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Interview

Ein eiskalter Typ

Brutale Stürme, blaue Lippen und eisige Einsamkeit. Chris Burkard ist einer der erfolgreichsten Outdoor-Fotografen der Welt – und aufs extreme Kaltwassersurfen spezialisiert. Warum macht er das? Das hat er WUNDERWELT WISSEN im Interview verraten.

Uni-Campus, Hamburg-Rotherbaum. Klirrende Bierflaschen, lautes Lachen, Sommer-Vibes. Vor dem Audimax bilden sich lange Schlangen. Drinnen wird am Abend die Dokumentation „Under an Arctic Sky“ des Fotografen Chris Burkard gezeigt. Chris, T-Shirt, Chinos, Turnschuhe, sitzt auf einer Mauer vor dem Gebäude und sieht auf sein Smartphone. Auf dem Bildschirm: sekündlich neue Kommentare und Likes eingeblendet, pling, pling, pling. „Sorry, bro“, sagt Chris, setzt ein Grinsen auf und legt das Handy beiseite.

WUNDERWELT WISSEN Chris, du bist mit Bildern von Surfern in klirrend kalten Gewässern bekannt geworden. Wie bist du auf diese Idee gekommen?
CHRIS BURKARD Vor ein paar Jahren erzählte mir ein Freund von den Lofoten, einer norwegischen Inselgruppe am Polarkreis. Mit ein paar Jungs bin ich dann dahin googlen, im tiefsten Winter. Nie zuvor hatte ich ein Meer gesehen, das so wild und rau war, nie so große und schroffe Berge. Dazu ein eisiger, peitschender Wind und Minus 23 Grad. Wir waren die ersten, die bei diesen Bedingungen freiwillig ins Wasser gegangen sind – und wir sind so lange mit den Boards in den Fluten geblieben, bis die Lippen blau waren und wir Arme und Beine kaum noch spüren konnten. Aber es hat sich gelohnt. Die Bilder, die ich von dieser Reise mit zurückbrachte, hatten einen anderen Wert für mich als alle Fotos zuvor: Ich hatte sie mir hart erkämpft, sie der Natur abgetrotzt.
WUNDERWELT WISSEN Ausgerechnet bei den Dreharbeiten für „Under an Arctic Sky“ bist du in einen der stärksten Stürme geraten, die in den vergangenen Jahrzehnten über Island hereingebrochen sind.
Bekommt man da nicht Angst vor den Kräften der Natur?
BURKARD Wir mussten drei Tage in einer Schutzhütte ausharren – eingeschneit, ohne jeden Handyempfang und bei Windgeschwindigkeiten von über 160 Stundenkilometern. Als wir festsaßen, haben wir uns schon gefragt, was wir da tun. Aber die Wellen nach dem Unwetter waren die gewaltigsten, die ich je gesehen habe. Einmal mussten wir den Dreh abbrechen, sonst hätte der Wind das Segelboot zerrissen. Aber echtes Abenteuer fängt doch da an, wo nicht jedes Detail geplant ist, wo Dinge schiefgehen können, oder?
WUNDERWELT WISSEN Ist es schwieriger geworden, echte Abenteuer zu finden? Mit Google Earth kann man schließlich vom Sofa bis in die letzte Ecke des Globus gucken...
BURKARD Unser Zugang und die Informationen zu fremden Orten waren tatsächlich nie besser als heute. Aber mit dem Internet ist die Welt keineswegs kleiner geworden. Die Menschen müssen einfach nur kreativer werden bei der Auswahl ihrer Reiseziele. Dafür muss man manchmal eben auch etwas riskieren. Und denen, die Angst haben, kann ich nur sagen: Es kann dich immer und überall erwischen – ob nun im eiskalten Atlantik oder auf der Autobahn.
WUNDERWELT WISSEN Warum bist du Fotograf geworden?
BURKARD Ich bin bei meiner Mum aufgewachsen, in einfachen Verhältnissen, konnte als Junge nie über den Tellerrand von Kalifornien hinausblicken. Dementsprechend neugierig war ich, wie die Welt jenseits der 18-Uhr-Nachrichten und unseres Esstischs aussieht. Und meine Kamera war das Werkzeug, das mich diesen Orten näherbrachte. Dafür habe ich alles zurückgelassen, meine Jobs als Gärtner und Verkäufer gekündigt und lange Zeit in meinem Auto gepennt.
WUNDERWELT WISSEN Du hast in Kamtschatka, in Alaska und auf den Färöer-Inseln fotografiert. Warum solch extreme Orte?
BURKARD Für meine frühen Jobs war ich in der Karibik, auf Bali, in Indonesien, Thailand, Australien. Wunderschöne Orte, mit WLAN, gutem Essen und weißen Sandstränden. Irgendwann aber habe ich gemerkt, dass mir das nicht mehr reicht. Ich wollte nicht einfach nur Stempel in meinem Reisepass sammeln und die Schecks einstreichen, ich wollte etwas Neues: Wellen surfen, die noch nie gesurft wurden. Fotos schießen, die noch nie geschossen wurden.
WUNDERWELT WISSEN Mit Instagram, Facebook & Co. kann sich heute jeder selbst vermarkten. Was unterscheidet dich von anderen Influencern?
BURKARD Social Media sind für mich nur Mittel zum Zweck. Ich finde es sehr wichtig, wenn man als Künstler eine Mission hat, eine Vision. Ich möchte meine Erlebnisse mit anderen Menschen teilen, will sie inspirieren. Das ist der Grund dafür, warum ich hier sitze. Ansonsten verzichte ich bei meinen Posts auf jeglichen überflüssigen Schnickschnack; auf Verlinkungen dazu, welcher Berg im Hintergrund zu sehen ist, welche Marke ich toll finde oder welchen Satz irgendwer mal irgendwann gesagt hat. Ich will meine ganz persönliche Sicht der Dinge darstellen, möchte Geschichten erzählen, die ehrlich sind und hoffentlich eine Bedeutung haben.
WUNDERWELT WISSEN Bei allem, was du gesehen hast: Hast du noch Träume für die Zukunft?
BURKARD Ich wollte schon immer mit dem Pferd über den zugefrorenen Baikalsee reiten, tief im Süden von Sibirien. Ansonsten gebe ich nicht viel auf Träume. Ich finde: Wenn du zu viel träumst, lebst du nicht den Moment.