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"Daten müssen nicht böse sein"

Manchmal sind kluge Sätze wie Eisstiele aus Kaugummi. Erst schwer zu kauen und dann viel zu schnell viel zu fad. "Daten sind Macht" ist so einer. Er sollte eine Warnung sein, eine Warnung vor Unternehmen wie Google und Facebook, die Daten sammeln, "die nicht umsonst seit Jahrhunderten von Geheimdiensten und anderen Machtapparaten gesammelt werden", wie Chaos-Computer-Club-Sprecher Frank Rieger im Jahr 2014 in einem Essay für die Bundeszentrale für politische Bildung schrieb. 


Wie ein Mantra wird dieser Satz seitdem wiederholt, in all seinen Abwandlungen. Auch bei der Einführung der Datenschutzgrundverordnung. Dabei trat jedoch oft in den Hintergrund, dass Daten auch vieles anderes sein können. Hoffnung, zum Beispiel, oder Fortschritt. Wie aber können Unternehmen beides miteinander vereinen, Fortschritt ohne die Datenmacht auszunutzen?


Die Lösung könnte das Start-up Statice bieten. Das Programm lässt sich am besten als ein digitaler Klon beschreiben. Unternehmen im Internet sammeln Daten von Personen, oft so viele und detaillierte, dass eine ganze Biografie daran erzählt werden könnte. Statice kreiert aus diesen Daten einen komplett neuen Datensatz, der dem originalen statistisch beinahe gleicht - nur ist der Mensch dahinter nicht mehr zu erkennen, also anonym. Das Ziel: "Wir wollen KI fördern, ohne den Menschen das Gefühl zu geben, dass ihre Daten geklaut werden, à la Facebook", sagt Sebastian Weyer, CEO und Gründer des Berliner Start-ups.

Daten für maschinelles Lernen sind eigentlich nur Statistiken. Das macht es möglich, dass Innovation auch mit der neuen Datenschutzgrundverordnung konform geht.


Gewachsen ist Statice an der Frage, warum Unternehmen mit ihren Daten nicht öfter zusammenarbeiten. Das war 2017. Weyer, heute 26 Jahre alt, arbeitete damals für Wattx, über das Vehikel sucht und investiert das für Heizungsbau bekannte Familienunternehmen Viessmann in neue Ideen. Gemeinsam mit seinem Kollegen, Mikhail Dyakov, 29, fand Weyer dann die Antwort. Unternehmen arbeiten nicht öfter und enger zusammen, weil sie datenschutzrechtliche Bedenken haben. Sie fürchten um ihre Daten und Technologien.

Mikhail Dyakov, Sebastian Weyer und Omar Ali Fdal (v.l.) wollen es Unternehmen ermöglichen, Daten auszutauschen. Gleichzeitig sollen die Datenurheber komplett anonym bleiben.


Als die DSGVO im vergangenen Jahr in Kraft trat, wurde damit auch ein gutes Stück "Wilder Westen" gezähmt. Das sei eine gute Sache, sagt Weyer. Zum einen haben Verbraucher eine bessere Übersicht darüber, was Unternehmen mit ihren Daten machen. Unternehmen wiederum dürfen Daten von Verbrauchern nur für einen zuvor festgelegten Grund erheben und auch nicht ohne Weiteres weitergeben.


"Das ist verständlich, aber schade", sagt Weyer. Denn neue Technologien benötigen häufig eine größtmögliche Datenbasis. Wer im "Wilden Westen" diese Daten schon gesammelt hat, ist im Vorteil, denn mittlerweile ist das um einiges schwerer. Den Vorsprung aufzuholen, ist beinahe ein Ding der Unmöglichkeit, was die Macht der entsprechenden Unternehmen immer weiter stärkt.


Neue Fragen, neue Antworten: Was können Mittelständler tun? Sie können, sagt Weyer, einen Datenpool bilden. Aber wie kann das funktionieren? "Die Daten, mit denen der Algorithmus lernt, sind nur statistische Auswertungen, mal komplexer und mal weniger", erklärt Weyer. Einfacher ausgedrückt: Einer KI ist es egal, ob ein Datum von x oder y kommt. Gleichzeitig ist zur Einhaltung der DSGVO nur wichtig, dass über die geteilten Daten nicht auf die Identität der Menschen zurückgeschlossen werden kann. Wenn man aber nur den Namen aus einem Datenpaket nimmt, heißt das noch lange nicht, dass der Urheber wirklich anonym ist. Je mehr Daten man jedoch löscht, desto weniger taugen sie zum maschinellen Lernen. "Es ist entweder zu viel oder zu wenig", sagt Weyer.


Um dieses Problem zu lösen, holten sich Weyer und Dyakov Verstärkung. Der Daten-Wissenschaftler Omar Ali Fdal, 31, komplettierte das Gründerteam. Bei der Finanzierung half im ersten Jahr Wattx. Trotzdem: Man müsse sich aber klar darüber sein, dass man viel opfern müsse, sagt Weyer. Gehalt sei das eine, Freizeit das andere. Er hat aus dieser Zeit gelernt: "Es ist okay, mal einen Schritt zurückzugehen und Grenzen zu ziehen. Nur dann bleibt man stabil." Die höchsten Erwartungen stelle man immer an sich selbst. Bevor man sich versehe, arbeite man 80 Stunden pro Woche. "In diese Dinge darf man nicht reinfallen."

Begonnen hat Statice im Gesundheitsbereich. Sie halfen mehreren Gesundheitsapps beim Analysieren ihrer Daten und gaben diese weiter in die Forschung. "Die Unternehmen haben ein besseres Produkt und Mediziner können jetzt Tausende Patientendaten auswerten, die sie sonst nicht hätten." Eine Win-win-Situation.


Anfang dieses Jahres sammelte Statice eine siebenstellige Summe von Risikokapitalgebern ein. Die Gründer bleiben trotzdem weiter Hauptanteilseigner. Mit der Finanzspritze wollen die drei in den Finanz- und Versicherungssektor expandieren. Jetzt könne es richtig losgehen, sagt Weyer. Sein Ziel ist, überall die zentrale Brücke zu sein, wo Daten gemeinsam genutzt werden. Denn er ist davon überzeugt: "Daten müssen nicht böse sein."

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