(erschienen am 9.11.2017)
Im Verhandlungssaal 203 des Landesgerichts für Strafsachen in Wien geht es um Drogen, genauer gesagt um gestrecktes Heroin und eine amateurhafte Schmuggelfahrt von Holland nach Österreich. Rudolf Mayer verteidigt den 22-jährigen Herrn C., den einzigen der vier Angeklagten, der an diesem Vormittag Anzug und Krawatte trägt. Mayer hat schon Schlimmeres gesehen, weit Schlimmeres als ein bisschen Heroin. In Österreich kennt man ihn als den Anwalt ohne Berührungsangst mit den blutigsten Fällen.
Für Herrn C. legt er sich an diesem Morgen trotzdem ins Zeug, als sei es einer seiner wichtigsten Prozesse. "Ohne Anwalt", schmettert Mayer den Schöffinnen entgegen, "hat er bereits bei der Polizei gestanden: ›Ich konnte nicht Nein sagen. Ich war nur der Chauffeur.‹" Mayer deutet auf eine junge Frau im Gerichtssaal. "Er hat heute einen Job", sagt er bedeutungsschwanger, "und seine Freundin ist da, eine Kanzleiassistentin bei einem Rechtsanwalt."
Es ein typischer Mayer-Auftritt, das erzählen Strafverteidiger und Staatsanwälte. Mit viel Geschick und Gespür wirbt er bei Richtern, Schöffen und Geschworenen um Mitgefühl für seine Mandanten. Zu diesen gehörten Elfriede Blauensteiner, die als "Schwarze Witwe" in die Kriminalgeschichte einging, die "Eislady" Estibaliz C., die die zerstückelten Leichen ihrer beiden Opfer im Keller einbetoniert hatte, und der Inzesttäter Josef F., sozusagen die Crème de la Crème des österreichischen Wahnsinns. Bei Plädoyers kann die Stimme des 70-jährigen Anwalts sehr samtig werden, und der Lausbub wird wohl nie ganz aus seinem Gesicht verschwinden. Dabei ist er ein gewiefter Profi.
Wenn Mayer mit seinem schwarzen Rollkoffer voller Akten durch das Straflandesgericht eilt, wirkt er ein wenig wie ein Getriebener. Er habe zu Hause sogar medizinische Fachzeitschriften abonniert, um mit Sachverständigen auf Augenhöhe sprechen zu können, sagt sein Mitarbeiter Philipp Winkler. Er selbst nannte die Pension einmal den "Wartesaal des Todes". Lieber studiert Mayer weiter dicke Gerichtsakte, besucht U-Häftlinge und hält im Gerichtssaal gefühlige Plädoyers.
Außerdem trainiert Mayer zweimal in der Woche in der Boxunion Favoriten. Auch im Ring sei er ein unermüdlicher Arbeiter, sagen Jüngere. Als Präsident eines im Keller der Boxunion eingemieteten Clubs fordert er von seinen Athleten gerne "bedingungsloses Kämpfen". Einmal verließ Mayer aber selbst ein bisschen sein Instinkt. Im Jahr 2008 übernahm er die Verteidigung von Josef F., der seine Tochter in einem Kellerverlies gefangen gehalten und mit ihr sieben Kinder gezeugt hat. Der beispiellose Fall brachte den Anwalt zwar weltweit ins Fernsehen, war "vom Image her aber ein gewaltiger Schaden", sagt Mayer heute. "Es haben sogar Stammklienten von mir gesagt, was brauchst denn so einen machen." Drohanrufe in seiner Kanzlei standen in dieser Zeit an der Tagesordnung.
Warum Mayer den aussichtslosen Fall übernahm, wunderte auch die robusteren Gemüter unter seinen Kollegen. Immerhin gehörte er schon zu den arrivierten Strafverteidigern. Mayer ist auch im Vorstand der Vereinigung österreichischer Strafverteidiger, die für eine Aufwertung der Berufsgruppe lobbyiert. Und er betont gerne, dass nicht nur Mörder und Messerstecher, sondern auch Wirtschaftsbetrüger, sogenannte Kriminelle mit weißem Hemdkragen, zu seinem Alltagsgeschäft gehörten.
Anders als viele Anwälte erweckt der Sohn eines Opernsängers den Anschein, aus kleinen Verhältnissen zu stammen. Auch vor Gericht drückt er sich betont volkstümlich aus und pflegt jene Dativ-Akkusativ-Unschärfe, die viele Politiker in Wien massentauglich wirken lässt. "Niederlagen müssen einem allgemein stärker machen", sagt er zum Beispiel.
Mayer fand spät zur Strafjustiz, erst mit 29 Jahren begann er zu studieren. Aufgewachsen ist er vor allem in einem Internat, in dem die körperliche Züchtigung noch alltäglich ist. Er versuchte sich als Balletteleve, später als Schauspieler, verdiente sein Geld als Kellner in dem Szenelokal Motto, arbeitete im Sozialreferat von Floridsdorf und war Bewährungshelfer. Der Glaube des jungen Bewährungshelfers an das Gute im Menschen ist heute verblasst, jener an die Kraft der Schauspielerei aber nach wie vor lebendig. Den Fleiß des Anwalts habe er damals noch nicht gekannt. "Ich war überhaupt nicht ehrgeizig, ich bin ein Alt-Hippie", sagt Mayer und grinst sein verschmitztes Bubenlächeln.
