2 abonnements et 2 abonnés
Article

Schöner neuer Mensch?

Der Terminator, Darth Vader oder gar Ikarus – die Popkultur belegt, dass uns der Cyborg, also das Mischwesen aus Mensch und Technik, seit jeher fasziniert. Hunderttausende Cyborgs weilen schon unter uns, sie werden mehr. Was bedeutet das für unser künftiges Verständnis von Körper und Schönheit?

Text: Maximilian Eberle

Wohlgesinnte bezeichnen Neil Harbisson als Visionär, Kritiker wohl eher als Freak. Der irisch-britische Künstler hat sich eine Antenne auf den Kopf implantieren lassen, dessen Endstück beim Laufen vor seiner Stirn umherwippt.  Mit der Technologie kann er laut eigenen Angaben Farben hören – das machte ihn 2004 zum ersten weltweit anerkannten Cyborg.

Doch Harbisson ist nicht mehr allein. Seine Freundin, die spanische Künstlerin Moon Ribas, kann mit einem Sensor Erdbeben auf der ganzen Welt wahrnehmen. Der Forscher Hugh Herr, der selbst bei einem Kletterunfall beide Unterschenkel verlor, hat sich künstliche Beine gebaut und klettert jetzt steilere Hänge als zuvor hinauf. Mehr als 300.000 Menschen besitzen weltweit ein Cochlea-Implantat, um besser zu hören – die Technologie treibt das Unternehmen Med-El in Innsbruck voran. Der Cyborg ist im Mainstream angekommen.

Das Gute daran: Vom technischen Fortschritt profitiert zunächst die Medizin. Smarte Kontaktlinsen sollen bald den Blutzucker von Diabetikern messen können und elektronische Gehirnimplantate, die mit der Spritze injiziert werden, könnten in naher Zukunft Parkinson und Schlaganfälle vorbeugen. Doch vor welchen ethischen Fragen stehen wir, wenn gesunde Menschen die Technologie für bessere sportliche Leistungen, mehr Konzentration oder zur Verschönerung nutzen werden? Schon jetzt arbeitet die ästhetische Chirurgie an Hautimplantaten aus dem 3D-Drucker, die ewige Jugend versprechen. Sehen wir in Zukunft alle perfekt aus?

Christopher Coenen, Politologe am Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse in Karlsruhe, moniert vor allem die Gefahr eines Wettlaufs um das perfekte Aussehen. „Herrschende Schönheitsvorstellungen könnten noch stärker insbesondere Mädchen und Frauen psychisch belasten.“ Eingriffe am eigenen Körper könnten zu Selbstverletzungen führen. Die Fortschritte der plastischen Chirurgie könnten – wählt man ein dystopisches Szenario – sogar neue Möglichkeiten der Identitätstarnung bieten: durch Gesichtsoperationen.

Doch Human Enhancement, wie Forscher die Optimierung des eigenen Körpers nennen, ist kein neues Phänomen, das erst Cyborgs wie Neil Harbisson zur Debatte machten. Leistungssteigerung ist ein menschliches Urbedürfnis. Seit Jahrhunderten trinken wir Kaffee, um wach zu bleiben und seit Jahren entwickeln wir technische Geräte, die uns den Alltag erleichtern. Mit Smartphones und Smartwatches rücken sie nur immer näher an unsere Körper heran.  Auch die plastische Chirurgie und die Anti-Ageing-Medizin sind laut Coenen im weitesten Sinne „Human Enhancements“, weil Menschen durch sie ihr Selbstbewusstsein steigern und ihr berufliches wie soziales Ansehen erhöhen wollen. 

Neu ist lediglich die zunehmende Geschwindigkeit, in der wir Menschen mit unseren Hilfsmitteln verschmelzen. Der israelische Historiker Yuval Noah Harari stellt die These auf, dass sich unsere Nachkommen in hundert Jahren so stark von uns unterscheiden werden, wie wir heute von Schimpansen. Zeit, für ein paar Fragen, die Zukunft betreffend: Ab wann geht Selbstoptimierung zu weit? Wie viel Zugriff gewähren wir der Technik auf unseren Körper? Und wie viel wollen wir von dem Körper übriglassen, den uns die Natur geschenkt hat?