Der Himmel ist bedeckt und es ist kühl, an diesem Morgen um 9Uhr am Tor 3 des Flughafens. Schräg gegenüber von der Konzernzentrale der Fraport werden in einem kleinenBürocontainer Besucherausweise ausgestellt. Schon vorher sind alle Menschen, die dort sind, durchleuchtet worden. Denn es geht zumsensibelsten Bereich des Frankfurter Flughafens: auf das Vorfeldund zwischen die Startbahnen. Die Stimmung ist ausgelassen, trotzdes Winds und der grauen Wolken. Die Leute kennen sich, stehenzusammen und scherzen miteinander. Alle duzen sich, alle tragengroße Rucksäcke.
17 sogenannte Planespotter (englisch für Flugzeugbeobachter) sind heute versammelt. Schnell finden sich Gesprächspartner. DieSpotter sind aufgeschlossen, eine kleine aber treue Gemeinschaft. Viele sind schon bei mehreren Touren dabei gewesen. Aber warum?Was fasziniert Menschen so sehr an Flugzeugen, dass sie sich bei schneiden dem Wind mit mehreren Kilogramm Fotografieausrüstung vier Stunden lang nach draußen wagen?
Technik, Ästhetik und Abenteuer
„Im ersten Jahr bin ich alsFrau schon schief angegucktworden.“ - Sabine Lange, Planespotterin
„Die Technik“, sagt Oliver Louis sofort. Der junge Mann ist seitrund sieben Jahren Planespotter. Seine Ausrüstung hat einenNeuwert von mehreren tausend Euro. „Aber auch die Ästhetik“, sagt Sabine Lange*. Die anderen nicken zustimmend. Sabine ist selbst Journalistin, aber an diesemTag privat da - und die einzige Frau. „Im ersten Jahr bin ich als Frauschon schief angeguckt worden“, lacht sie. Ralf Drews, der die Tourüber die Seite Aviation Friends Frankfurt organisiert hat, bringt noch einen Aspekt in die Diskussion ein: „Wenn ich morgens sehe, wie ein Flugzeug in Tokio oder Osaka startet und ich das dannabends in Frankfurt bei der Landung fotografieren kann, das ist schon toll.“ Und Oliver Holzbauer erklärt: „Manche sammeln besondere Lackierungen, andere Registrierungsnummern.“
Es sind die verschiedensten Motivationen, die sie an diesem Tag an den Flughafen gebracht haben, aber sie alle vereint die Faszination für die Luftfahrt. Wo diese herkommt, wird mir kurze Zeit später bewusst. Nach der Ausgabe der Ausweise und einer gründlichen Überprüfung, wie sie auch Passagiere durchgehen, kommt die Schleuse zum Bus, der die Gruppe auf das Vorfeld bringen wird.
Ein außergewöhnlicher Ort
Als dann die Schiebetüren aufgehen, der Geruch von Kerosin hereinströmt und der erste Gepäckwagen mit seinem charakteristischen Motorengeräusch vorbeifährt, ist es, als betritt man eine andere Welt. Kurz wirkt es, wie in einem Science-Fiction-Film, auf einer Raumstation vor Beginn einer großen Expedition. Den Flughafen von einer ganz anderen Seite kennenlernen, diesen Maschinen, die teils hunderte Tonnen wiegen und sich trotzdem so elegant in die Luft erheben nahe zu sein, das ist etwas Besonderes.
„Die Linie wird nichtübertreten. Wenn doch, binich auch bereit, die Tour abzubrechen.“ - MartinStiller, Fraport AG
Nach einer kurzen Fahrt mit dem Bus steht die Gruppe mitten auf dem Vorfeld. Hinter ihnen das Terminal, vor ihnen rollen Flugzeuge zur Startbahn. So nahkommen den Maschinen sonst nur Menschen, die Verreisen oder am Flughafen arbeiten. Der Bewegungsbereich wird beschränkt durch eine rot-weiße Linie. Denn auch auf dem Vorfeld gibt es Verkehrsregeln. Wie wichtig diese Linie ist, hatte zuvor Martin Stiller von Fraport, verdeutlicht:„Die Linie wird nicht übertreten. Wenn doch, bin ich auch bereit, die Tour abzubrechen.“
Stiller ist ein Mann in den Fünfzigern, graue Haare, Bart und Brille. Normalerweise arbeitet er in der Kommunikationsabteilung der Fraport, aber es zieht ihn immer wieder aufs Vorfeld. Jetzt wacht er in eine grellgelbe Jacke gekleidet mit Argusaugen über die Gruppe. Was dort draußen passiert, liegt in seiner Verantwortung. Diese Verantwortung ist groß, die kleinsten Fehler können zu Verzögerungen im Flugablauf und damit zu immensen Kosten führen. Aber es geht alles gut an diesem Tag. Und weil er viele der Spotter kennt und ihnen vertraut, gibt es einen ganz besonderen Höhepunkt bei dieser Tour: die Besichtigung eines Flugzeugs von innen. Ein Raunen geht durch die Gruppe, als Stiller das andeutet.
