Mehr als 130 Berliner Abgeordnete betreiben ein Bürgerbüro. Viele kassieren das Geld und verstecken ihre Büros vor der Öffentlichkeit.
Das Video zur Recherche von Max Boenke und Sven Wolters
Der Text dazu von Ulrich Kraetzer und Martin Nejezchleba erschien am 12. November 2017 in der Berliner Morgenpost
Die Suche nach den Volksvertretern endet in einem dunklen Gang im neunten Stock. Darin: ein graublauer Teppich, sieben braune Türen, durchnummeriert und namenlos. Keine Spur von den Wahlkreisbüros der vier AfD-Abgeordneten, die hier, im Haus der Kosmonauten in Marzahn, gemeldet sind. Auf Hinweistafeln in dem Büro-Plattenbau finden sich: die Kuschel GmbH, ein Legastheniezentrum und eine Firma namens Weinfein Illu Grafik. Die Namen der Abgeordneten Jeannette Auricht, Jessica Bießmann, Gunnar Lindemann und Karsten Woldeit sind dagegen nicht zu lesen. Nirgendwo im Haus.
Erst das Gespräch mit einer Mitarbeiterin der Hausverwaltung ergibt: Die vier AfD-Büros befinden sich tatsächlich im neunten Stock. Für die Zwölf-Quadratmeter-Büros zahlen sie je rund 170 Euro im Monat. Nebenkosten, Gemeinschaftsküche und Strom inklusive. Ein Schnäppchen. Zumal die Verwaltung des Abgeordnetenhauses für Amtsausstattung monatlich pauschal 2541 Euro bezahlt – davon 1000 Euro explizit für die Anmietung eines Büros. Steuerfrei. Auf die Frage, was mit den restlichen 830 Euro geschieht und warum die Abgeordnetenbüros nicht als solche gekennzeichnet sind, antworten die Volksvertreter nicht.
Notker Schweikhardt von den Grünen versucht es mit Tomatenstauden und Kompost. Auf einer Baulücke an der Schöneberger Grunewaldstraße hat er sich einen rostigen Container als Wahlkreisbüro stellen lassen, hat eine Kinoleinwand gespannt und Paletten zu Gemüsebeeten umgebaut. Urban Gardening als Begegnungsstätte. Bei der Bürgersprechstunde erzählt ein Nachbar, ein Jugendwerkstattprojekt für technische Bildung zu betreiben. Schweikhardt vermittelt einen Kontakt zum Zeiss-Großplanetarium. Bürgernähe kann so einfach sein.
Andernorts ist sie offenbar unerwünscht. Wer etwa dem Büro von Florian Kluckert (FDP) einen Besuch abstatten will, muss sich in einem Mariendorfer Industriegebiet seinen Weg zum Hintereingang eines alten Fabrikgebäudes aus Backstein erfragen. Heute siedeln dort Großraumbüros. Im vierten Stock, am Büro mit der Nummer sechs, klebt ein „Tegelretter“-Aufkleber, daneben ein Schild: „Herr Kluckert, MdA“. Sieht so Bürgernähe aus?
Mindestens fünf Abgeordnete der AfD und ein FDP-Abgeordneter verraten lieber gar nicht, wo sich ihr externes Büro befindet. Einer von ihnen ist Marcel Luthe, der innenpolitische Sprecher der FDP. Auf den Hinweis hin, sein Büro solle laut Gesetzesbegründung Bürgernähe fördern, berichtet Luthe von Drohungen und Angriffen auf Abgeordnetenbüros. Statt an sich selbst übt er Kritik an den Regeln des Präsidiums. Sie seien „schemenhaft“ und würde „dem freien Mandat nicht gerecht“. „Entscheidend ist, dass der Abgeordnete seine Arbeit erledigt – wo, ist herzlich egal“, sagt Luthe.
Rechtlich gesehen stimmt das. Denn auch Abgeordnete, die „geheime“ Bürgerbüros betrieben, verstoßen gegen keine Regelung. Wie das möglich ist? Das kann verstehen, wer Torsten Schneider im Abgeordnetenhaus besucht. Schneider ist parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion und gilt als „geistiger Vater“ der Parlamentsreform. Er nimmt den Aufzug in den fünften Stock und öffnet die Tür zu Raum 571. 15 Quadratmeter, ein Holztisch, vier Stühle: das Büro von zwei SPD-Abgeordneten, die hier mit bis zu drei Mitarbeitern unterkommen. „Das ist schlicht unmöglich“, sagt Schneider.