Dem jungen Mayer wurde nachgesagt, seine Mandanten oft zu Geständnissen zu überreden. "Strafverteidigung ist auch ein bisschen Showbusiness", sagt Anwalt Elmar Kresbach, mit Mayer in langjähriger Feindschaft verbunden, und fügt spitz an: "Er hat eine Zeit lang eine etwas liebedienerische Art in der Wiener Strafverteidigung kultiviert." Mayer widerspricht dem energisch, er habe einfach immer ein gutes Bauchgefühl dafür gehegt, wenn ein Mandant zum eigenen Wohl ein Geständnis ablegen sollte: "Sonst gibt's statt einer Verhandlung fünf Termine, der Klient bezahlt fünfmal, und am Ende kommt nix raus."
Seit ein paar Jahren versucht der Anwalt auch gesellschaftspolitisch zu wirken - auf seine Art. Nicht nur in Boulevardmedien, zu denen er beste Kontakte pflegt, zeichnet er dabei ein düsteres Menschen- und vor allem Migrantenbild. "Zeigen Sie mir einen Tschetschenen oder Afghanen aus dem Park, für den die Verteidigung seiner Ehre nicht wichtiger ist als sein Leben", schrieb Mayer im Mai 2015 in einem Aufsatz in der Wiener Zeitung Werte wie Toleranz, Emanzipation und Demokratie würden von vielen Zuwanderern als Schwäche angesehen.
Ist Mayers Diagnose seinem Beruf geschuldet? Wird man als Strafverteidiger mit der Zeit zum politischen Hardliner?
Die Anwältin Nadja Lorenz, Spezialistin für Fremdenrecht und auch Strafverteidigerin, will das nicht so sehen: "Wenn man über Gewalt gewisser Gruppen redet, muss man sich die Ursachen ansehen. Diese flachen Aussagen tragen nichts zu einer Lösung bei, sie befördern nur die Ausländer-raus-Haltung."
Fragt man Mayer in der Boxunion Favoriten, ob er mit seinen Aussagen nicht das Geschäft der rechten Parteien erledige, entgegnet er: "Das mag sein, aber ich sehe nicht ein, warum ich etwas schönreden soll." Er glaubt nicht, als Strafverteidiger einen verengten Blick auf die Welt zu haben. Er halte ja auch Vorträge vor Schülern und rede mit seinen Enkelkindern. In einer Polytechnischen Schule hätten die Jugendlichen von ihm vor allem wissen wollen, wie man legal zu einer Waffe komme. "Früher war ein Kampf im Park beim Schwitzkasten vorbei, heute wird neunmal zugestochen", sagt Mayer über die Gesellschaft.
Mittlerweile greift er selber zu eigenwilligen integrationspolitischen Maßnahmen und hat im Favoritner Boxkeller schon dreimal zum Liegestützwettkampf zwischen Österreichern und Tschetschenen eingeladen. "Schau, diese Leute haben einen gewissen Kraftfimmel", sagt Mayer. In den Augen der körperbewussten Zuwanderer aus Osteuropa "sind wir Österreicher alle Weicheier und Lulus". Zu seinen Schaukämpfen lädt er neben Boulevardzeitungen und dem Fernsehen auch stets einen muskulösen - österreichischen - Aktenträger aus dem Landesgericht ein. Bisher schaffte dieser immer die meisten Liegestütze. Mayer sieht den Kontest auch als Erziehungsmaßnahme für die Migranten: Wenn sie gesehen hätten, dass jemand viel Kraft besitzt, sie in Konflikten aber dennoch nicht einsetzt, würden sie ihn respektieren.
Mayer ist kein rechter Ideologe, er wirkt eher wie jemand, der in viele Abgründe geblickt hat und nun gerne vom "archaischen Wesen des Menschen" doziert. Vielleicht aus der schleichenden Enttäuschung über die Menschen hat er sich schon lange den Tieren zugewandt. Bis in die neunziger Jahre sei er Grünwähler gewesen, und eine Zeit lang lebte der Vegetarier und Tierschützer sogar vegan, schon bevor das modern geworden sei. Auch auf Alkohol verzichtet er, um seine körperliche Konstitution nicht zu gefährden. Als er im Fernsehen bekannte, er würde einen Massenmörder, aber keinen Tierquäler verteidigen, stieß er wieder einmal auf Unverständnis. Dazu steht er auch heute noch.
Der politische Mainstream plätschert an Mayer vorbei. Mit "dieser ganzen Schönrederei" der jüngeren Generationen wolle er sich nicht anfreunden. Manchmal hastet er am Studentencafé Stadtkind neben dem Straflandesgericht vorbei und muss sich ärgern: "Dort sitzen dieselben Studenten zu Mittag wie um sechs am Abend." Die Spaßgesellschaft kann man leider nicht verklagen.
Was der private Mayer über seinen jungen Mandanten C. denkt, weiß man nicht. An diesem Vormittag kämpft er für ihn, als läge vor ihm eine goldene Zukunft. Als einer der Angeklagten in dem Heroinprozess C. als "Boss" bezeichnet, fährt der Anwalt ihn rüde an: "Sie haben ihn doch nur kurz gesehen, richtig?" Der Mann, der C. belasten will, knickt sofort ein und relativiert den Vorwurf. "Unglaublich", ruft Mayer mit gespielter Entrüstung. Nicht Oscar-würdig, aber für das Landesgericht reicht es allemal.
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