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Das Denkmal aus Schutt und Größenwahn

Der Teufelsberg ist ein Monument des Scheiterns. Er entstand aus den Ruinen des Zweiten Weltkriegs, jetzt ist der Berg ein Denkmal.


Manche glauben, die Form erkläre alles. Ein Turm, oben abgerundet, rechts und links je eine ballförmige Kuppel. Es braucht nicht viel Fantasie, um in der Abhörstation auf dem Teufelsberg einen Phallus zu sehen.


Und geht man in der Geschichte zurück, reiht man all die Pläne und Ideen aneinander, dann sieht man es recht deutlich: ein Panoptikum des männlichen Größenwahns. Der Teufelsberg hat immer wieder Männer dazu verleitet, sich beweisen zu wollen. Da gab es Bauinvestoren, die waren sich sicher: Wir bauen hier großartige Lofts, die höchste Wohnung der Stadt. Ein Hollywoodregisseur war fest entschlossen, die Abhöranlage zu einer gigantischen Meditationsakademie umzubauen. Yogis sollten dort das Fliegen lernen. Ein Landschaftsarchitekt wollte hier den höchsten Berg Berlins errichten.


Keiner dieser Pläne ist aufgegangen. Mehr als Fundamente für Parkhäuser wurden nicht gebaut, kein Yogi hob jemals vom Berg ab, und dann fiel auch noch der Höhenrekord. Vor drei Jahren wurde auf den Arkenbergen in Blankenfelde etwas Schutt nachgelegt. Jetzt überragen sie den Teufelsberg um 70 Zentimeter.


Der Teufelsberg ist ein Monument des Scheiterns. Errichtet aus den Überresten der Katastrophe, die Nazideutschland über die Welt und Berlin brachte. 26 Millionen Kubikmeter Kriegsschutt wurden hier aufgetürmt. 120,1 Meter hoch.


Auf die Bergkuppe bauten Briten und Amerikaner die Abhörstation mit den ikonischen Antennenkuppeln. Sie setzten dem Berg den Phallus auf. Eine Demons­tration der Macht, so könnte man das deuten. Aber schaut man sich die Zeit der Spionage auf dem Teufelsberg genauer an, dann kann man auch eine andere Lehre daraus ziehen. Sie hat mit Demut zu tun. Und mit Frieden. Aber dazu später mehr.


Seit einigen Wochen steht der Teufelsberg unter Denkmalschutz. Kultursenator Klaus Lederer (Linke) kommentierte: „Der Teufelsberg ist ein einzigartiges und vielschichtiges Geschichtsdenkmal des 20. Jahrhunderts." In seiner Art hätte es nur in Berlin entstehen können.


Aber was genau heißt das denn jetzt? Kulturdenkmal Teufelsberg. Wie geht es weiter?


Zunächst muss der Verfall gestoppt werden. Das fordert Christoph Rauhut, seit Oktober Chef des Landesdenkmalamts. Der Denkmalschutz für den Teufelsberg war seine erste Amtshandlung. Rauhut sagt: „Wir werden mit allen Beteiligten über die weitere Entwicklung diskutieren."


Das entscheidende Wort sprechen dabei - unter Auflagen des Denkmalamts - die Eigentümer. Aber zwei Gespräche genügen, um zu verstehen: Das wird nicht so einfach.

Hanfried Schütte will die Kuppeln neu bespannen und besprühen lassen, Galerien sollen entstehen. Vielleicht eine Kletterwand. Ihm gehört das Areal zur Hälfte.


Der Rest gehört einer Investorengruppe um Hartmut Gruhl. Von Schüttes Plänen erfährt er erst durch den Reporter. „Sport, Spiel und Amüsement sollten nicht im Vordergrund stehen", sagt Gruhl. Er will eher auf die Geschichte des Bergs setzen.


Die Zukunft des Teufelsbergs scheint längst nicht entschieden.