In der parlamentarischen Enge sah er 2013 eine Chance. Wenn die Abgeordneten bessere Arbeitsbedingungen brauchten, sollten sie auch etwas gegen die Politikverdrossenheit tun – und raus in die Kieze gehen. Der Volksvertreter als Nachbar, hinter einer transparenten Ladenfront, immer ansprechbar. Das war die Idee. Sie gefiel nicht allen. Das Ergebnis waren Kompromisse: In Paragraf sieben des Landesabgeordnetengesetzes ist nicht von Wahlkreis- sondern von „externen“ Büros die Rede. Das Ziel der Bürgernähe steht zwar in der Begründung – nicht aber im Gesetz selbst. Die Vorschrift, dass Abgeordnetenbüros gekennzeichnet sein müssen, steht in den Richtlinien des Präsidiums des Abgeordnetenhauses – aber nicht im Gesetz.
Abgeordnete, die ein externes Büro betreiben, müssen der Parlamentsverwaltung lediglich einen Miet- oder Nutzungsvertrag vorlegen – und schon erhalten sie bis zu 1000 Euro mehr als andere Parlamentarier. Wieviel Miete die Volksvertreter tatsächlich zahlen, spielt keine Rolle. Sie müssen das Büro auch nicht in ihrem Wahlkreis betreiben. Nach Gesetz und Richtlinien wäre es sogar möglich, eine Datsche in den Wäldern Brandenburgs anzumieten.
Doch selbst die überschaubaren Regularien scheinen einige zu überfordern. Zwei AfD-Abgeordnete haben ihr Büro hinter geschlossenen Jalousien in Johannisthal. Kein Schild, nur die zwei Namen der Abgeordneten an einem Briefkasten. Auch scheint dort der Bezirksverband der AfD Treptow-Köpenick zu siedeln und laut Handelsregister die Firma eines Vorstandsmitglieds. Das alles wäre rechtlich zulässig – so lange die Räume baulich getrennt sind. Ein Mann, der sich als ehemaliger Mitarbeiter eines Abgeordneten ausgibt und beim Ortsbesuch auftaucht, erzählt von einer Wand, die eingezogen worden sei. Ob man das Bürgerbüro sehen darf? Nein. Oder, na ja, vielleicht nächste Woche, wenn der Abgeordnete da ist. Der aber antwortet nie auf eine Terminanfrage.
Auch Katrin Vogel antwortet nicht auf kritische Fragen. Dabei wären die Antworten der CDU-Abgeordneten sicher interessant. Denn Vogel betreibt ihr Bürgerbüro auf dem Gelände eines Autohauses. Das trägt den Namen Vogel – und gehört ihrem Ehemann, Michael Vogel. Laut Grundbuch gehört ihm auch das Grundstück. Hat sich die Parlamentarierin bei ihrem Ehemann eingemietet? Reicht sie die aus Steuergeldern finanzierte Pauschale für ihr Büro direkt an ihren Partner weiter? Vogel sagt lieber nichts.
Die unangenehmsten Fragen muss sich ausgerechnet einer der prominentesten des Abgeordnetenhauses gefallen lassen: Sebastian Czaja, Fraktionschef der FDP. Wer sein Bürgerbüro in der Machnower Straße 5, direkt am Bahndamm des S-Bahnhofs Zehlendorf besuchen will, findet eine Baustelle. Fragt man Czaja und seinen Bürokollegen Thomas Seerig nach den Hintergründen, hört man von Seerig gar nichts und von Czaja: Die Eröffnung verzögere sich wegen Baumaßnahmen des Vermieters. Man wolle 2018 aufmachen.
Bei der Frage, ob sie trotz Baustelle die Pauschale für ein Abgeordnetenbüro in Anspruch nehmen, verstrickt sich Czaja in Widersprüche. Zunächst behauptet er: „Die Pauschale werden wir in Anspruch nehmen, sobald die Miete fällig wird.“ Eine Nachfrage beim Präsidium des Abgeordnetenhauses ergibt allerdings: Czaja und Seerig beziehen die Pauschale bereits seit Juli dieses Jahres. Macht bis einschließlich November: 8500 Euro. Für ein großes Schaufenster, unverputzte Wände, Bauschutt und Zementsäcke.
