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"Holt den Pott, Jungs"

Bild: rbb/Dobers

Die kleinen Geschichten des Finaltags - "Holt den Pott, Jungs"

Da das DFB-Pokalfinale als Geisterspiel ausgetragen wurde, fehlten die zehntausenden Fans, die für gewöhnlich das Stadtbild in Berlin am Pokalwochenende prägen. Gänzlich frei von Fanpräsenz war die Hauptstadt am Finaltag allerdings nicht. Von Marius Dobers

Die "Bretterbude" in Friedrichshain ist am Nachmittag noch vernagelt. Erst zwei Stunden vor Anpfiff öffnet die bei Bayern-Fans beliebte Kneipe ihre Tore. Unter anderen Umständen würde hier jetzt schon der Bär steppen, aber in diesem Jahr ist eben nichts so wie sonst. Auch am Alexanderplatz kommt keine Stimmung auf. Statt eines Fan-Fests schlendern Shoppende über den Platz, während parallel eine Demo gegen 5G und Bill Gates stattfindet. Stellt sich die Frage, wo man sich sein Pokalfeeling herholt. Im Autokino in Schönefeld zeigen sie das Finale auf großer Leinwand. Eine Option außerhalb der Stadtgrenze. Die Berliner Freiluftkinos haben sich derweil für ein anderes Abendprogramm entschieden: "Dirty Dancing" und "The Big Lebowski" statt "Dirty dribblings" und "The Big Lewandowski".

Ein Banner, eine Message

Die meisten Fans lassen sich rund um den Potsdamer Platz finden. Es hatte sich herumgesprochen, in welchen Hotels sich die Finalisten für das Wochenende einquartiert haben. Gerade einmal wenige Fußminuten trennen die Unterkünfte der beiden Teams. Einige der Bayern-Fans waren anscheinend kurz zuvor im nahegelegenen Bayern-Fanshop, den die Münchener vor einigen Jahren in der Mall of Berlin eröffnet hatten. Mehrere Trikots mit dem Flock des Nationalspielers und Neuzugangs Leroy Sané zieren die Rücken der Wartenden. Die kommende Saison wirft bereits ihre Schatten voraus.

Vor dem Leverkusener Hotel haben sich ebenfalls Fans versammelt. Der Support der wartenden Anhänger wirkt dabei deutlich organisierter. Ein Fanclub junger extra angereister Bayer-Fans ist hier wortführend. Wechselgesänge ("SVB! SVB!") werden von der einen Seite der Absperrung zur anderen gestartet. Die Gegenseite antwortet. Die Stimmung ist gut. Ein Mitglied des Betreuerstabs der Werkself verteilt an alle Wartenden Schutzmasken im Leverkusen-Design. Die meisten trugen bereits eine Maske, tauschen diese aber gerne gegen den Fan-Artikel aus. Als das Team mit dem Bus in Richtung des Olympiastadions startet, wird es noch einmal richtig laut. Der Fanclub spannt am Straßenrand ein Banner zum Abschied: "Holt den Pott, Jungs".

Leere Bahnhöfe und Rammstein-Fans

Auf dem Weg zum Olympiastadion vergisst man dann fast wieder, dass um 20 Uhr ein Finale steigt. Der Breitscheidplatz ist ebenfalls für gewöhnlich Anlaufpunkt für die Fans. Zwar ist er mit Buden besetzt und wird mit lauter Musik beschallt, bleibt dabei aber frei von jeglicher Fußballfolklore. Fans, die ihre Trikots spazieren tragen und sich gemeinsam in Stimmung für das Finale bringen, sucht man hier vergebens. Fährt man den Kurfürstendamm entlang, sieht man dann wieder vereinzelte Fans des FC Bayern in den Stühlen der ansässigen Gastronomien sitzen.