Das Denkmal von der Nähe sehen

21 Besucher sind heute den herbstfarbenen Waldhang hoch gestiegen. Alt-Berliner, Neu-Berliner, Touristen. Sie haben viel vom neuesten Berliner Denkmal gehört. Sie wollen es aus der Nähe sehen.


Sie stehen vor einer kaputten Werbetafel. Eine Comicfigur wurde draufgesprüht, sie sagt „You must pay!" und überdeckt die Werbung für das einstige Bauvorhaben. Viel ist nicht mehr lesbar: „Attraktive", „mit Balkon" und „Fertig­stellu".


Ein Mann mit Lederjacke und grauem Krausezopf begrüßt die Gruppe. Richard Rabensaat, Künstler und Vorsitzender der Initiative Kultur-Denk-Mal Teufelsberg. Er ist Teil der Künstlerkolonie, die sich hier in der Abhörstation eingerichtet hat. Es wird eine Stunde dauern, dann wird Rabensaat die Gruppe andächtig zurücklassen. Eine Dame aus Steglitz wird angesichts des Verfalls sagen: „Traurig, wie das hier aussieht." Alle werden staunen. Alle werden froh sein über den Denkmalschutz. Eine Mann wird applaudieren und sagen: „Unglaublich."


Bevor es losgeht, erzählt Rabensaat von Bernie. Der war mal U-Boot-Kommandant, will eines Tages in einen geheimen Schacht steigen und die Atomraketen der Amerikaner finden. Bernie kommt regelmäßig auf den Berg. Er hat immer eine Flasche Whiskey dabei.

Der Guide erzählt von Pedro. Der wollte auf dem Berg die von der Fleischindustrie überzüchteten Mast- und Legehybride zu ursprünglichen Haushühnern rückzüchten. Dann kamen die Füchse. Er deutet auf einen Imker im Schutzanzug. Ein Bienenvolk hat den letzten Winter nicht überlebt.


Rabensaat führt in einen Flachbau, auf dem ein gesprühter Riesenfalter den Turm der Abhöranlage frisst. Drinnen bröckeln Decken im Halbdunkel. Die Künstlerkolonie wird weder mit Wasser noch mit Strom versorgt. Die Gruppe steht jetzt vor Schautafeln zur Geschichte des Berges.


Einen Berg hätte es hier nie geben dürfen

Das Erste, was sie erfahren: Gebäude, geschweige denn einen künstlichen Berg, hätte es hier nie geben dürfen. Der Magistrat von Berlin erklärte den Grunewald 1915 zum Erholungsgebiet für die wuchernde Metropole. Der Dauerwaldvertrag wurde unterzeichnet.

Aber Adolf Hitler scherte sich bekanntlich nicht um Verträge. Im Grunewald ließ er eine monumentale Hochschulstadt bauen. Im Zentrum: die Wehrtechnische Fakultät. Dort sollte die militärwissenschaftliche Grundlage für die arische Welteroberung geschaffen werden. 1940 der Baustopp, die Anlage wurde später gesprengt.


Seit den 50er-Jahren karrten Lkw den Kriegsschutt des verwüsteten Berlin hierher. Erst wurde die Ruine zugeschüttet, dann wuchs der gigantische Grabhügel aus dem Wald heraus. Der Teufelsberg entstand.


Die Pläne des Landschaftsarchitekten sahen eigentlich eine Bergspitze vor. Aber ab 1957 stellten die US-Soldaten Antennen auf das Plateau, mitten im britischen Sektor. Zunächst um den Luftraum zu überwachen. Doch der Teufelsberg, aus Sicht der Alliierten der letzte Hügel vor Moskau, bot Möglichkeiten für mehr. Amerikanische und britische Einheiten bauten die Field Station Berlin auf - und hörten fortan alles ab, was zwischen Sowjetunion und den Verbündeten im Ostblock gefunkt wurde.


