Lärm von hoher Intensität löst eine Stressreaktion aus, die unter anderem ein Zusammenziehen der Blutgefäße bewirkt, eine Art kurzfristige Blutdruckerhöhung. Der Körper gewöhnt sich jedoch nicht an den Lärm, vielmehr wird diese Reaktion stärker, wenn man gehäuft solchem Lärm ausgesetzt ist und man reagiert auf die Dauer noch empfindlicher darauf. Auf lange Sicht ergibt sich daraus ein höheres Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko. Das haben Untersuchungen belegt.
In Berliner Krankenhäusern hat man schon vor rund zehn Jahren Herzinfarkt-Patienten verglichen mit anderen Patienten, die in der Unfallchirurgie etwa wegen eines Beinbruchs eingeliefert wurden. Mithilfe der Adressen hat man dann ermittelt, unter welcher Lärmbelastung die Menschen leiden. Man stellte fest, dass die Herzinfarktpatienten im Durchschnitt mehr Verkehrslärm ausgesetzt waren. Also: Wenn Sie an einer sehr lauten Straße wohnen, schlafen Sie vermutlich nicht nur schlecht, es erhöht sich auch das Risiko, eines Tages ein Herz-Kreislauf-Problem zu bekommen.
Im Rhein-Main-Gebiet wurde jüngst eine groß angelegte Untersuchung zu den Auswirkungen von Fluglärm gemacht. Eine Wissenschaftlerin hat dabei herausgefunden, dass Grundschulkinder im Leseverständnis um etwa zwei Monate zurückliegen, wenn sie in einer stark von Fluglärm belasteten Umgebung wohnen. Das zeigt: Lärm wirkt sich nachweislich negativ auf die Leistungsfähigkeit in der Schule aus.
Das liegt wahrscheinlich nicht daran, dass wir verschiedene Hörempfindlichkeit haben, sondern vielmehr daran, wie wir die Geräusche bewerten. Wie genau diese Unterschiede zustande kommen, daran rätseln wir auch noch. Das kann an der Vorgeschichte liegen, wie stark jemand in seinem Leben bereits Lärm ausgesetzt war. Wir haben die Lärmempfindlichkeit von Menschen untersucht - einerseits deren subjektive Einschätzung anhand von Fragebögen, andererseits deren tatsächliche Beeinträchtigung im Lärmversuch in unserem Labor, das heißt wenn man ihnen bestimmte Aufgaben gibt, zum Beispiel Gedächtnisübungen oder Textverständnisaufgaben. Das Ergebnis überraschte: Die Lärmempfindlichkeit, die Leute beschreiben, hängt kaum zusammen mit deren tatsächlicher Störbarkeit durch Lärm. Die Leistung derer, die sich als sehr lärmempfindlich beschreiben, ist unter Lärm nicht geringer als die, von denen, die sich als sehr unempfindlich beschreiben. Interessanterweise konnten weibliche Testpersonen ihre Leistungseinbußen unter Lärm etwas besser einschätzen als männliche - warum wissen wir nicht.
Da muss man abwägen. Man verspricht sich davon ja eine bessere Kommunikation untereinander, aber: Unsere Aufmerksamkeit wird vor allem durch sprachlichen Lärm beeinträchtigt. Selbst wenn man nicht zuhört, wie die Büronachbarn sich unterhalten - und sie könnten sich sogar in einer fremden Sprache unterhalten -, stört es dennoch nachweislich die Leistung bei Aufgaben, die das Gedächtnis beanspruchen. Sobald unser Gehirn Sprache in der Umgebung erkennt, beeinträchtigt uns das, weil diese Informationen automatisch verarbeitet und gespeichert werden müssen. Das steht dann in Konkurrenz zur Arbeitsaufgabe.
Genau, das ist vergleichsweise harmlos. Wenn man das im Labor isoliert untersucht, dann beeinträchtigen Tastaturgeräusche die Leistung kaum, während das Einspielen selbst einer Fremdsprache deutlich mehr ablenkt. Das kann sogar ganz leise sein. Mit kluger Architektur kann man da aber schon viel machen, zum Beispiel durch Zwischen- oder Stellwände und verschiedene Arbeits-, Kommunikations- und Ruhezonen innerhalb des Raums.
Mir scheint, dass von vielen unterschätzt wird, wie schädlich Lärm ist. Die rechtlichen Regelungen sind meiner Meinung nach zu sehr an physikalischen Grenzwerten orientiert. Als Psychologe sage ich: Wenn ihr einen Dezibel-Wert als Grenze festlegt, ist das gut und schon mal ein erster Schritt. Aber es kann beim gleichen Wert sehr störende, aber auch geradezu harmlose Lärmarten geben. Es wäre wichtig, dass man sich dabei mehr an der tatsächlichen Wirkung auf den Menschen orientiert.Dafür gibt es Messmethoden. Man kann statt des Schallpegels auch die subjektiv empfundene Lautheit messen und Vorhersagen treffen, wie sehr Menschen dadurch gestört werden. Das entspricht keinesfalls immer dem Dezibel-Wert. So käme man zu einer menschengerechteren - oder wie wir sagen ‚„gehörgerechten" - Lärmbewertung. Schon seit den 1970er-Jahren gibt es solche Forderungen, aber bis so etwas mal in die Gesetzgebung vordringt...
von Merle Bornemann erstellt am 10.Dez.2017 | 15:25 Uhr
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