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Iss mich, ich bin von hier

Die Herkunft von Lebensmitteln ist vielen Menschen wichtig. Entsprechend bewerben die Händler ihre Produkte verstärkt mit "Regionalität". Dieses Versprechen wird aber nicht immer eingehalten.


Die Liebesgeschichte spielt irgendwo zwischen romantischen Backsteinhäusern und weiten, grünen Wiesen. In dieser schönen Welt, in der alles in Ordnung zu sein scheint, lebt die schüchterne Theresa, die sich in den Apfelbauern Hannes verliebt hat. Immer wenn er in seinem klapprigen Kleinlaster an ihr vorbeifährt, versteckt sie sich - bis eines Tages ein roter Apfel aus einer von Hannes' Holzkisten und ihr in die Hände fällt. Schnitt. Rewe-Markt. Theresa will den Apfel auf eine Apfelpyramide legen. Da trifft ihr Blick den von Hannes, der die Äpfel gerade aufschichtet. Beide lächeln.


Natürlich braucht ein Werbespot mit dem Titel "Eine regionale Liebesgeschichte" ein Happy End. Doch gibt es das auch für die, die die Lebensmittel dann kaufen? Inzwischen ist Verbrauchern, laut einer Studie der Unternehmensberatung A.T. Kearney, die regionale Herkunft sogar wichtiger als ein biologischer Anbau. Für vermeintlich bessere Qualität, besseren Geschmack, kürzere Transportwege, mehr Transparenz und eine starke lokale Wirtschaft sind viele bereit, mehr zu bezahlen. Einzelhändler haben das verstanden und die Region als Marketinginstrument für sich entdeckt. Die Werbeanzeigen, Produktnamen und Packungsaufkleber suggerieren grüne Wiesen, glückliche Tiere und vor allem kurze Transportwege. In Wahrheit kann der Handel diese Versprechen bei vielen Produkten nicht einhalten.


Es ist schwierig zu definieren, was "Regionalität" tatsächlich ist. Das ist das Grundproblem. Oft heißt es, dass ein Produkt aus dem näheren Umkreis, also der Region des Käufers kommen muss. Aber: "Gemeinde, Landkreis, Regierungsbezirk Bundesland - was die Menschen unter Region verstehen, ist sehr unterschiedlich", sagt Achim Spiller, Professor für Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte an der Georg-August-Universität Göttingen. Und weil man sich nicht auf eine Definition einigen könne, sind Begriffe wie "aus der Heimat", "von daheim" oder "aus der Region" werblich nicht geschützt. Bedeutet: Man kann sie fast überall draufschreiben, ohne bestimmte Kriterien erfüllen zu müssen.


Sind die Eier schon hart gekocht, entfällt die Kennzeichnungspflicht

Zu was das führt, zeigte die Verbraucherzentrale Bundesverband in einer Studie aus dem Jahr 2015. Tomaten in einem Saarbrücker Discounter wurden mit "Gutes aus der Region - Von Thüringen bis Sachsen bei uns gewachsen" beworben. Der Herkunftsort, Alperstedt in Thüringen, liegt 451 Kilometer von dem Laden entfernt. Eine Aufschnittplatte in einem Hamburger Discounter wurde mit "Das Beste von uns daheim" beworben, die Produkte kamen aber aus dem 482 Kilometer entfernten Schmölln in Thüringen.


"Vor allem was die Regionalität betrifft, finden Verbraucher kaum verlässliche Information", sagt Sabine Holzäpfel, Referentin für Lebensmittel und Ernährung der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Ein Beispiel: Zwar gibt es bei unbearbeiteten Lebensmitteln wie Fleisch oder Eiern eine gesetzliche Kennzeichnungspflicht hinsichtlich Haltung und Herkunftsort. Sobald das Produkt jedoch in irgendeiner Form verarbeitet werde, so Holzäpfel, entfällt diese Pflicht. Konkret: Auf jedem rohen Ei muss der Verbraucher anhand des Eiercodes den Herkunfts- und Verpackungsort sowie die Haltungsart ablesen können. Malt man das Ei jedoch an und kocht es, entfällt diese Pflicht.


