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Höhere Löhne braucht das Land

Poul Thomsen öffnet eine Flasche Wasser, bevor er richtig loslegt. Bekanntlich hilft es ja, beim Reden etwas mit den Händen tun zu können, gegen die Nervosität zum Beispiel. Allerdings dürfte den Europachef des Internationalen Währungsfondsfonds (IWF) eigentlich nichts mehr aus der Ruhe bringen. Bis vergangenes Jahr musste Thomsen mit zwei Bodyguards reisen. Als vor einigen Jahren die griechische Schuldenkrise ausbrach, vertrat er den IWF in der berüchtigten Troika und damit auch Entscheidungen, die ihm viele Menschen bis heute übel nehmen.


Nun steht der Däne in einem Raum voller Ökonomen, von denen einige seine zentrale Botschaft wohl nicht teilen werden: Unternehmen in Deutschland müssen die Löhne für ihre Mitarbeiter erhöhen, fordert Thomsen in seinem Vortrag, den er auf einer Veranstaltung des Münchner ifo-Instituts und der Süddeutsche Zeitung im Rahmen der Münchner Seminare hält.


Mit rund 300 Milliarden Euro habe die Bundesrepublik den größten Leistungsbilanzüberschuss der Welt, sagt Thomsen. Seiner Ansicht nach ist das ein großes Problem: "Der deutsche Überschuss wird weiter eine Hauptursache für globale Ungleichgewichte und Handelsspannungen bleiben. Wir sind besorgt darüber."

Der statistische Treiber dieses Überschusses sei allgemein bekannt, sagt Thomsen: Staat und Unternehmen würden zu viel sparen. 


Das bekämen zunehmend die deutschen Bürger zu spüren, denn vom Wirtschaftswachstum, das sie erarbeiten, bekämen sie immer weniger ab, sagt Thomsen. Das zeige der Anteil des privaten Konsums am Bruttoinlandsprodukt (BIP), der in den vergangenen 13 Jahren von 63 Prozent des BIP auf 58 Prozent im Jahr 2018 gefallen sei. Dies ginge Hand in Hand mit einem Rückgang des verfügbaren Haushaltseinkommens. Wenn Unternehmen in Deutschland die Löhne erhöhen würden, so argumentiert Thomsen, könnten die Menschen mehr konsumieren, die innerdeutsche Nachfrage würde steigen und damit würde sich schließlich auch die Handelsbilanz angleichen. Der Präsident des ifo-Instituts, Clemens Fuest, wirft ein, dass privatwirtschaftliche und staatliche Investitionen auf dem selben Level seien wie schon im Jahr 2001, nämlich bei etwa 19 Prozent des BIP. Der Unterschied jedoch sei, dass deutsche Unternehmen das Geld, das sie bei den Löhnen sparen, verstärkt ins Ausland investieren würden. Die Zukunft sähen sie also woanders.


Auch Thomsen hält das für ein Problem. Deutschland handle aber nicht nur bei diesem Thema wenig zukunftsfreundlich, sagt er. Die Rentenerhöhungen nach der Finanzkrise 2008 würden fast ausschließlich auf Kosten von jungen Menschen gehen. Das sei nicht nur in Deutschland so. Nach Zahlen von Eurostat seien EU-weit etwa 23 Prozent der Jugendlichen unter 25 Jahren von Armut gefährdet, jedoch nur etwa 14 Prozent der Rentner. Noch 2005 lagen beide Gruppen bei etwa 19 Prozent gleichauf. Vom deutschen Wirtschaftswachstums profitierten also vor allem Unternehmen und ältere Menschen.


Daher müsste Deutschland seine Steuerressourcen anders nutzen, sagt Thomsen. Zum Beispiel, indem man mehr Geld in Infrastruktur, Digitalisierung oder Weiterbildung steckt. Auch die Besteuerung von Arbeitskräften könne man senken. Der aktuelle Bundeshaushalt für 2019 sei dafür ein guter Anfang. Die Ziele für 2020 wären jedoch nicht ambitioniert genug.

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