Eigentlich dröhnt die Orgel in der katholischen Kirche St. Peter und Paul in Oesede über die Köpfe der Gemeinde hinweg. 3284 Pfeifen, 40 Register, 3 Manuale. Der Klang wird übertragen in das Alten- und Pflegeheim St. Josef, das gegenüber der 1906 errichteten Kirche liegt. Hier können die Alten und Kranken, die den Weg ins Kirchengebäude nicht mehr schaffen, per Videoaufnahme am Gottesdienst teilnehmen. Doch jetzt schweigt die Orgel, die Kirche bleibt vorerst geschlossen - wegen des Coronavirus. Die Kirchen-Fernseher im Heim, sie bleiben schwarz.
Die Frage, wie die Kirchen mit der Digitalisierung umgehen, ist schon lange eine brennende. Doch durch den Ausbruch des Coronavirus bekommt sie eine neue Dringlichkeit, mit der wohl keiner rechnen konnte. Nun zeigt sich, welche Gemeinden zur Erfüllung ihres Auftrags auf etablierte Digital-Strukturen zurückgreifen können und welche improvisieren müssen - wenn sie überhaupt etwas unternehmen. Denn vielerorts bleiben die Kirchen geschlossen. Viele Gläubige haben Angst, in dieser angespannten Situation keine religiöse Unterstützung zu finden. Taufen oder Trauungen müssen verschoben werden. Ausnahmezustand.
Sonntag, der 15. März. Die letzten Vorbereitungen werden getroffen, das Klavier spielt schon, Blätter werden sortiert. Es sind 180 Menschen zugegen, warten darauf, dass der Gottesdienst in der evangelischen Beller Kapelle der Lippischen Landeskirche losgeht. Dann tritt der Pastor auf - mit einem iPad in der Hand. „Auch für uns ist das ein neues Format, Gottesdienst ohne Menschen", sagt er. Die 180 Menschen, sie sitzen gerade zuhause vor ihren Bildschirmen. Der Gottesdienst wird als Livestream auf Youtube ausgestrahlt.
Zoom auf den Pastor„Wo auch immer Sie sind, singen Sie mit", fordert der Pastor, nennt die Seiten im Gesangbuch. Gerade noch grüßten sich die Menschen auf Youtube gegenseitig im Chat: Grüße aus Berlin, Detmold, Hannover. Dann eine Frage: Könnte man die Texte nicht als Untertitel einblenden? Dann könnten auch die mitsingen, die kein Gesangbuch daheim haben.
Wolfgang Loest möchte auf die Vorschläge eingehen, die im Chat gemacht wurden. Der 37-Jährige ist Pfarrer für Soziale Medien und Digitalisierung der Lippischen Landeskirche. Er hat den Livestream an diesem Sonntag eingerichtet, saß am Mischpult: von der Nahaufnahme zurück zur Gesamtansicht und dann ein Zoom auf den Pastor am Klavier. Für ihn war das nicht sein erster Gottesdienst im Livestream. „Ich habe schon Messen mitorganisiert, in denen User sich direkt beteiligen konnten, etwa bei den Fürbitten oder auch bei der Predigt." So hätten die Zuschauer vor den Bildschirmen beispielsweise Fragen stellen können, auf die der Priester dann in der Predigt einging. Die digitalen Strukturen waren schon vor Corona da.
„Aber an dem Sonntag war das schon nochmal aufregender, auch weil das Publikum größer war", sagt Loest. Zu Spitzenzeiten haben 220 Menschen zugeschaut, insgesamt wurde das Video knapp 1400 Mal abgerufen. „Corona hat uns überrascht. Wäre es einen Monat später passiert, wären wir deutlich besser vorbereitet", sagt Loest. Denn gerade erst seien neue PTZ-Kameras bestellt worden, die schwenkbar sind. Nach dem Gottesdienst sei er alle Kommentare auf Youtube durchgegangen, ebenso auf Instagram, Twitter und Facebook, wo er Werbung gemacht hatte. „Es waren einige Namen dabei, die ich kannte, aber die meisten waren mir fremd", sagt er und hofft, dass Gottesdienste im Livestream mit Interaktion der User zukünftig noch häufiger stattfinden - gerade für Menschen, die sonst kaum eine Kirche betreten würden. „Wenn man sonntags um 10 noch den Schlafanzug anhat, ist das auch ok."