Der Mozartsaal in der Stuttgarter Liederhalle ist gut gefüllt. Eko Fresh wird auftreten - doch erst am Ende. Im Fokus des Konzertprojekts "Deutschlandlieder" stehen andere. Denn vor 60 Jahren kamen Menschen im Zuge des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens ins Land, um in Fabriken zu arbeiten.
Wie der baden-württembergische Finanzminister Danyal Bayaz ist Eko Fresh in Deutschland geboren. Während der Grünen-Politiker aus einer Akademikerfamilie stammt, kam der Großvater des Musikers als Gastarbeiter nach Deutschland. Und doch verbindet die beiden einiges. Eine Begegnung in der Hotellobby.
Eko Fresh: Ich weiß, dass er Hip-Hop mag, aus Heidelberg kommt, eine große Hip-Hop-Stadt.
Danyal Bayaz: Genau, der Hip-Hop. Zugespitzt gesagt, bin ich wahrscheinlich erst beim Hip-Hop gelandet, dann in der Politik. Rap hat mich auch in meinen Teenie-Jahren kulturell geprägt. Torch, der Erfinder des deutschen Hip-Hops, der schon früh in den 90ern auch über Rassismus und Fremdenfeindlichkeit rappte, kommt auch aus der Stadt. Als Eko bekannt wurde, habe ich ihn durchaus wahrgenommen und gedacht: "Hey, da ist ein Typ, der macht sein Ding, der nimmt auch gern mal den Mund voll, hat aber auch immer eine politische oder gesellschaftliche Botschaft."
Fresh: Dankeschön. Anfangs war meine Musik nicht politisch, das konnte ich gar nicht. Ich war 16, als ich anfing, und mit 18 war ich schon total bekannt. Damals waren meine Sachen eher unterhaltender Natur. Aber es war immer eine Prise Sozialkritik dabei. Mit der Zeit wurde das dann mehr.
Das Konzertprojekt "Deutschlandlieder" führt mit Musik mit kulturellem Hintergrund Gastarbeiter zusammen. Warum ist die Veranstaltung so wichtig?
Bayaz: Der 60. Jahrestag des Anwerbeabkommens ist ein historischer Fixpunkt, an dem wir rekapitulieren und der ersten Generation dankbar für ihre Leistungen für dieses Land sind, aber auch auf heute schauen, welche Akteure mit Migrationshintergrund unsere Gesellschaft prägen. Ich finde, wir haben große Fortschritte gemacht und Deutschland ist ein großartiges Land. Heute ist es mir besonders wichtig, den Fokus auf die Geschichtenerzählerinnen und Geschichtenerzähler zu lenken. Es hat auch etwas mit Partizipation zu tun, dass die Leute als Protagonisten ihre Geschichten selbst erzählen können.
Eine späte Anerkennung.
Fresh: Genau. Ich bin auch nur ein kleines Rädchen bei der Veranstaltung. Ich komme gegen Ende, um zu sehen, wo wir heute stehen, es wird eine Zeitreise gemacht. Es ist eine Ehre, mit so tollen Lebensleistungen in einer Reihe zu stehen. Ich finde es wichtig, dass die ihre Props (deutsch: Respekt / Anerkennung, Anm. d. Red.) bekommen, wie wir das in der Hip-Hop-Sprache sagen würden.
Hat sich in der Politik etwas geändert, gibt es heute mehr Aufmerksamkeit für Integrationsthemen?
Bayaz: Baden-Württemberg ist ein internationales, weltoffenes Land. Manchmal besuche ich Schulklassen, da haben 80 Prozent der Kids einen Migrationshintergrund. Wenn ich diesen jungen Menschen versuche, Mut zu machen, dass man in diesem Land auch etwas reißen kann, sehe ich viel Optimismus in ihren Augen. Leider haben wir immer noch die Situation, dass soziale Herkunft und Bildungserfolg noch viel zu stark zusammenhängen.
Fresh: Ganz genau. Chancengleichheit und Bildung sind auch meine Themen. Ich habe meinen Beruf nie karitativ gemacht. Ich habe immer Dinge unterstützt, aber letztendlich habe ich finanzielle Unabhängigkeit angestrebt. Sobald die im Ansatz da war, hat mich das schon gar nicht mehr so sehr interessiert. Immer mehr kam mir der Gedanke: "Wie erzähle ich den anderen, wie das geht?" Deutschland ist ein tolles Land für Leute, die sich vielleicht nicht gesehen fühlen oder abgehängt sind. Die noch abzuholen und ihnen Mut zu machen, das ist mein Auftrag geworden.
Das thematisieren Sie auch in Ihren Songs. "60 Gastarbeiter Bars" beginnt ein bisschen wie eine Ode an die Heimat Deutschland. "Wir sind doch mehr als ein paar Ausländer mit Dönerläden (...) / Hier aufzuwachsen war ein Segen" - Was ist Heimat für Sie?
Fresh: Die Antwort ändert sich je nach Tagesform. Aber Fakt ist, dass ich von hier komme. Wenn ich in der Türkei wohnen würde, wüsste ich nicht, wie ich anfangen soll, ich bin hier so verwurzelt. Wenn ich bei Türkei-Fragen höre: "Was sagst du denn dazu?", dann antworte ich: "Keine Ahnung". Ich kenne das ja auch nur aus dem Fernsehen.
Herr Bayaz, waren Sie als junger Mensch auf Identitätssuche?
Bayaz: Heidelberg ist eine internationale Stadt. Für mich war das normal, mit unterschiedlichen kulturellen Backgrounds groß zu werden. Ich habe auch keine unmittelbaren Rassismuserfahrungen gemacht, bis auf flapsige Bemerkungen auf dem Bolzplatz. Vielleicht habe ich da auch einfach Glück gehabt oder war etwas naiv unterwegs.
Und heute?
Bayaz: Rückblickend denke ich anders darüber. Ich habe das mit meinem Einzug in den Deutschen Bundestag gemerkt, mit dem Erstarken der AfD und rechtsextremer Strömungen, aber auch mit dem Erdoğan-Konflikt, der in viele türkischstämmige Familien in Deutschland geschwappt war. Journalisten rufen einen an und fragen: "Das mit Mesut Özil - wie finden Sie das?". Man möchte mir irgendwie ein Bekenntnis abringen. Da habe ich gemerkt, jetzt ist diese Frage nach Identität und Heimat voll da.
Sie sagten, dass Sie keinen Rassismus erfahren hatten, als Politiker jedoch schon. Können Sie sich erinnern, wann der Ton umschlug?
...
Rétablir l'original