Den Ballonfahrern von Bagan bläst ein scharfer Wind ins Gesicht, der Himmel über Myanmar wird immer enger. Zu Besuch bei echten Kerlen in kleinen Körben.
Die Luft ist rein. Kaum eine Wolke, keine Brise zu spüren. Trotzdem starrt Andy Davey auf das kleine Knäuel aus Grau, das in der Ferne am noch tiefblauen Himmel hängt. Davey legt die Stirn in Falten, grummelt ein paar Wortfetzen, nippt an seinem Kaffee. Braut sich da oben was zusammen?
Es ist kurz vor halb sechs am Morgen. Seit fast einer Stunde schon stehen wir auf einem Feld und warten auf den Start. Es ist dunkel, um uns herum tanzen die Lichtkegel von Taschenlampen über das trockene Gras. Dutzende junge Männer laufen über das Feld, bugsieren Traktoren hin und her, zerren an Leinen, hieven Propanflaschen auf ihre schmalen Schultern, brüllen Kommandos. Auf einmal geht alles ganz schnell. Davey zeigt auf einen der Körbe unter den gewaltigen roten Planen, die wie riesige Quallen über uns wabern und immer wieder aufglühen. Einsteigen, hinsetzen, festhalten. Davey dreht an Ventilen, prüft die Frequenzen der drei Funkgeräte, hebt den Daumen, greift den Hebel des Brenners. Dann heben wir ab.
Andy Davey, 51, ist Ballonfahrer. Der Mann aus Bristol ist schon überall auf der Welt geflogen. Über den Fidschi-Inseln, in Südfrankreich, den Alpen, Chile und auf Zypern, seit mehr als 30 Jahren macht er, ein Nomade der Lüfte, das schon. Zwischen Oktober und März bringt er für die Firma Balloons over Bagan Touristen in den Himmel über Bagan, eines der bedeutendsten Baudenkmäler Südostasiens. In der offiziellen, 36 Quadratkilometer großen „Archäologischen Zone" stehen mehr als 2000 Tempel, Grabhügel, Klöster, Stupas und Pagoden, einige sind über tausend Jahre alt. Nirgendwo auf der Welt gibt es so viele buddhistische Bauwerke auf so engem Raum.
Gern erzählt der große Mann mit dem breiten Lächeln, wie schwierig Ballonfahren in Myanmar ist. Wie unberechenbar Regen und Sturm zwischen Monsun- und Trockenzeit sind; wie sich selbst 200 Kilometer entfernte Cumulonimbus-Wolken auf die Geschwindigkeit und Strömung des Windes auswirken; welchen Unterschied bloße zwei Grad Celsius beim Auftrieb machen. Davey redet gern über das Wetter, es fasziniert ihn. Mit dem Wind zu ziehen ist immer wieder ein Abenteuer. „Du weißt nie, wo du ankommst."
Die wahren Turbulenzen aber herrschen in Myanmar nicht in der Luft, sondern am Boden. 2010, nach Jahrzehnten der Militärdiktatur, gab es die ersten freien Wahlen. Die EU stoppte ihre Sanktionen, Barack Obama kam. Von 2014 zu 2015 verdoppelten sich die ausländischen Investitionen auf acht Milliarden US-Dollar. Zählten die Behörden 2010 rund 800 000 Touristen, gehen Schätzungen für 2016 von sechs Millionen Besuchern aus. Das einst isolierte Myanmar öffnet sich. Und zwar so rasant, dass die Regierung sich um das kulturelle Erbe sorgt - und laufend neue Gesetze erlässt, auch zum Schutz von Bagan. Seit Herbst 2015 dürfen die Ballons nicht mehr in der Tempelzone starten und landen. Sie müssen 90 Meter Abstand zu den Bauten halten, doppelt so viel wie zuvor. Das Zentrum der Zone dürfen sie nur im Notfall überqueren. Die Begründung des Kulturministeriums: Die Ballons könnten die Türme einreißen und die Tempel in Brand stecken.
Davey sagt, einen solchen Unfall habe es noch nie gegeben. Er war schon am Anfang dabei, 1999, als das Land noch Burma hieß, es noch keine kommerziellen Touren gab und man allenfalls die Erlaubnis der Klosteroberhäupter brauchte, um über den Gotteshäusern zu schweben. 17 Jahre später steigen in der Hauptsaison jeden Tag 21 Ballons auf, rote, gelbe, grüne. Zwei weitere Firmen bieten Ballonfahrten an. Daveys Kollegen kommen aus aller Welt: Javier aus Spanien, Paolo aus Italien, der belgische Chefpilot Bart, das neuseeländische Paar Milton und Elly, sie ist die einzige Pilotin im Team. Spezialisten, die sich nicht nur auf Wettermodelle aus dem Computer verlassen, sondern auf ihre Intuition. Einige Male mussten sie kurz vor dem Flughafen landen, vor der Stadt - oder auch mal auf einem frisch bestellten Bohnenfeld. Oft wetten sie, wer tatsächlich am angepeilten Ziel runterkommt.
