Wenn man bei Claas Thade Buschmann auf dem Behandlungstisch liegt, dann ist der eingewachsene Zehennagel, den man längst untersuchen lassen wollte, nebensächlich. Denn dann ist man tot und wahrscheinlich auch noch eines nicht natürlichen Todes gestorben. Buschmann ist leitender Oberarzt der Rechtsmedizin in der Berliner Charité. Im Auftrag der Staatsanwaltschaft hilft er, neben Morden auch Suizide oder Kunstfehlervorwürfe medizinisch aufzuklären. Circa 30.000 Menschen sterben pro Jahr in Berlin, davon werden rund 2.000 in der Charité obduziert. Pro Tag landet mindestens eine Leiche auf seinem Tisch im Sektionssaal, der nach einer Mischung aus Fisch und WG-Kühlschrank riecht.
Zu Buschmanns Job gehört auch, dass er ab und zu den Sektionssaal verlassen muss und an Fundorte fährt, um im Beisein der Polizei Leichen anzuschauen. Er musste auch beim Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz 2016 vor Ort sein. "Ich bin selbst unter den LKW geklettert, unter dem sich zwei Leichen befanden", sagt er. "Da lagen Tote und Trümmer und dazwischen weht der Geruch von Glühwein. Das werde ich nie vergessen."
Wir haben Fragen.
VICE: Wann haben Sie sich zuletzt im Sektionssaal übergeben? Buschmann: Das ist mir zum Glück noch nie passiert. Aber es gibt Kollegen, die den Magen eines Toten asservieren und aufschneiden müssen - und dann kommt es einem schon mal hoch. An den Geruch von Leichen gewöhnt man sich. Wir arbeiten in der Rechtsmedizin zwar klimatisiert, aber unser Geruchssinn kann sich blitzschnell an neue Gerüche anpassen. Manchmal habe ich aber "Geruchsflashbacks", wenn ich mit dem Fahrrad zur Arbeit fahre und an der Straßenkreuzung halte, einmal einatme und denke: Hier liegt doch einer. Ich habe allerdings mit meiner Nase noch keine Leiche gefunden.
Und einmal lag einer bei mir auf dem Tisch, den ich nur sehr flüchtig kannte. Wir hatten uns auf einer Party kurz unterhalten, aber er blieb mir in Erinnerung, weil er so drogenmäßig drauf war. Ansonsten gab es nie den Fall, dass ich Freunde oder Familie obduzieren musste. Es gibt Kollegen, die das unbedingt selbst machen wollen. Ich habe mir die Frage noch nie so bewusst gestellt, aber würde spontan sagen, dass ich es nicht mache.
Es gibt sehr spurenarme Tötungsmethoden aber man muss als Täter immer dafür sorgen, dass das Opfer sich nicht wehrt. Entweder weil es durch Drogen, Alkohol oder Medikamente handlungsunfähig gemacht wurde und das kriegen wir fast immer raus, oder weil das Opfer zum Beispiel gefesselt wurde und auch das bekommen wir raus.
Im sozusagen besten Fall kann ein Täter darauf hoffen, dass der Notarzt verdächtige Befunde bei der Leichenschau übersieht und es gar nicht erst zu einer Obduktion kommt. Man muss von etwa 1.000 unentdeckten Tötungen pro Jahr in Deutschland ausgehen. Es gibt die gruseligsten Fehlleistungen bei der Leichenschau, wo sogar Messerstiche übersehen wurden. Oder sich der Hausarzt im Dorf nicht traut, die tote Oma im Beisein ihrer Angehörigen auszuziehen oder im Mülleimer nach Tablettenresten zu schauen, weil er will, dass der Rest der Familie weiter in seine Praxis kommt.
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