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Noch brotloser als ohnehin schon

Künstler in der Coronakrise: Der Design-Student und Hobbymusiker Abdelkader Ouchène kann die Miete für sein Atelier und Tonstudio noch zwei Monate lang zahlen. Foto: Abdelkader Ouchène

Keine Veranstaltungen - keine Aufträge. Für viele Freischaffende in der Kulturszene ist die Coronakrise ein finanzielles Desaster. Wir haben uns in Offenbach und Umgebung umgehört: Wie kommen freiberufliche Künstler, Autoren, Musiker über die Runden? Was bereitet ihnen die meisten Sorgen?


Offenbach - Mit den Kindern basteln, malen und im Garten spielen, anstatt im Atelier an Skulpturen für die neue Ausstellung zu arbeiten - so hatte sich die in Offenbach lebende freischaffende Künstlerin Nadine Röther ihr Comeback nach der „Kinderpause" nicht vorgestellt. Seit Anfang des Jahres wollte sie wieder beruflich „durchstarten". Aber dann kam Corona. Dann schlossen Kita und Kindergarten - und aus der freien Künstlerin wurde von einem Tag auf den anderen wieder die hauptberufliche Mutter.


Wie Röther geht es derzeit vielen freien Künstlerinnen, Musikern, Schriftstellerinnen, Schauspielern und Kunststudierenden: Die Karriere liegt auf Eis, die Einnahmen rauschen in den Keller. Welchen Schaden die Coronakrise anrichtet, wie hoch die Verluste für die Betroffenen sind, ob sie sogar ihre Existenz bedrohen - all das ist für viele Freischaffende oft noch gar nicht abzusehen.


Von den etwa 3 500 sogenannten Soloselbstständigen, die es in der Stadt Offenbach gibt, arbeiten geschätzt 250 bis 300 in der Kultur- und Kreativbranche. Sie trifft die Situation sehr hart, denn seitdem Konzerte, Ausstellungen, Messen abgesagt wurden, sind für sie auch die Aufträge, Engagements und Verkäufe plötzlich weggebrochen. Viele von ihnen leben ohnehin in prekärer Situation und konnten keine großen Rücklagen bilden. Wie sollen sie in der nächsten Zeit über die Runden kommen?


Die freie Schriftstellerin Melisa Schwermer (aktueller Roman: „So tödlich die Stille") aus Rödermark hat da gewissermaßen noch Glück gehabt: Neben ihrer Arbeit als Romanautorin ist sie Lektorin und hat eine halbe Stelle bei einer pädagogischen Einrichtung. Als vor Kurzem die Leipziger Buchmesse abgesagt wurde, musste sie aber auch erst mal schlucken. Die geplante Lesung und die Podiumsdiskussion dort fielen weg, und dadurch für die Autorin die Einnahmen aus Eintritt und Buchverkauf. Auch die Chance, dass möglicherweise ein Verlag auf sie aufmerksam geworden wäre und ihr einen Vorschuss für den nächsten Roman gezahlt hätte, gab es so nicht.


Problematisch dabei ist, dass sie ihre Einbußen gar nicht wirklich berechnen kann; eine „Was-wäre-gewesen-wenn"-Rechnung ist schwer aufzustellen. Wann es Schwermer finanziell trifft und in welchem Ausmaß, kann die Autorin nicht abschätzen. „Das werde ich wahrscheinlich erst in ein paar Monaten sehen", befürchtet sie.


Was Schwermer viele Sorgen bereitet, ist der Verkauf ihrer Taschenbücher. Vor allem, wenn Amazon vorrangig den Bestand von „Waren des täglichen Bedarfs" aufstocken wird und Produkte mit geringerer Priorität vernachlässigt. Viele Bücher werden auf absehbare Zeit über Amazon dann nicht lieferbar sein, erklärt Schwermer. Eine Alternative: Die Kunden könnten ebenso gut bei Buchhandlungen bestellen, die einen Lieferservice anbieten.


