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Ein Bayer in Berlin

Georg Schreyögg lehrt und forscht seit 1994 an der Freien Universität Berlin als Professor für Organisation und Führung. Bildquelle: Regina Sablotny

Georg Schreyögg, lange Jahre Professor für Organisation und Führung am Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität, ist zum Ehrenmitglied des Verbands der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft e.V. ernannt worden


Der gebürtige Münchner Georg Schreyögg lehrt seit rund 40 Jahren Betriebswirtschaft. Junge Menschen zu unterrichten, macht ihm mindestens genauso viel Spaß wie zu forschen. Das honorieren die Studierenden ebenso wie Kolleginnen und Kollegen: 2013 hat ihm die Karl-Franzens-Universität Graz die Ehrendoktorwürde verliehen, vor Kurzem hat ihn der Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft (VHB) mit der Ehrenmitgliedschaft ausgezeichnet. Dabei wäre er beinahe wie sein Vater Bäcker geworden.

Schon als Kind half Georg Schreyögg in der Bäckerei seiner Eltern mit, einem Traditionsbetrieb im bayrischen Mittenwald. Rechnen machte dem Schüler Spaß, bald übernahm er die Buchführung, ermittelte, wie viele Brötchen sie verkaufen müssten, damit sich die Anschaffung einer neuen Teigmaschine lohnt. Im Betrieb bleiben wollte er nicht, aber wie ein Betrieb grundsätzlich funktioniert, interessierte ihn.

Also schrieb er sich nach dem Abitur für Betriebswirtschaftslehre ein. „Mit BWL standen einem viele Wege offen. Einen konkreten Plan hatte ich nicht, wie viele damals“, sagt Schreyögg heute, mehr als fünfzig Jahre später, in seinem Büro an der Freien Universität. In den Regalen stehen bis zur Decke alphabetisch geordnete Bücher, an der Wand hängt moderne Kunst. Große geometrische Formen in knallbunten Farben. An der Innenseite der Tür klebt ein Schild: „Handy nicht vergessen“. Auf die Idee kam seine Sekretärin, nachdem er oft sein Mobiltelefon im Büro hatte liegen lassen. „Das klingt hoffentlich nicht nach dem Klischee eines zerstreuten Professors“, sagt Schreyögg – und lacht.

Das Studium fiel ihm leicht, man schlug ihm vor zu promovieren – über Organisationsstrukturen –, später sich zu habilitieren, über das Thema Unternehmensstrategie.

Schreyögg blieb in der Wissenschaft. Erst in Nürnberg, dann in Bamberg und in Hagen, seit 22 Jahren lehrt und forscht er in Berlin. Zunächst hatte er an der Universität Bamberg eine Professur für Controlling inne, anschließend Professuren für Planung, Organisation und Führung. Vor zwei Jahren ist der heute 71-Jährige pensioniert worden, seitdem forscht und lehrt er als Senior-Professor für Organisation und Führung an der Freien Universität. Außerdem hat er eine Teilzeitprofessur für Organisationale Kompetenzen an der Universität Graz inne.

Schreyögg beschäftigt sich viel mit theoretischen Fragen zur Unternehmensführung: Wie sollte ein Unternehmen strukturiert sein, damit es seiner Umwelt gegenüber Verantwortung trägt? Welche Führungsmethoden führen zum Erfolg? Wie viel Wachstum ist gut? Fragen, die auch damit zusammenhängen mögen, dass er im Nebenfach Philosophie studiert hat. Und dass seine Ehefrau Psychologin ist und Führungskräfte coacht. Mit vielen Forschungsprojekten – vor allem seinen Studien zur Pfadabhängigkeit, die er mit Kolleginnen und Kollegen des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität und über dessen Grenzen hinweg durchgeführt hat – hat Schreyögg sich in den vergangenen Jahrzehnten national und international einen Namen gemacht. Sein Interesse am Thema Pfadabhängigkeit – dem Wiederholen von Mustern und dem Festhalten an Strukturen, selbst, wenn diese sich als ineffektiv erwiesen haben – hält an: In jüngerer Zeit beschäftigt sich Schreyögg stark mit organisatorischen Routinen – und den Schwierigkeiten, diese zu ändern.

Der Blick über das eigene Fach hinaus ist Schreyögg wichtig. Gerade hat der Wirtschaftswissenschaftler an der Freien Universität ein neues Studienmodul mitkonzipiert: BWL für Geisteswissenschaftler. Die Lehre schätzt er „mindestens so sehr wie die Forschung“. Sie ernst zu nehmen, habe er aus seiner Nürnberger Zeit mitgenommen: „Es wäre nicht gut angekommen, hätte man sich auf seine Lehrveranstaltungen nicht ordentlich vorbereitet.“ Zu seinen Studierenden hat er ein gutes Verhältnis. Hunderte von Abschlussarbeiten hat er betreut. Neulich war er zu Gast bei einem Studierenden-Stammtisch, um über die soziale Verantwortung von Unternehmen zu sprechen.

Ein weiteres Thema liegt Schreyögg am Herzen: die Aufarbeitung der Zeit des Nationalsozialismus in der Betriebswirtschaftslehre. „Noch immer ist zu wenig bekannt über von den Nazis vertriebene Hochschullehrer.“ Vor 15 Jahren hat Schreyögg eine Arbeitsgruppe zu diesem Thema im Verband für Betriebswirtschaft initiiert.

Für sein großes Engagement hat ihm der VHB die Ehrenmitgliedschaft verliehen. Auf die Auszeichnung ist Schreyögg stolz, sagt er. Und ein bisschen traurig, dass seine Eltern diese Ehrungen nicht mehr erleben konnten. In Mittenwald hat er noch ein Haus. „Ich genieße die Abgeschiedenheit eines stillen Bergsees“, sagt er. „Das inspiriert mich zu neuen Forschungsprojekten.“

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