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Reportage

Do-it-yourself auf acht Rollen

Warum Roller-Derby als Sport bei Frauen so beliebt ist – fluter.de 16.08.2011

"Go Queens!", schreit eine Gruppe junger Mädchen von der Tribüne. Sie sind verkleidet wie Prinzessinnen. Nur sind ihre Kleider nicht rosa, sondern schwarz, denn ihre Vorbilder sind eher Furcht einflößend als niedlich. Die Teenagerinnen kreischen, während die Spielerinnen der Queens of Pain in ihren silber-schwarzen Outfits auf Rollschuhen über die Bahn rasen. Außer ihnen sind noch 1.000 weitere Zuschauerinnen und Zuschauer in die Sporthalle des Hunter College nach Manhattan gekommen. Sie alle sind hier, um ein Saison-Spiel der Queens of Pain gegen die Manhattan Mayhem zu sehen. Die zwei Teams mit den martialischen Namen gehören zu den New Yorker Gotham Girls, einer Roller-Derby-Liga.

Hört man die Worte Frauen und Rollschuhe, denkt man meist an 1980er-Jahre, Shorts und Strandpromenaden und weniger an rauen Vollkontaktsport. Doch genau das ist Roller-Derby und es ist auf dem Vormarsch. In den vergangenen neun Jahren ist die Zahl der Ligen weltweit von Null auf über 600 angestiegen. Die Heldinnen des Roller-Derbys sind ausschließlich weiblich. Zwar gibt es seit kurzem auch ein paar männliche Amateurligen in den USA, doch waren es Frauen, die 2001 die alte Idee vom Roller-Derby wieder entdeckten.

In den 1930er-Jahren waren Roller Derbys reine Ausdauerrennen auf Rollschuhen. Mit der Zeit jedoch entwickelte es sich zu einem Kontaktsport, der vor allem in den 1970er-Jahren sehr populär war, bevor er fast ganz in Vergessenheit geriet. Damals organisierten Sport-Promoter Shows, mit denen die Teams von Stadt zu Stadt reisten und Hallen mit tausenden Zuschauern füllten. Ähnlich wie beim Wrestling lag der Fokus auf der reinen Unterhaltung der Zuschauer. Und so waren Verlauf und Ausgang der Spiele abgesprochen. Am Ende zählte nicht der Wettkampf, die Kasse musste stimmen. Damit hat Roller-Derby heute nicht mehr viel zu tun.

Kriegsbemalung und Knieschoner

Suzy Hotrod ist ein typisches Rollergirl. Selbstbewusst, athletisch und mit einer Punk-Attitüde verkörpert sie ein modernes Frauenbild, das sowohl männlichen als auch weiblichen Zuschauern gefällt. Obwohl Roller-Derby ein Teamsport ist, geben sich die Spielerinnen Pseudonyme wie Bonnie Thunders, Donna Matrix oder Greta Turbo, die meist humorvolle Anspielungen auf berühmte Persönlichkeiten sind.

Wenn Suzy für die New Yorker Gotham Girls als Jammerin an den Start geht, bekommen ihre Gegnerinnen meist feuchte Hände. Mit ihrer Punkfrisur, der Kriegsbemalung unter den Augen sowie den vielen Tätowierungen wirkt sie durchaus Furcht einflößend. Roller Derby ist ein hartes und ein taktisches Spiel. Bei einem Bout – so nennt man den Wettkampf – treten pro Mannschaft 14 Spielerinnen an. Pro Team und Jam (das sind die maximal zwei Minuten dauernden Runden) gehen fünf Spielerinnen auf die Bahn. Doch nur eine von ihnen, die Jammerin, kann Punkte holen – für jede Gegnerin, die sie überrundet. Am Ende der 60 Minuten eines Bout entscheidet der Punktestand.

Die zwei rivalisierenden Jammerinnen starten hinter dem "Pack", bestehend aus zwei mal vier Blockerinnen. Jede Jammerin muss versuchen, sich ihren Weg durch das gegnerische "Pack" zu bahnen. Die Blockerinnen versuchen dabei, es ihrer eigenen Jammerin so einfach und es der gegnerischen Jammerin so schwer wie möglich zu machen. Dafür dürfen sie ihre Körper von der Hüfte bis zur Schulter für Bodychecks einsetzen. Helm, Mundschutz, Knie-, Ellbogen- sowie Handgelenkschoner gehören daher zur Roller-Derby-Ausrüstung.

Der Sport hat mein Leben völlig verändert

Suzy zählt zu den besten Spielerinnen der USA. Dafür trainiert sie vier- bis fünfmal in der Woche. Dabei konnte sie, als sie angefangen hat, noch nicht einmal Rollschuh laufen. "Als ich das erste Mal davon gehört habe, bin ich hingegangen, weil mir einfach langweilig war", sagt sie. Heute, sieben Jahre später, sei es ihr Lebensinhalt. "Ich werde spielen, bis ich körperlich nicht mehr in der Lage dazu bin. Das ist das Einzige, in dem ich wirklich gut bin", erzählt sie und lacht.

So wie Suzy geht es vielen Rollergirls, die sich von der Geschwindigkeit und dem Gemeinschaftsgefühl, aber auch von den Aggressionen, die man als Frau beim Roller-Derby offen ausleben darf, angezogen fühlen. "Der Sport hat mein Leben völlig verändert", erzählt eine Spielerin der Queens of Pain, The Beirut Bombshell. Sie habe hier gelernt mit Menschen zusammenzuarbeiten, mit denen sie sonst nichts zu tun hätte, erzählt die Journalistin. Die Frauen kämen aus allen Gesellschaftsschichten. "Wir haben Mütter, Journalistinnen, Kreative und IT-Spezialistinnen", ergänzt Kandy Kakes. Sie selbst klettert im richtigen Leben als Stahlarbeiterin auf New Yorks Brücken herum.

Beim modernen Roller Derby spielt der "Do it yourself"-Geist eine wesentliche Rolle. Die Spielerinnen managen alles selbst: Vom Training über die Veranstaltungsorganisation bis hin zur Verwaltung des Dachverbandes, der Women’s Flat Track Derby Association (WFTDA), ist alles in Frauenhand. Genau diese Selbstbestimmung dürfte einer der Gründe sein, weshalb die Szene so rasant wächst, auch in Europa. Dort waren 2006 die London Rollergirls und die Stuttgart Valley Rollergirlz die ersten Mannschaften. Mittlerweile gibt es über hundert europäische Teams, die zu regelmäßigen Freundschaftsspielen gegeneinander antreten. Und Anfang Dezember wird in Toronto sogar die erste Weltmeisterschaft in der Geschichte des Roller Derbys ausgetragen. Auch Deutschland geht mit einer Nationalmannschaft an den Start. Und wird wahrscheinlich auf Suzy Hotrod von den New Yorker Gotham Girls treffen, die gespannt auf eine Zusage für das Nationalteam der USA wartet.

Foto: CP Krenkler