Ins Cockpit
Es ist eine MD-11 der Lufthansa Cargo, welche die Gruppe besichtigen darf. Die Begeisterung ist groß, denn das Flugzeug mit seinen drei Turbinen ist nur selten zu sehen. Sogar aus dem europäischen Ausland kommen Spotter nach Frankfurt, um die Maschinen abzulichten, erklärt einer der Teilnehmer. Vor dem Flugzeug wird das allgegenwärtige Kerosin von intensivem Fischgeruch überlagert. Sechzig Tonnen Fisch hatte der Frachter zuletzt geladen.
Trotz des Geruchs ist die Frachtmaschine für die Spotter der Höhepunkt der Tour. Kleinste Details werden abgelichtet, die Maschine durch die Kamera erforscht. Mit vollem Körpereinsatz wird der perfekte Blickwinkel gesucht. Im Sitzen, im Stehen, sogar im Liegen. In Fünfergruppen dürfen die Spotter auch einen Blick in Frachtraum und Cockpit der Maschine werfen. Eine Möglichkeit, die sich nicht oft ergibt. „Das gibt es nicht bei jeder Tour. Das muss ja erstmal genehmigt werden“, sagt Stiller. Entsprechend schwierig ist es, die Teilnehmer wieder in den Bus zu bekommen.
Es klappt aber dann doch und die Gruppe setzt sich wieder in Bewegung. Dieses Mal geht es zwischen die Landebahnen, auf die schmalen Asphaltstreifen, die zur Instandhaltung der Grünflächen genutzt werden. Das Donnern der Düsen weniger als 200 Meter entfernt ist bei den Starts ohrenbetäubend. Flugzeuge rollen vorbei, viele Piloten winken, sie scheinen das Schauspiel zu kennen. Immernoch weht ein kräftiger Wind und trägt nach jeder Landung den Geruch von verbranntem Gummi der aufsetzenden Reifen der Flugzeuge herüber. Zwischen der Ankunft einer 787 der Air India und dem Start eines A340-600 der Lufthansa ergibt sich erneut die Möglichkeit zum Gespräch.
„Ich war schon auf derganzen Welt.“ - EinPlanespotter über seine Reisen
„Ich war schon auf der ganzen Welt, das ist halt mein Hobby“,erzählt ein Spotter, der gerne anonym bleiben möchte. In Chile habe er in den Anden auf viertausend Meter Höhe alte Propellermaschinen fotografiert, in Moskau habe er nur Flieger abgelichtet, die er bisher noch nicht vor die Kamera bekommen hatte. Offenbar spielt auch Sammelleidenschaft eine Rolle, wenn Menschen Flugzeuge mit Fotoapparaten verfolgen. Von einer echten Verfolgungsjagd erzählt auch ein weiterer Spotter an dieser Stelle. Er sei für gute Bilder an einem Tag 400 Kilometer gefahren. Erst rund um den Flughafen in Amsterdam, dann noch zurück nach Frankfurt, um einen Flieger in Sonderlackierung zu erwischen, von dem ihm ein Freund am Telefon erzählt habe.
Jagdszenen auf dem Rollfeld
Kurz vor Ende der Tour erwacht noch einmal der Jagdinstinkt in den Spottern. Ein Jumbo Jet der Lufthansa in Jubiläumslackierung ist bereits gelandet und auf dem Weg zum Terminal. Vielleicht lassen sich noch ein paar Bilder von der Maschine ohne störende Gebäude machen. Stiller treibt alle in den Bus, es scheint, als wolle auch er sich den Anblick nicht entgehen lassen. Kurz darauf rast der Bus über die Rollbahn. Der Fahrer muss einen Umweg fahren, um dem Flugverkehr nicht in die Quere zu kommen.
Die Startbahnen in Frankfurt sind rund vier Kilometer lang, eine Abkürzung gibt es nicht. Die Boeing hat die Rollbahn schonv erlassen und befindet sich auf dem Vorfeld. Da biegt das Flugzeug ab, steuert Richtung Terminal, es ist zu spät. Es wären sicher aufregende Bilder geworden, wie der Flieger vor den aufbrechenden Wolken über das Vorfeld rollt. Jetzt steht der Jumbo am Terminal, schon nach wenigen Sekunden werden Gerätschaften herangefahren, das war es endgültig mit einem Schnappschuss.
Doch auch wenn der krönende Abschluss ein wenig enttäuschend ausfiel, war die Tour ein voller Erfolg, da sind sich die Spotter einig. Schon jetzt ist die Vorfreude darauf groß, die Bilder zu teilen und in Foren zu fachsimpeln. Es ist etwas Ureigenes, tief im Menschen: der Instinkt der Jäger und Sammler. Die Jagd nach dem besten Blickwinkel, nach der einzigartigen Lackierung und das Sammelnder ausgefallensten Bilder und die Faszination für Technik werden hier mit einem kräftigen Schuss Fernweh zu einer einzigartigen Mischung.
*Name von der Redaktion geändert.
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