Mit der Klarstellung des Abgeordnetenhauses konfrontiert, präsentiert Czaja (man möge verzeihen, wenn die ersten Antworten zu „vage“ gewesen seien) plötzlich eine andere Version: Ja, der Kollege Seerig und er hätten die Pauschale tatsächlich seit Juli dieses Jahres erhalten. Und, nein, Miete hätten sie wegen der anhaltenden Bauarbeiten nicht überwiesen. Über die Verzögerung habe der Kollege Seerig das Abgeordnetenhaus mehrfach informiert. Die Mietzahlungen seien wegen der Bauarbeiten „zurückgestellt“. Das „zurückgestellte Geld“ werde nach Unterzeichnung eines Auflösungsvertrages „umgehend an die Verwaltung zurückgezahlt“.
Das Präsidium des Abgeordnetenhauses erklärt dazu: Eine ersten Hinweis der Abgeordneten, dass für das Büro – trotz Bezugs der Pauschale – keine Miete gezahlt worden sei, habe man am 2. November erhalten. Das heißt: Czaja und Seerig wurden erst nach der Anfrage der Berliner Morgenpost aktiv. Der Abgeordnete Seerig hat die Pauschale laut Verwaltung des Abgeordnetenhauses mittlerweile zurückgezahlt. Czaja habe das angekündigt. Steuergelder in Höhe von mehreren Tausend Euro, die nicht für den vorgesehenen Zweck verwendet wurden: Ein Rechtsbruch? Die Auskunft der Verwaltung des Abgeordnetenhauses überrascht: Nach geltender Rechtslage müsse für den Bezug der Pauschale nur ein gültiger Mietvertrag vorgelegt werden. Die Höhe der Miete sei irrelevant, die Rückzahlung daher „eine persönliche und freiwillige Entscheidung der Abgeordneten Sebastian Czaja und Thomas Seerig. Sie ist rechtlich nicht geboten.“
Auch die Fälle, in denen Abgeordnetenbüros nicht oder kaum gekennzeichnet sind oder die Standorte geheim halten, hält die Verwaltung des Abgeordnetenhauses für unproblematisch. „Nach Prüfung der Aktenlage“ sehe man „keinen Anlass zu Beanstandungen“, teilt ein Sprecher mit. Die Verwaltung sei auch keine Kontrollinstanz. Es gelte das freie Mandat – und damit die Eigenverantwortung der Abgeordneten.
Christian Pestalozza, Staatsrechtler der Freien Universität Berlin, wundert sich über diese Einschätzung. „Der Präsident des Abgeordnetenhauses hätte die Aufgabe, die Einhaltung der Richtlinien, etwa durch routinemäßige Kontrollen, zu überprüfen“, sagt der Jurist. Abgeordnete, die ihre Büros nicht kennzeichneten, verstießen gegen die Richtlinien des Abgeordnetenhauses – und damit gegen das Landesabgeordnetengesetz, weil dieses ausdrücklich auf die Richtlinien verweise. Die Verwaltung des Abgeordnetenhauses dürfe die Pauschale bei Verstößen nicht zahlen – oder müsse diese sogar zurückfordern.
Die Regelungen würden zur „potenziellen Verschleuderung von Steuergeldern“ allerdings förmlich einladen. Schwammig und unkonkret seien sie, kritisiert Pestalozza. Vor allem aber: Die Verantwortung für angemessene Arbeitsbedingungen dürfe nicht auf die einzelnen Abgeordneten abgewälzt werden. Wenn es am Sitz des Abgeordnetenhauses zu wenig Bürokapazitäten gebe, müsse das Abgeordnetenhaus eben andere Gebäuden anmieten.
So könnte es kommen. Denn das Umweltministerium des Bundes plant einen Neubau in direkter Nachbarschaft des Preußischen Landtages. Das Abgeordnetenhaus erwägt nun, sich dort mit mehr als hundert Büros einzumieten. Bis es soweit ist, dürften allerdings noch etliche Jahre vergehen. Das Gemurkse mit den externen Büros geht weiter. Es sei denn, die Abgeordneten entschließen sich dazu, die bisherigen Regelungen zu reformieren.