Fünfzig Jahre nach der Entstehung präsentiert das Städel Museum die „Helden"-Bilder von Georg Baselitz. Mit ihnen wurde der Künstler zum Außenseiter der deutschen Nachkriegskunst.
„Skandal um Ausstellung am Kurfürstendamm: Sittenpolizei greift ein!", titelte die Berliner Zeitung kurz nach der Eröffnung einer Ausstellung in der Berliner Galerie Werner und Katz im Oktober 1963. Zu sehen war das Gemälde „Die große Nacht im Eimer" von Georg Baselitz: Ein deformierter Mann ist darauf abgebildet, der seinen übergroßen erigierten Penis in der Hand hält. Das von der Presse als „Schweinerei" bezeichnete Werk des 26-jährigen Künstlers wurde beschlagnahmt, Baselitz und die Galeristen landeten wegen der „Ausstellung und Verbreitung unzüchtiger Darstellungen" vor Gericht. Es war ein - wohlkalkulierter - Coup: Mit einem Schlag wurde Baselitz bekannt, und die Galerie gleich mit.
„Mein erster Versuch aufzufallen, war, mit Schmutz zu malen. Schmutzige Farbe, schmutziger Inhalt", sagt Georg Baselitz gestern rückblickend bei der Eröffnung der Ausstellung „Georg Baselitz. Die Helden" im Städel Museum. Die Zeiten, in denen ein solches Kunstwerk provozierte, sind zwar längst vorbei. Doch sein Image als Badboy, als Außenseiter der deutschen Kunst, pflegt der 1938 im sächsischen Deutschbaselitz geborene Exzentriker noch immer.
Die Werkgruppe der „Helden" und der „Neuen Typen", die Max Hollein - eigentlich schon in San Francisco arbeitend - erstmals in dieser Fülle zusammengetragen hat, entstanden kurz nach dem Skandalbild „Die große Nacht im Eimer". Baselitz erhielt ein Stipendium der Villa Romana in Florenz - fast hätte ihm sein vorauseilender Ruf diese Chance vermasselt. In Italien beschäftigt sich Baselitz vor allem mit der Kunst des Manierismus; ihn interessieren verdrehte Figuren, voluminöse Körper mit kleinen Köpfen. Und er beginnt mit seiner „Helden"-Serie, die er in Deutschland fertigstellt. In nur einem Jahr entstehen 60 Gemälde, 130 Zeichnungen und 38 Druckgrafiken zum Thema. Ein großer Teil davon ist jetzt auf zwei Etagen im Städel Museum zu sehen.
Es sind wuchtige Körper, geschlagene, verwundete, um Kraft ringende Menschen, diese „Helden". In intensiven, deftigen Farben setzen sie sich von angedeuteten Szenerien und düsteren Hintergründen ab. Halbnackte Uniformierte mit abgeschlagenen Gliedmaßen, blutende Bäume, unheimliche Wälder, Fahnenschwenkende, Marschierende werden in der Ausstellung auf rotgetränkten und erdfarbenen Wänden gezeigt. Trotz ihrer Aggressivität wirken die „Helden" merkwürdig verletzlich, trotz ihrer wüsten Gestalt innehaltend und nachdenklich.
Im deutschen Wirtschaftswunderland des Jahres 1965 trafen diese Gemälde eine wunde Stelle: „In der Bundesrepublik gab es eine Sucht, nicht in die Vergangenheit zu schauen, sondern nach vorne", sagt Co-Kuratorin Eva Mongi-Vollmer. Was Baselitz in seinen „Helden"-Bildern zeigt, wird bis heute oft als „anachronistisch" beschrieben; als etwas, das eben nicht den Zeitgeist traf. Noch wollten sich die Deutschen nicht mit der Vergangenheit, mit Krieg und Schuld auseinandersetzen.
Baselitz aber wollte, musste vielleicht: „Ich bin in eine zerstörte Landschaft hineingeboren", sagte er einmal. Als er 1957 von Ostberlin ins westliche Berlin Charlottenburg kam, war „die große Freiheit angesagt", so der Künstler. Dass die, zumindest künstlerisch, in Wirklichkeit keine war, habe er erst später gemerkt. Man war „abhängig von Paris und von den USA".
Baselitz studierte an der Berliner Hochschule der bildenden Künste bei Hann Trier. Der Professor war Vertreter des Informel, einer der Kunstrichtungen, die in der Nachkriegszeit im Westen als wegweisend galten: eine komplett ungegenständliche, gestische Malerei. Doch Baselitz blieb bei der Figuration. „Hinten ein Schwarz oder Weiß, darauf eine Figur, scharf umrissen, keine Experimente", fasst es der 78-Jährige zusammen.
Der Künstler fühlte sich mit seiner Position isoliert. Auch die „Helden"-Bilder blieben Außenseiter der Kunstgeschichte. Sie sind Antihelden, die wir noch heute mit einer Mischung aus Mitleid und Antipathie anschauen. Sie erinnern uns an Schicksale, die weit weg erscheinen, an „Flüchtlinge aus dem Gestern", wie es Hollein formuliert. Sie haben eine brutale Aktualität. Die Frankfurter Schau, die unbedingt sehenswert ist, soll keine Retrospektive sein, sagt Hollein. Und dennoch zeigt sie ein wichtiges, produktives Kapitel im Baselitz'schen Schaffen. Die Frau des Künstlers habe es beim Frühstückstisch so zusammengefasst: „Du hast die Zeit nicht vertrödelt. Und das sieht man in der Ausstellung."