Während wir durch die Lüfte gleiten, wird der Himmel in Gold und Safran getaucht. Unter uns treiben Farmer ihre Wasserbüffel über die Äcker. Rauch steigt über den Dächern der Dörfer auf. Der Schatten unseres Ballons tanzt auf den Baumwipfeln. Dahinter schlängelt sich der Fluss Irrawaddy als blasser blauer Streifen durch die Landschaft, eingerahmt von weißen Sandbänken und Hügelketten am Horizont.
Lange ließ die Militärjunta Bagans Kulturschätze links liegen. Eingestürzte Tempel wurden notdürftig mit modernen Ziegeln repariert, bröckelnder Stuck mit billigem Mörtel ausgebessert. Währenddessen zogen Investoren Hotels zwischen den Heiligtümern hoch, mit Pools und Golfplätzen. Pagoden wurden für exklusive Dinner gesperrt, 2005 wucherte plötzlich ein neuer Aussichtsturm aus der Ebene - ein stilloser Betonkoloss. Das buddhistische Erbe drohte in einem südostasiatischen Disneyland aufzugehen. Am 24. August 2016 traf die Region ein Erdbeben mit der Stärke 6,8. Etliche Bauten wurden beschädigt. Jetzt will die Regierung zeigen, dass sie es ernst meint mit dem Schutz von Bagan. Die aktuelle Bewerbung für das Unesco-Weltkulturerbe muss gelingen.
Bei all dem politischen Wirrwarr ist Andy Davey froh, dass er und seine Kollegen überhaupt noch fliegen dürfen. „Für viele Jahre konnten wir das machen, was in anderen Teilen der Welt längst eingeschränkt und streng reguliert war." Doch hinter vorgehaltener Hand reden die Piloten nicht so zurückhaltend. Die Politiker bräuchten Sündenböcke, heißt es, für alles, was außer Kontrolle ist in Bagan: der Einfluss der alten Garde von korrupten Militärs, die das Land verschachern. Das illegale Verbrennen von Müll, der anhaltende Bauboom, allen Verboten zum Trotz.
Auf die Frage, ob die Ballons eine echte Gefahr für die Heiligtümer darstellen, hat das zuständige Unesco-Büro in Bangkok keine konkreten Antworten. Man unterstütze alle Maßnahmen, die dem Erhalt der Tempellandschaft dienen, sagt diplomatisch Bich Hanh Duong, Leiterin der Kulturabteilung, und in Bagan würden dieselben Standards angewandt wie bei vergleichbaren Unesco-Stätten. Aber die Realität sieht anders aus: Die Königsstadt Luang Prabang in Laos behält ihren Titel, obwohl in direkter Umgebung rund 50 000 Menschen leben. Angkor Wat in Kambodscha wurde in die Liste aufgenommen ohne den Zusammenschluss in einer großen Schutzzone mit anderen Bauten, wie es für Bagan gefordert wird. Und auch über den geschützten Felssäulen von Kappadokien fliegen täglich Hunderte Ballons.
Viele Besucher kommen nur für die Ballonflüge nach Bagan. Über 22 000 Gäste hat allein Balloons over Bagan in der vergangenen Saison befördert, Backpacker, Pauschalreisende, Luxustouristen. 330 Dollar kostet die Tour - das erscheint vielen ein fairer Preis für dieses unvergessliche Erlebnis. Nicht nur Hoteliers, Restaurantbetreiber, Souvenirhändler und die Ballonfahrer selbst profitieren davon. 200 Einheimische arbeiten für Balloons over Bagan. Sie bekommen ihren Lohn das ganze Jahr über, auch außerhalb der Saison. An langen Tagen bekommen sie ein Extra-Trinkgeld von den Piloten, auf jede freie Stelle kommen Hunderte Bewerber. Ein Flugverbot wäre ein herber Rückschlag für die Region. „Wir müssen uns an die Regeln halten, sonst ist Ballonfahren in Bagan Geschichte", sagt Davey. „Das heißt auch, dass wir die Passagiere manchmal enttäuschen müssen." So wie gestern. Der Wind stand schlecht, die Ballons mussten weit im Süden starten. Kurs Nordost, 50 Grad, bei zwei Knoten. Zu langsam. Bevor sie die Pagoden erreichten, mussten sie schon wieder landen. Die Passagiere bekamen die Tempel nur auf den Postkarten zu sehen, die immer zum Abschied verteilt werden.
Heute haben wir Glück. Spitze Türme und gigantische Bauten erheben sich aus dem Morgennebel. Die Shwezigon-Pagode glänzt golden. Der kastenförmige Thatbinnyu-Tempel, der schon von Weitem weiß erstrahlt. Die Shwesandaw-Pagode, von deren Plattform man auf die Steppe mit der kupferfarbenen Erde und den dichten Urwald hinausblickt. Hier, sagt Davey, fliegt er am liebsten. Bereitet ihm die Ungewissheit Sorgen? Hat er Angst um den Job? „Nein. Das war schon immer so in diesem Land." Zur Not ziehen er und die anderen Ballonfahrer weiter. „Wir fliegen da, wo der Wind uns hinträgt."