Während ein Regenschauer die ohnehin schon bescheidenen Pokalstimmung weiter trübt, singt am S Bahnhof Charlottenburg ein Straßenmusiker von sich durchkämpfenden Sonnenstrahlen. Kurze Zeit später ist der Schauer vorbei. Es hat wohl geholfen. Ein kleiner Lichtblick für alle, die sich das Spiel unter freiem Himmel anschauen wollen. Am S-Bahnhof Olympiastadion blickt man knapp eine Stunde vor dem Anpfiff über leere Gleise. Das gleiche Bild am U-Bahnhof. Auch auf dem Vorplatz des Stadions ist kaum etwas los. Die Bitten der Verantwortlichen scheinen gefruchtet zu haben. Ein jonglierender Einradfahrer performt für die wenigen Anwesenden. In Hörweite befindet sich eine handvoll Rammstein-Fans. Sie haben es sich auf dem Boden gemütlich gemacht und stoßen gemeinsam an. Eigentlich hätte am heutigen Tag das erste von zwei Konzerten ihrer Lieblingsband im Olympiastadion stattfinden sollen. Durch die Corona-Pandemie wurden die Auftritte vorerst auf 2021 verschoben. Sie teilen das Schicksal mit einer weiteren Kleingruppe, die an einem Imbiss am S-Bahnhof verweilt. Die Betreiber haben über die Anlage Rammstein in ordentlicher Lautstärke geschaltet. Man macht das Beste aus der Situation.

Im Gasthof geht's zur Sache, vor dem Stadion bleibt es ruhig.

Ganz in der Nähe des Stadions befindet sich ein Gasthof. Nach dem Eintrag in die gastronomische Gästeliste erhält man Einlass. Hier trifft man einige Fußballfans an, die zumindest im Umkreis des Olympiastadions das Spiel genießen wollten. Die Fans der Münchener sind hier deutlich in der Überzahl. Die Minen der wenigen anwesenden Leverkusener verdunkeln sich spätestens nach 25 Minuten und dem frühen 2:0 durch Serge Gnabry, zuvor hatte David Alaba (16.) für das erste Tor des Abends gesorgt. Die Bayern-Fans stimmen erste Double-Gesänge an. Die Stimmung aller, die es mit den Bajuwaren halten, steigt von Minute zu Minute. Gleichzeitig scheint jede Spannung verflogen zu sein, die sich bis zum Anpfiff aufgebaut haben könnte. Worauf sich alle Anwesenden aber einigen können: Ein Finale mit Fans macht deutlich mehr Spaß.

Auf dem Vorplatz des Stadions ist es immer noch ruhig. In der Halbzeitpause nähern sich dann knapp zehn Fans in blauen T-Shirts dem Stadion. Allerdings keine Hertha-Anhänger, die nach dem Rechten sehen. Es sind Fans von Hansa Rostock. Möglicherweise hatten diese ihrer Mannschaft ein paar Stunden vorher noch in Chemnitz beim letzten Ligaspiel symbolischen Beistand geleistet und entschieden sich auf der Heimfahrt für den Halt auf halber Strecke. Nach einem kurzen Stopp geht es für sie weiter gen Norden. Der Einradfahrer hat sich inzwischen auf den Boden gesetzt. Seine Performance ist unterbrochen. Die weiteren Anwesenden verfolgen ohnehin das Spiel auf ihren Smartphones und Tablets. Die Pfiffe des Schiedsrichters und Rufe der Spieler sind hier draußen deutlich zu vernehmen. Den TV-Ton bräuchte man zur Not nicht. Die anwesenden Polizisten müssen sich nicht um große Fanansammlungen kümmern. Stattdessen machen sie unter Einhaltung des Sicherheitsabstands Fotos mit einem Jürgen Klopp-Double. Es ist eben ein etwas anderer Pokalabend.

"Holt den Pott, Jungs" in der nächsten Saison?

Dann steht fest: Der FC Bayern ist Pokalsieger. Pünktlich zur Pokalübergabe färbt sich die neue LED-Fluchtlichtanlage des Stadions rot und weiß. Die Anhänger aus dem Gasthof machen sich nach und nach auf den Heimweg. Keine ausgiebigen Partys oder spontane Pokalkorsos, auch wenn einige Weizen über den Tresen gegangen sind. Am Potsdamer Platz stehen dann anderthalb Stunden nach Abpfiff wieder Fans vor den Hotels der Teams. Der Fanclub der Leverkusener hat sich erneut in Position gebracht und erwartet die Rückkehr seiner Mannschaft. Ob sie ihr Banner noch einmal gespannt haben, ist nicht überliefert. Sie hatten es zumindest griffbereit.

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