„Unsere Mission war es, den Status quo zu halten", sagt Christopher McLarren, Veteran des früheren Militärgeheimdienstes, ein Spion im Ruhestand. Und es passt irgendwie: die Schiebermütze, der dunkelblaue Mantel, die wortkargen Antworten. Er steht vor den Trümmern seines Arbeitsplatzes. Zwei Jahre hat er auf dem Teufelsberg gearbeitet - in einem fensterlosen Büro in der Radom Unit, dem massiven Betonklotz unter den Abhörkuppeln. Heute ist hier alles zugesprüht, die Außenwände auf zwei Seiten weg - dahinter das Havelland.


Die elektrische Zahnbürste von Breschnew

Auch McLarren gibt Führungen über das Gelände. Wer dabei Stoff für Spionage-Thriller hören will, für den ist McLarren eher eine Enttäuschung. Verschwiegenheitsklauseln. Wie weit sie von hier lauschen konnten? „Wir haben immer gesagt, wir können die elektrische Zahnbürste von Breschnew hören", sagt McLarren. Aber das war nur ein Witz. Wie seine Arbeit aussah? Es klingt ziemlich öde. McLarren wertete die abgefangenen Informationen aus. Da waren auch mal schlechte Polenwitze von NVA-Soldaten dabei. Oder Bestellungen für 4000 Brötchen für eine Truppenübung. Aber das, so erzählt es McLarren, waren genau die Informationen, mit denen er arbeiten konnte. Daraus ließen sich Truppenstärken errechnen.


„Keine Überraschungen, keine Panik" , so fasst McLarren den Sinn der Spionage im Kalten Krieg zusammen. Die Russen horchten vom Brocken nach Westen, die Amerikaner vom Teufelsberg nach Osten. Die Atomarsenale der Supermächte waren derart hochgerüstet, sie hätten die gesamte Menschheit mehrfach auslöschen können. Damit keiner auf den Knopf drückt, musste man jeden Schritt des Gegners vorher kennen.


Spionage für den Frieden. So versteht McLarren das. Der größte Sieg der Spione auf dem Teufelsberg war, dass nichts passierte. Vielleicht ist das das Geheimnis des Teufelsbergs: Wer ihm einen Erfolg abringen will, der sollte Demut mitbringen. Nach den Spionen kamen die Investoren. Hanfried Schütte, der Teileigentümer, erinnert sich an den Tag, als er zum ersten Mal auf der Terrasse unter den Kuppeln stand. Über ihm flatterten die zerrissenen Planen, zu seinen Füßen lag die Mega-Baustelle Berlin. 1996 war das. Die Investorengemeinschaft Teufelsberg kaufte das Areal für 2,65 Millionen Euro - so berichteten es Medien. Heute wollen die Investoren das weder bestätigen, noch den wirklichen Preis nennen.


Schütte dachte: „Wenn das hier nichts wird, dann wird nichts etwas." Lofts sollten gebaut werden, ein Hotel, Luxusapartments. Nur dann brachen die Aktienmärkte ein, zu wenige Wohnungen wurden verkauft. Stillstand. 2005 entzog der Senat die Sonderbaugenehmigung, die Anlage verfiel, es wurde geplündert und gestohlen.


Im November 2007 fuhr eine weiße Limousine auf den dunklen Berg. Der Grusel-Regisseur David Lynch und ein Guru namens Raja Emanuel Schiffgens stiegen aus. Beide gehören der Esoterik-Organisation Transzendentale Meditation an, die sich die Bezeichnung Sekte verbittet. Sie legten den Grundstein für eine Yogi-Universität. Der Name: „Die Universität des Unbesiegbaren Deutschlands".


Lehren wollte man dort auch eine spezielle Meditationstechnik. Die Yogis hüpfen dabei im Lotussitz, so hoch und weit, wie sie nur können. Wenn sie das nur lang und konzentriert genug machen, dann fangen sie irgendwann sicher an zu schweben - das ist ihre feste Überzeugung. Es gab schon einen fertigen Vertrag für Lynch. Aber keine Baugenehmigung. Das Yogische Fliegen wurde nie auf dem Teufelsberg unterrichtet. Bislang war das der letzte Anflug von Größenwahn.


