aufläuft. Da ist zum Beispiel die Facebook-Gruppe des Friisk Foriining, bei der das Wort der Woche gekürt wird. Ilwe Boysen berichtet von regen Diskussionen, die daraufhin entfachen. Vielleicht eine Rettung für so manches Wort, was sonst so langsam aus dem Repertoire verschwinden würde.
Friesisch klingt ein wenig wie eine Mischung aus Plattdeutsch, Dänisch, Holländisch und Englisch. Und es ist ein Stück Heimat, Identität und Selbstverständnis für eine sehr überschaubare Anzahl Schleswig-Holsteiner. Genaue Zahlen sind ein Politikum, da sie immer auch mit finanziellen Zuwendungen für die Minderheit verbunden sind. So nennt der Friesenrat rund 10.000 Menschen in Nordfriesland, die im Alltag Friesisch sprechen, während Jarich Hoekstra, Professor für Frisistik an der Kieler Christian-Albrecht-Universität, von 5000 Nordfriesisch-Sprechern ausgeht. Dazu kämen noch etwa 2000 außerhalb Nordfrieslands.
Jarich Hoekstra hat übrigens einen Job, den es auf der ganzen Welt nur einmal gibt - einzig und allein in Kiel existiert eine eigene Professur für Friesisch. 37 Studenten sind dort aktuell für das Fach eingeschrieben. Ein Exotendasein.
„Schon seit Sprachwissenschaftler sich mit Friesisch befassen, schwingt der bedrohte Status mit", erklärt Hauke Heyen, einer der Studenten von Professor Hoekstra. Und dafür sei es ganz schön weit gekommen. Die eheste Gefahr sieht er momentan in der mobilen Gesellschaft: Immer mehr Menschen ziehen für den Job oder die Liebe um, und das in einer hohen Frequenz. Wenige bleiben ihrer Heimat treu.
Für Nordfriesland bedeutet jeder Fortzug eines Friesisch-Sprechers nicht nur diesen individuellen Verlust, sondern gleichzeitig schwindet das Potenzial für andere, die Sprache zu sprechen - denn dafür braucht es ein Gegenüber. Doch Heyens Forschung zeigt, dass dies das Friesische gar nicht so sehr in die Enge treibt, wie man vermuten könnte. Auch das könnte dem Internet zu verdanken sein, spielen doch für den Austausch in sozialen Netzwerken Ortsabstände keine Rolle, solange die Datenleitung steht.
Doch so belebend Whatsapp, Facebook und Konsorten auch sind - am Tropf hängt Friesisch trotzdem noch. Hat die Sprache eine Zukunft? „Die Dialektvielfalt wird verschwinden, meist weil die Sprechenden einfach sterben", so Heyens Prognose. „Zum Beispiel Helgoland. Dort sprechen nur noch etwa 200 Menschen Halunder. Da braucht ja nur eine Familie wegzuziehen, schon wird es eng." Ähnlich sei es mit dem Halligfriesisch.
Deshalb wird sich Friesisch in Schleswig-Holstein auf die beiden Hauptdialekte Fering/Öömrang - die Mundarten der Inseln Föhr und Amrum - sowie das Bökingharder Friesisch, das rund um Niebüll zu Hause ist, beschränken, so seine Einschätzung.
Schließlich nochmal zurück zur NSA. Als Geheimcode und Rebellion gegen das Mitlesen im Netz ist Friesisch sicher gut geeignet, geht doch die Wahrscheinlichkeit, dass sich unter den Ausspähern dieser Sprache mächtige Menschen befinden, gegen null.
„Einige entscheiden sich vielleicht aus diesem Grund für Friesisch im Internet. Doch im Vordergrund steht wohl bei den meisten der Punkt, die Sprache einfach benutzen zu wollen. Dass man es bewusst einsetzt, um von anderen nicht verstanden zu werden, erlebe ich mehr in der gesprochenen Sprache", sagt Ilwe Boysen. „Aber so oder so ist das natürlich ein schöner Nebeneffekt."
von Merle Bornemann erstellt am 07.Jan.2018 | 19:28 Uhr
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