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Es geht um Leben und Tod

Henning Jeschke, Mephisto, Lina Eichler, Rumen Grabow und Jacob Heinze am 17. Tag ihres Hungerstreiks Foto: nd/Ulli Winkler

Mit blassen Gesichtern und eingefallen Wangen sitzen fünf junge Menschen zwischen Kissen und Decken auf einem Matratzenlager im Camp des "Hungerstreiks der letzten Generation" auf der Wiese neben dem Bundeskanzlerinnenamt in Berlin. Seit 17 Tagen haben sie nichts gegessen. Am Montag haben sie außerdem den Vitaminsaft abgesetzt, der in den ersten beiden Wochen ihres Hungerstreiks ihre einzige Nahrungsquelle war. Der Regen prasselt auf das Zeltdach, während sie in einer Pressekonferenz am Mittwochnachmittag erklären, wie es ihnen geht: "zunehmend schlechter. Wir haben ein großes Bedürfnis nach Ruhe, alles tut weh, wir sind immer öfter kurz vor der Ohnmacht", sagt Henning Jeschke.

Am 30. August sind sie zu sechst in einen unbefristeten Hungerstreik getreten, um auf das Versagen der Politik in der Klimakrise aufmerksam zu machen. Sie fordern ein sofortiges öffentliches Gespräch mit den drei Kanzlerkandidat*innen Annalena Baerbock (Grüne), Olaf Scholz (SPD) und Armin Laschet (CDU) und das Versprechen, dass die neue Regierung einen Bürger*innenrat für Sofortmaßnahmen gegen die Klimakrise einberuft. Darunter zum Beispiel eine zu hundert Prozent regenerative Landwirtschaft.

"Wir wurden 16 Tage von der Politik ignoriert und sind schockiert darüber, dass die Sorgen der Jugend nicht ernst genommen werden", erklärt Hannah Lübbert, Sprecherin der Hungerstreikenden. Nun hätten die drei Kandidat*innen mitgeteilt, dass sie die Art des Protests nicht angemessen finden, und sich zu einem nicht öffentlichen Gespräch nach der Bundestagswahl bereit erklärt. "Das können wir nicht annehmen", so Lübbert weiter. Die Klimakrise sollte das entscheidende Wahlkampfthema sein und müsse noch vor dem Wahltermin öffentlich verhandelt werden. Daher haben die Streikenden nun selbst einen Termin am 23. September festgelegt, drei Tage vor der Wahl.

Regierungssprecher Steffen Seibert äußerte sich am Mittwoch besorgt über den Hungerstreik. In der politischen Debatte um den Klimaschutz sei jeder Vorschlag und Ansatz willkommen, "aber bitte, ohne sich selbst dabei zu gefährden", teilte er mit. Dem Aktivisten Jacob Heinze, der am Dienstagnachmittag im Camp zusammengebrochen ist und mit dem Krankenwagen in die Uniklinik der Charité gebracht werden musste, wünscht er gute Besserung.

Einen Tag später sitzt Heinze schon wieder wieder im Camp und setzt den Hungerstreik fort. "Es ist katastrophal, dass wir das machen müssen. Aber die Klimakrise ist zu bedrohlich. Schon jetzt sterben jeden Tag Menschen", sagt der 27-Jährige. Er redet langsam, selbst das Sprechen scheint ihm schwerzufallen, aber er wirkt entschlossen. In den letzten Jahren habe er schon viele Protestformen mitgemacht, war bei Fridays for Future, Ende Gelände, Extinction Rebellion und bei der Waldbesetzung im Danneröder Forst aktiv. "Aber politisch hat sich nichts geändert, die Gesellschaft wurde nicht wachgerüttelt. Der Hungerstreik macht deutlich, dass es um Leben und Tod geht", sagt er zu "nd".

Seine Generation sei die letzte, die etwas gegen den Klimakollaps unternehmen könne. "Es geht hier nicht um uns, sondern um die Zukunft aller nachfolgenden Generationen. Der Weltklimarat gibt uns noch drei Jahre, bis ein Kipppunkt erreicht ist", sagt Henning Jeschke. Daher komme es auf die nächste Legislaturperiode an; die anstehende Wahl sei eine "Schicksalswahl" für einen klima- und sozial gerechten Systemwandel und das Überleben auf der Erde.

Dass keine einzige der etablierten Parteien dieser Verantwortung mit ihrem Wahlprogramm gerecht werde, sei für die Politik "eine unvorstellbare Legitimationskrise", sagt Lea Bonasera, ebenfalls Sprecherin der Streikenden. Deshalb seien die sechs Aktivist*innen nun bereit, ihr Leben zu riskieren. Bis zu neun Kilo haben sie in den vergangenen 17 Tagen bereits verloren, bis zu zwölf Prozent ihres Körpergewichts. Den Hungerstreik verbringen sie Tag und Nacht im Aktionscamp, wo sie in Zelten übernachten und medizinisch betreut werden.

Bevor Annalena Baerbock, Olaf Scholz und Armin Laschet dem Gesprächstermin am 23. September öffentlich zusagen, wollen die sechs 18- bis 27-jährigen Schüler*innen und Studierenden nicht aufhören zu hungern.

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