Am Eingangstor Nummer fünf ist Hochbetrieb, als Thandi Nocuse eintrifft. Wachmänner öffnen und schließen die Schranken im Minutentakt. Auf der einen Seite fahren die Bewohner heraus: Männer in Anzügen, die ins Büro aufbrechen und Frauen, die ihre Kinder in die Privatschulen der Gegend chauffieren. Auf der anderen Seite strömen ihre Angestellten herein, Gärtner, Kindermädchen und Haushalthilfen wie Thandi Nocuse. Sie drückt ihren Zeigefinger auf einen Scanner:
"Am Anfang muss man den Sicherheitsleuten all seine Dokumente vorlegen. Die Informationen werden im System gespeichert. Früher haben wir dann eine Karte für den Einlass bekommen, heute reicht ein Fingerabdruck."
Jedenfalls für die Angestellten. Gäste bekommen von ihren Gastgebern einen Einmal-Code, den sie den Wachmännern am Eingang nennen müssen. Handwerker müssen sich einer gründlichen Sicherheitsprüfung unterziehen. Sogar Rettungskräfte und Polizei können nicht einfach durchfahren. Thandi Nocuse wundert all das mittlerweile nicht mehr. Sie arbeitet schon seit 17 Jahren für verschiedene Familien hier. Aber sie erinnert sich noch gut daran, als sich die Schranke zum ersten Mal für sie geöffnet hat. Wie ein Tor zu einer anderen Welt.
"Es war wie ein Schock, denn dort, wo ich wohne, sieht es ganz anders aus. Hier ist alles wunderschön. Ich wusste gar nicht, wo ich zuerst hinschauen sollte. In meinem Viertel hat keiner ein solches Haus. Aber hier ist alles traumhaft, die Häuser, die Bäume, alles ist gepflegt und sicher. Vollkommen anders als bei mir zuhause. Da muss man ständig auf der Hut vor Verbrechern sein. Jeder ist auf sich allein gestellt. Hier dagegen werden die Leute rund um die Uhr von Sicherheitsleuten beschützt."
Seit dem Ende der Apartheid Anfang der 90er-Jahre wächst die Zahl von Hochsicherheits-Vierteln wie diesem stetig. Bürger, die es sich leisten können, schotten sich so vor der grassierenden Kriminalität ab. Denn Südafrika hat eine der höchsten Kriminalitätsraten der Welt. Laut der letzten Polizeistatistik werden jeden Tag 56 Menschen ermordet, bei einer Gesamtbevölkerung von 56 Millionen. Die Zahl der Sexualdelikte beträgt mehr als das doppelte. Dazu kommen über 22.000 Hauseinbrüche im Jahr.Die Haustür ist nicht abgeschlossen, als Thandi Nocuse bei ihrer Arbeitgeberin eintrifft. Die lebt in einer Doppelhaushälfte mit kleinem Garten, einem der bescheideneren der insgesamt 890 Häuser. Alle sind im gleichen Stil gebaut, mit grünen Dächern und ausladenden Veranden. Der uniforme Baustil ist eine der vielen Regeln dieses künstlich angelegten Stadtviertels. Im Wohnzimmer spielt die blonde Hausherrin Janna Strang in aller Seelenruhe mit ihrem Sohn Lego.
"Wir lassen die Türen oft unverschlossen. Das ist ein anderes Lebensgefühl als früher, als ich noch woanders gewohnt habe. Damals hatte ich eine Alarmanlage, Türen und Fenster waren immer fest verschlossen. In einer Nacht ist trotzdem jemand eingebrochen. Glücklicherweise hat er nur ein paar Handys gestohlen, aber Angst macht so etwas natürlich trotzdem. Ich kenne viele Leute, die nicht so glimpflich davongekommen sind. Sicherheit hatte für mich deshalb höchste Priorität, als ich nach einem Haus gesucht habe. Mein Ex-Mann war viel auf Reisen, ich war oft mit dem Kind allein und bin es jetzt sowieso. Insofern war es eine gute Entscheidung, hierher zu ziehen. In diesem Umfeld fühle ich mich wesentlich entspannter und freier."