Wolfram Liebchen klebt Fotos auf buntes Krepppapier. Bergeweise Müll ist darauf zu sehen, Drähte und zerbrochene Scheiben, Liebchen neben einem orangen Müllcontainer. Er streicht sich die langen blonden Haare aus dem Gesicht, nippt an einer Pilsflasche, hängt die Bilder an die Wand. Liebchen restauriert antike Fundstücke. Er hat die einstige Kantine der Spione zu etwas zwischen Kuriositätenkammer und offenem Wohnzimmer umgebaut.


Malgosia Horak hat den kleinsten der Abhörtürme, der mal Blue Diamond hieß, rosa gestrichen und eine „Praxis für Wahrnehmungschirurgie" darin eingerichtet. Horak will die Künstlerkolonie zu einer autarken Community ausbauen - mit Strom aus Solaranlagen und Regenwasseraufbereitung.


Von der Abhörstation zur Zuhörstation

Sebastian Müllauer hat eine Lagerhalle in der Radom Unit zu einer Art Experimentierhöhle gemacht. Er sagt: „Die Abhörstation sollte zu einer Zuhörstation werden." Und meint einen Freiraum, für Kunst, Geschichtsaufbereitung, Austausch. Es ist nicht auf Anhieb zu verstehen, an was er da im Blaumann in der unbeheizten Kälte tüftelt. Prototypen, In-stallationen, Versuchsstationen. Er hat eine Segelboot-Drohne gebaut, die Ölreste aus dem Meer fischen kann.


Seit 2011 sind Dutzende Künstler auf den Berg gekommen. Sie machten aus der Abhörstation eine große Graffiti-Galerie, räumten Schutt weg, setzten Fenster ein. Ohne sie wären viele Räume gar nicht zugänglich. Mit dem aktuellen Pächter arbeiteten sie zusammen. Aber manche sagen, der Pächter - Hanfrieds Sohn Marvin Schütte - schätze nicht wert, was die Künstler für das Areal getan haben. Die meisten haben keine Nutzungsverträge - und Angst vor dem Rausschmiss.


Miete zahlen die Künstler keine. Die Einnahmen generieren sich aus Eintrittsgeldern, Führungen und Veranstaltungen, zu denen auch mal das gesamte Areal vermietet wird. Auch der Pächter erzählt, wie er Schutt weggebaggert, das Gelände erschlossen hat. Teileigentümer Hanfried Schütte sagt, er will das Areal gemeinsam mit den Künstlern weiterentwickeln. Aber Wolfram Liebchen versucht er, mit einer Räumungsklage aus der Kantine zu werfen. Dort soll ein Restaurant entstehen. Der andere Eigentümer, Hartmut Gruhl, hält nichts von diesen Plänen. Liebchen sagt: „Es heißt, Liebchen hat sich den schönsten Raum geschnappt. Aber Liebchen hat den schönsten Raum geschaffen." Und alle sollen das wissen. Deswegen hängt er die Fotos auf.


Unter den anderen Künstlern macht sich Nervosität breit: „Liebchen könnte zum Präzedenzfall werden", sagt Sebastian Müllauer. Egal mit wem man auf dem Teufelsberg spricht, alle wollen für den Denkmalschutz gekämpft haben. Jahrelang. Jetzt ist er da. Und keiner weiß, wie es weitergehen soll. Aus dem Denkmalamt heißt es, man wünsche sich eine öffentliche Nutzung des Berges. Aber vorgeben könne man das nicht. Nur mitreden.


Und noch jemand will mitreden. Das Aktionsbündnis Teufelsberg. Es besteht aus Naturschützern und Anwohnern. Sie sind genervt von lauten Partys auf dem Berg, wollen, dass das Plateau öffentlich zugänglich wird. Und noch was: Die ursprünglichen Pläne der Landschaftsarchitekten sollen verwirklicht werden. Der Berg soll vollendet werden, die Abhörstation zugeschüttet. Denkmalschutz hin, Denkmalschutz her.


Der Teufelsberg wäre dann wieder die höchste Erhebung Berlins. Oben würden nur der Turm und die zwei Kuppelbälle herausragen.


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