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Verändert die Corona-Krise das Warten?

(Foto: dpa)

Geduld ist eine Tugend. Die wird aktuell besonders beim Warten an der Supermarktkasse auf die Probe gestellt. Doch warum fällt es so schwer, sich zu gedulden? Und wie beeinflusst die Corona-Pandemie dieses Verhalten?

Ob beim Einkaufen, in der Arztpraxis oder beim Essen bestellen: Warten ist ein fester Bestandteil des Lebens. Obwohl jeder davon betroffen ist, fällt es den meisten nicht leicht, sich in Geduld zu üben. Die Zeit scheint plötzlich nicht mehr zu vergehen, man wird gereizt und trotz des Vorsatzes, diesmal ruhiger zu bleiben, endet die Warterei meist in Ungeduld.

Seit Beginn der Corona-Krise kommt man jedoch besonders beim Einkaufen an genau diesem kräftezehrenden Warten nicht vorbei. Das Einkaufsverhalten der Menschen hat sich spürbar verändert: Nicht nur, dass man auf bestimmte Artikel warten oder sogar verzichten muss, auch die Supermarktschlange wirkt durch den notwendigen Sicherheitsabstand endlos. Warum das Warten so schwerfällt und inwieweit sich Extremsituationen auf das "Wartegefühl" auswirken, fragt ntv.de bei Professor John Rauthmann, Persönlichkeitspsychologe an der Universität Bielefeld, nach.

Der Mensch neigt zur Ungeduld

Da kein Mensch dem anderen gleicht, gibt es auch in puncto Geduld große Unterschiede. Während einigen die Wartezeit im Supermarkt kaum auffällt, wird sie für andere zu einer echten Zerreißprobe. Wie lässt sich das erklären? Ob ein Mensch geduldig ist, hängt stark mit der eigenen Selbstregulation zusammen. "Diese ist wie eine Ressource, die angezapft werden kann, wenn man Verlockungen widerstehen oder Unangenehmes aushalten muss", erklärt Rauthmann. Wie gut diese Ressourcen eingesetzt werden können, ist von Person zu Person unterschiedlich.

Trotz dieser Unterschiede neigt der Mensch allgemein dazu, schnell in Ungeduld zu verfallen. "Evolutionspsychologisch betrachtet ist man eher darauf gepolt, Dinge früher, anstatt später haben zu wollen. Das liegt daran, dass sich der Mensch in einer Umwelt entwickelt hat, in der er nicht immer vorhersagen konnte, was die Zukunft bringt", so Rauthmann. Besonders erstrebenswert sind somit Dinge und Ereignisse, die unmittelbar erreichbar oder umsetzbar sind.

Warten ist nicht gleich Warten

Auf was der Mensch wartet und wie er diese Zeit überbrückt, spielt eine entscheidende Rolle. Man empfindet das Warten auf schöne und absehbare Ereignisse erträglicher als das Ausharren ohne konkretes Ende. Bei unbestimmter Wartezeit führt nämlich nicht nur die Ungewissheit schneller zu Ungeduld, auch die innere Uhr spielt dem Menschen einen Streich. So ärgert man sich schnell über eine halbe Stunde Zeitverlust, obwohl erst zwanzig Minuten vergangen sind. Positiv kann das Wartegefühl hingegen durch Ablenkung beeinflusst werden. Der Griff zur Zeitschrift im Wartezimmer kann dabei ebenso hilfreich sein wie der Blick auf das Smartphone.

Beim Schlangestehen im Supermarkt stellt noch ein weiterer Faktor die Gelassenheit auf die Probe: Das Gefühl, die anderen sind im Vorteil. Fast jeder erwischt sich bei dem Gedanken, dass die andere Schlange schneller ist als die eigene. Wenn man glaubt, ungerecht behandelt zu werden, steigt die eigene Unzufriedenheit und die Geduld nimmt ab. Zudem kann Unruhe bereits ausgelöst werden, wenn man sich hinten an eine Schlange anstellen muss. "Wir sind nicht gerne Schlusslichter", bemerkt Rauthmann. Es kann helfen, sich beim Warten gelegentlich umzudrehen, um den eigenen Fortschritt wahrzunehmen.

Einfluss von Extremsituationen

In der Corona-Pandemie werden alltägliche Situationen zu echten Herausforderungen, so auch das Einkaufen. Neben vergriffenen Lebensmitteln fallen besonders die langen Warteschlangen auf. Aber wirkt sich die Krise auch auf das allgemeine Warteverhalten der Menschen aus?

Das psychische Befinden nimmt einen großen Einfluss auf das Warten. Viele sind aufgrund der Pandemie in einer angespannten mentalen Verfassung. Dies hat zur Folge, dass das Ausharren wesentlich schwerer fallen kann. "Das liegt daran, dass man in solchen 'aufgebrauchten Zuständen' bereits einige der selbstregulativen Ressourcen verbraucht hat oder keinen guten Zugang dazu findet." Es kann also durchaus sein, dass die Menschen aktuell schneller ungeduldig werden als sonst.

Trotz der allgemeinen Verunsicherung verhalten sich die Menschen eher ruhig, anstatt in Panik zu verfallen. In vielen Supermärkten macht sich das Gefühl der Solidarität breit: Man gibt acht aufeinander, hält bewusst Abstand und lächelt sich aus der Ferne zu. Die strikten Regelungen an den Kassen sorgen zudem dafür, dass kaum noch vorgedrängelt wird. Viele haben auch Verständnis für aufkommende Lieferschwierigkeiten. "Man könnte argumentieren, dass es derzeit nachvollziehbarer als sonst ist, wenn man warten muss. Allgemein scheint es, als sei man das Warten in Schlangen gewohnt, weshalb man die impliziten Regeln akzeptiert. Das ändert die jetzige Lage kaum."

Übrigens: Andere Länder, andere Sitten. Während das Ein- und Aussteigen an Bahnhöfen in Deutschland meist chaotisch abläuft, wird in Japan auch hier auf Schlange stehen gesetzt. Markierungen auf dem Boden schreiben vor, wo man zu warten hat und wann man an der Reihe ist.

Quelle: ntv.de

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