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Luděk Pachl und seine Oase Tuzex - ZITTY

Tagsüber Kitsch, abends geheime Kneipe: Lud ěk Pachl und seine Oase Tuzex 

Text: Martin Nejezchleba


Mit zwei Fingerkuppen streicht Luděk Pachl den Staub vom Holzregal, auf dem er die Holzfiguren mit den Glubschaugen und Knubbel­nasen aufgereiht hat - tschechoslowakische Handarbeit, 1970er Jahre. Doch der Kunde im grauen Wollmantel interessiert sich nicht für die Prager Marionetten Spejbl und Hurvínek. Auch nicht für die Malereien des Ladenbesitzers, für Karel Gott und Aschenbrödel, deren Köpfe Pachl in einen Heiligenschein im Stile von orthodoxen Ikonen geklebt hat. Der Mann wird irgendwas mit dem Maulwurf kaufen. Pachl widert an, was der Kapitalismus aus seinem Maulwurf gemacht hat: eine Witzfigur des Kommerzes.

Mit seinen 44 Jahren sieht sich Pachl als eine Art Botschafter der tschechischen Kultur. Im Tuzex, dem engen Laden mit böhmischen Spezialitäten in Prenzlauer Berg, Schliemannstraße 38, stapelt sich der Comic­maulwurf in Kartons. Er trägt Wollmützen oder blaue Latzhosen, grinst von Plakaten, Kalendern, T-Shirts, Puzzle-Schachteln. Kinderholzwagen mit ­Maulwurf-Aufdruck versperren den Weg zum Kassentresen. Als das Maulwurf-Bilderbuch auf dem Tresen landet, lächelt Pachl doch. Immerhin bringt es Umsatz.

Eine Stunde später. Luděk Pachl streift das schwarz-gelbe Trikot über - mit der Rückennummer Null, und seinem Spitznamen „Pešek" darüber. Das Spiel seines Eishockey-Klubs HC Litvínov läuft im Live­stream. Nach dem ersten Drittel sind die beiden Holztische im Nebenraum des Tuzex voll belegt. Vor dem weinroten Schlips von Rüdiger Czech dampft eine Portion überbackene Nudeln mit Speck und Sauerkraut. Gute proletarische Küche nennt Pachl das. „Essen, nicht aufs Handy gucken", schimpft Pachl. Czech nickt. Litvínov liegt Eins zu Zwei hinten.

In der letzten Saison war die Stimmung besser. Die Rollläden waren heruntergezogen und Pachl drosch auf eine Stadiontrommel ein. Als der Verein aus der Industriestadt am Rande der nordböhmischem Kohlegruben tschechischer Meister wurde, tanzten sie hier im Prenzlauer Berg auf den Tischen.

Nach Ladenschluss schwappt im Tuzex jeden Tag der Bierschaum über, vor allem wenn Eishockey läuft. Pachl knallt ein Bier nach dem anderen auf die Tische. Die Gäste kommen auch, um den kauzigen Ex-Punk zu sehen. US-Amerikaner, Architekten, Hartz-VI-Empfänger, Tschechen, Informatiker, Ostalgiker, Passanten, selten Frauen. Und Luděk Pachl gibt den Luděk Pachl.

Auf Passfotos vor der Wende trägt er die Haare wie Billy Idol, dann wie Robert Smith von The Cure, Lederhalsband, blaue und rote Flecken in den Haaren. Pachl erinnert sich an Schikanen, eine künstlerische Ausbildung durfte er nicht antreten. Er wiederholte gerade die letzte Klasse an der Berufsschule für Elektromonteure, als der Eiserne Vorhang fiel. Mit 19 kann er dann plötzlich alles haben: Amerikanische Zigaretten, Jeans, Kaugummis, Rambo-Filme, Pornos. Er muss nur ein paar Zugtickets fälschen. Mit Freunden reist er quer durch Europa, sie schlafen auf Straßen und an Stränden. In Neapel besetzen sie ein verrottetes Kino. Pachl schnorrt bis zu 100.000 Lira am Tag, kauft geschmuggelte Zigaretten, Whiskey, Wein, Grillhähnchen, LSD.

Irgendwann wird das Schnorren schwieriger, Pachl muss in andere Städte reisen. Das fühlt sich nicht mehr wie die große Freiheit an, eher wie Maloche. Freunde rutschen ab - nehmen Heroin, sterben an Überdosen.Im Winter 1997 - als er mal wieder nach Italien einreisen will - zieht ihn die Grenzpolizei aus dem Bus. Er wusste: Die einstudierte Geschichte, er sei aus dem Bürgerkriegsland Jugoslawien und habe deshalb keine Papiere, würde ihm am Brenner keiner abkaufen. Er stoppt zurück nach Tschechien und reist im Winter für ein Wochenende nach Berlin. Aus Prenzlauer Berg ist er nie wieder weggezogen.

Seit zehn Minuten verstehen die Gäste Pachl nur, wenn er wieder zu einer Tirade von Flüchen ansetzt. So viel Tschechisch haben sie von ihm gelernt. Litvínov ist inzwischen drei Treffer im Rückstand, das letzte Drittel fast vorbei. Pachl hat sich hinter seinem Kassentresen verkrochen, brummelt etwas vor sich hin und hängt sein Trikot an die Wand. Im Nebenraum kichern die Gäste in ihre halbleeren Krüge. Als jemand ein kleines Bier bestellen will, predigt Pachl: „Das ist doch höchstens was für Schwangere!". Und für Ex-Punks. Seit der Arzt ihm schlechte Leberwerte, eine kaputte Bauchspeicheldrüse und Gallensteine diagnostiziert hat, trinkt er nur noch aus 0,3-Liter-Krügen.

Eine Kneipenschlägerei als Tattoomotiv

In einer Ecke im Laden hängen gerahmte Fotos: Pachl mit blauer Tuzex-Kappe auf einem Motorrad; in Schwarz-Weiß, aus der Froschperspektive, vor einem Regal voller Becherovka, wie er mit nacktem Oberkörper ein Bierglas ansetzt - halber Liter. Auf seiner Brust prangen die Marionetten Spejbl und Hurvínek, auf seinem rechten Unterarm der Brave Räuber Fürchtenix. Über den ganzen Rücken hat er sich eine Kneipenschlägerei von Josef Lada stechen lassen. Pachl mag klare Linien, das Plakative in den Bildern des Folklore-Illustrators.

Pachl ist Punk im Ruhestand. Er will genug Geld verdienen, um einmal im Jahr am Palmenstrand liegen zu können. Provozieren will Pachl nur noch mit seiner Kunst. Kurz nach halb eins schlendert er deshalb in Pantoffeln über die glänzenden Kopfsteinpflaster in Prenzlauer Berg. Er trägt eine große Holzplatte. Zwei Stammgäste begleiten ihn, ein Anwalt und ein Architekt, beide um die Fünfzig. Der Anwalt trägt die Leiter, der Architekt das Bier. Ein paar Hammerschläge gegen eine Häuserwand und das Bild hängt: Rote Fläche, weißer Kreis. Das Hakenkreuz in der Naziflagge hat Pachl durch ein schwarzes Ampelmännchen ersetzt. An der Wand mit den klobigen Graffitis hängen weitere Variationen von Pachls Motiv - rote Fläche, statt der Swastika ein Herz, ein Hammer, eine Sichel.

Aus einer Tiefgarage rollt eine S-Klasse. Die drei ­nippen an ihrem Bier. „Du solltest die rote Phase hinter dir lassen", sagt der Anwalt. „Dein Bier kostet 1,40", sagt Pachl.


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