Eine Freiheit, die aus Sicht der 34-jährigen Chefin einer PR-Agentur nur innerhalb des Sicherheitszauns möglich ist. Und für die sie auch die strikten Vorgaben des Managements gern hinnimmt. Etwa, dass Fassaden nur nach Rücksprache mit dem Management renoviert werden dürfen, noch dazu nur von zugelassenen Handwerkern. Oder, dass man nur kleine Hunde und gar keine Katzen halten darf.Die Tür öffnet sich und eine schlanke Frau betritt den Kontrollraum. Es ist Friskins Chefin, Michelle Maree. Sie war Polizistin, bevor sie in die boomende private Sicherheitsbranche in Südafrika gewechselt ist. Der Trend, dass immer Südafrikaner in diese geschützten Wohnviertel wie dieses ziehen, überrascht sie nicht.
"Es gibt meiner Meinung nach einen echten Bedarf dafür. Überfälle und Einbrüche in Privathäusern nehmen zu. Männer wollen wissen, dass ihre Frauen und Kinder wenigstens zuhause sicher sind. Es ist bedauerlich, dass die Kriminalität dadurch nicht insgesamt abnimmt. Sie verlagert sich lediglich in andere Viertel, die nicht so gut geschützt werden. Aber daran kann der Einzelne nichts ändern. Ich kann verstehen, dass Familien hierher ziehen. Bei all der Kriminalität dort draußen müssen sie wenigstens zu Hause nicht ständig auf der Hut sein, weil wir sie schützen."
Dieser Schutz erscheint für Laien schon jetzt lückenlos. Aber Sicherheitschefin Michelle Maree hat weitere Maßnahmen im Auge. Zum Beispiel will sie die Einlasskarten abschaffen, die die Bewohner an Freunde und Familienmitglieder verteilen, die regelmäßig zu Besuch kommen.Janna Strang sitzt mit ihrem Sohn mittlerweile in einem der Estate-eigenen Cafés und genießt den idyllischen Ausblick auf einen See und den Golfplatz. Ein Lieblingsplatz, an dem sie sich gern mit Freunden trifft, von denen viele ebenfalls hier leben, ebenso wie ihre Eltern und ihr Ex-Mann. Die junge Mutter schwärmt von dem Gemeinschaftsgefühl, von hilfsbereiten Nachbarn, vom Freizeit-Angebot für Kinder. Den Vorwurf, dass sich hier eine überwiegend weiße Elite abschottet, lässt sie nicht gelten.
"Segregation würde ich das nicht nennen. Es hat eher mit der gesellschaftlichen Realität in Südafrika zu tun. Besserverdienende können sich diese Art zu leben nun einmal als Erste leisten. Sie sind sozusagen Trendsetter. Aber schon heute gibt es auch günstigere 'Gated Communities'. Natürlich leben hier bei uns nur Leute einer bestimmten Einkommensklasse. Aber es sind durchaus unterschiedliche Kulturen vertreten. Das Schöne an unserem Land ist ja, dass es als Regenbogennation bekannt ist, weil es so multikulturell ist."
Im Café jedoch sind abgesehen von den Kellnern überwiegend weiße Gesichter zu sehen. Und die Statistik des Managements bestätigt diesen Eindruck: Fast 82 Prozent der Bewohner sind weiß. Zum Vergleich: In der südafrikanischen Bevölkerung sind die Weißen mit knapp acht Prozent eine Minderheit.
Während Janna Strang im Café sitzt, macht sich ihre Haushälterin auf den langen Heimweg nach Inanda. Das Township gehört landesweit zu den zehn Bezirken, in denen die meisten Morde, Vergewaltigungen und Hauseinbrüche verübt werden. Deshalb wirke die Arbeit manchmal wie Erholung, meint Thandi Nocuse, als sie am Ausgang wieder ihren Fingerabdruck scannen lässt:
"Ich arbeite sehr gerne hier, denn ich fühle mich sicher. Hier kann mir keiner etwas anhaben. Ich entspanne mich, sobald ich hineingehe und bin erst wieder angespannt, wenn ich herauskomme. Jetzt muss ich wieder jederzeit damit rechnen, überfallen zu werden. Manchmal wünsche ich mir, dass ich eines Tages auch hier wohnen könnte."
Das bleibt wahrscheinlich ein Wunschtraum. Ihre Handtasche fest unter den Arm geklemmt, geht sie wieder den langen Zaun entlang.
Deutschlandfunk Kultur | Weltzeit | 31.1.2019