Ganz unmittelbar spürt Diego Ramos Rodríguez die Folgen der Coronakrise. Durch Konzertabsagen rechnet der professionelle Violinist, der vor allem beim Frankfurter Ensemble Modern und beim Offenbacher Isenburg Quartett spielt, mit einem Honorar-Ausfall von einem Viertel oder einem Drittel seines Jahreseinkommens. Da er noch von einem guten Auftragsjahr 2019 zehren kann und als Komponist momentan an größeren Aufträgen arbeitet, kann sich der 30-Jährige über Wasser halten. Aber was ist, wenn die Krise länger dauert? Auch seine Kompositions-Aufträge sind an Aufführungen gekoppelt. Fallen diese Konzerte weg, würden auch die Aufträge kurzum storniert. Überhaupt: Welche Vorstellungen ausfallen werden und welche nicht, welche Proben es wann geben wird, all das steht in den Sternen. „Man kann einfach überhaupt nichts mehr planen", sagt Ramos Rodríguez.


Um Freiberuflern und Soloselbstständigen wie Röther, Schwermer und Ramos Rodríguez zu helfen, haben der Bund und das Land Hessen kurzfristige Hilfsprogramme ins Leben gerufen. Allerdings: Die „gehen an der Realität vorbei", findet Ramos Rodríguez.

„Die Soforthilfen sind momentan nur für Betriebskosten anwendbar, für die Miete der Proberäume zum Beispiel, die aber die wenigsten Musiker haben. Die meisten üben einfach zuhause." Außerdem würden mit den Hilfen keine Honorarausfälle erstattet. Sie seien also nicht dafür da, Einkommensverluste zumindest teilweise zu ersetzen.


Wovon sollen Freischaffende aber dann leben? Eine Grundsicherung vom Arbeitsamt will Ramos Rodríguez nicht in Anspruch nehmen. Warum auch, sagt der Geiger. „Als freie Musiker arbeiten wir ja trotzdem, auch wenn die Konzerte ausfallen. Wir müssen fit bleiben, üben, mit Veranstaltern in Kontakt bleiben." Der Komponist wünscht sich, dass das Land Hessen seine Hilfen dementsprechend nachbessert. Nothilfen anderer Initiativen wie etwa der Deutschen Orchester-Stiftung seien „schön, aber sie bieten keine Sicherheit", sagt Ramos Rodríguez.


Sicher ist derzeit das allerwenigste. Das hat auch der Design-Student Abdelkader Ouchène gemerkt, den die Coronakrise ganz schön aus der Bahn geworfen hat. Er studiert im 11. Semester an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach. Sein Studium hat er sich bisher durch BaföG und Nebenjobs finanziert. Gerade hatte er bei einer Werbeagentur als Werkstudent angefangen, die Probezeit war fast beendet, da fiel ein großer Kunde weg. Die Agentur musste ihm kündigen. „Ab April habe ich jetzt gar keine Einnahmen mehr. Selbst der Gastro-Job fällt weg. Und die Soforthilfen kann ich nicht beantragen, weil ich nicht selbstständig bin", sagt der 26-Jährige. Die Miete für sein kleines Atelier und Tonstudio in seiner Wohnung kann der Hobbymusiker noch zwei Monate zahlen. Und dann? „Notfalls können mir meine Eltern aushelfen", sagt er.


Wenn hoffentlich nach ein paar Wochen das Kulturleben wieder anläuft, sind damit nicht automatisch alle Sorgen beseitigt. Denn die Kulturszene nach der Coronakrise wird eine andere sein als davor, einige Existenzen werden es nicht geschafft haben. Krimiautorin Schwermer glaubt, dass es in der Literaturbranche vor allem kleineren Verlagen und Buchhandlungen an die Substanz gehen wird. Und Geiger Ramos Rodríguez befürchtet, dass sich nachgeholte Konzerte terminlich überlagern könnten, was wiederum dazu führt, dass Musiker insgesamt weniger Aufträge annehmen können. Für Künstlerin Röther ist die Zukunft ohnehin zu diffus, um Prognosen zu machen. Immerhin: Sie versucht, den vom Virus diktierten Stillstand gelassen zu sehen: „Man kann ja nichts machen", sagt sie. „Dann ist eben jetzt erst mal Familienzeit."

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