Bei Fleisch kommt noch hinzu, dass kurze Transportwege oft gar nicht möglich sind. Weil Discounter oft in großen und zentralen Schlachtereien Fleisch verarbeiten, kann zwar das Produkt aus der Region des Einkaufs kommen, es muss aber für die Verarbeitung oder Verpackung in andere Regionen transportiert werden. Als Beispiel nannten die Autoren der Verbraucherschutz-Studie ein regionales Schnitzel aus einem Discounter. Die Tiere dafür seien in Sachsen-Anhalt gehalten und dort auch zerlegt und verkauft worden. Geschlachtet wurden sie jedoch in Niedersachsen. Das habe einen zusätzlichen Transportweg von etwa 290 Kilometern verursacht.


Doch nicht nur Discounter, auch Rewe taucht mehrmals in der Studie auf. Kaum ein anderer Händler wirbt so sehr mit der Regionalität seiner Produkte. Mit kleinen, bäuerlichen Strukturen, wie wohl einige Kunden denken, hat das allerdings nichts zu tun. Auf Nachfrage teilt der Einzelhändler mit, dass die Regional-Partner überwiegend Genossenschaften und Großbetriebe seien. "Um nicht Dutzende Lieferanten pro Region koordinieren zu müssen, braucht es schon eine gewisse Größe der Erzeuger und Erzeugergemeinschaften, um die erforderliche Menge in die Lager liefern zu können", heißt es. Marketingprofessor Spiller kennt die hohe Erwartung der Verbraucher: "Die Menschen sind dann enttäuscht, wenn sie erfahren, was wirklich dahintersteckt."


"Der Begriff 'Regionalität' sagt erst mal gar nichts aus, außer über die Herkunft", sagt auch Verbraucherschützerin Holzäpfel. Gleichwohl ist er positiv besetzt. Grüne Wiesen, Äpfel aus Holzkisten, junge Liebe. Auch wer die Werbung nicht gesehen hat, soll verstehen, warum er für das Produkt mehr zahlen soll.


Inzwischen herrscht in deutschen Supermärkten eine regelrechte Label-Kultur. Mehrere Hundert solcher Kennzeichen gebe es bereits, sagt Spiller. Dabei seien Labels an sich sinnvoll. Anhand der kleinen Sticker auf der Verpackung sollen sich Kunden über die Anbau- oder Aufzuchtkriterien der Lebensmittel informieren. Aber: "Jeder darf ein eigenes Label erfinden", sagt Spiller. "Kein Verbraucher kann wissen, was und wer hinter all diesen Labels steckt."


Das kann verwirrend sein - vor allem, wenn die Labels ähnlich heißen, die Auflagen dafür jedoch unterschiedlich sind. Spiller nennt das Beispiel Fleisch. Er selbst sitzt im wissenschaftlichen Beirat des "Für mehr Tierschutz"-Labels des Deutschen Tierschutzbundes. Vor Kurzem hat das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft ein staatliches "Tierwohl"-Kennzeichen angekündigt, das im kommenden Jahr eingeführt werden soll, zunächst nur für Schweinefleisch. Dabei gibt es schon ein "Tierwohl"-Siegel, und zwar von der Initiative Tierwohl (ITW), einem Zusammenschluss der großen Lebensmittelketten mit Verbänden und Unternehmen der Land- und Fleischwirtschaft. Und zur weiteren Verwirrung bieten die ITW-Händler seit Kurzem auch ein einheitliches, vierstufiges "Haltungsform"-Label an. Da fällt die Orientierung schwer.

Ein staatliches Dachlabel könnte helfen, den Verbrauchern hier mehr Sicherheit zu geben, sagt Spiller. Und zwar eines für Tierwohl, eines für Bio, eines für Klimafreundlichkeit und eines für Gesundheit. Vor allem einheitlich soll es sein.


Trotz aller Kritik räumen Spiller und Holzäpfel aber ein, dass sich im Bereich der Frischwaren schon einiges verbessert hat. So druckt Rewe nun etwa Regionalfenster auf viele Produkte, auf denen Herkunft und Verarbeitung genannt werden. "Der Kunde kann dann entscheiden, ob das Produkt regional genug für ihn ist", sagt Holzäpfel.


Das ist dann vielleicht keine furiose "regionale Liebesgeschichte", wie die Werbung suggeriert, aber zumindest eine ehrliche Beziehung zwischen Verbrauchern und Handel.

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