In eisiger Kälte fiebern zwei Frauen dem Christkindlmarkt entgegen. Eine Wand aus Schneeflocken und tausenden Lichtern hüllen die Stadt in eine festliche Stimmung. Als ein Straßenmusiker an der Promenade der Salzach beginnt, ein Weihnachtslied zu spielen, ist die filmreife Kulisse perfekt. Die Frauen gehen an dem Straßenmusiker vorbei, aus dessen Akkordeon die Töne von „Jingle Bells" ertönen. Nur wenige Meter von ihm entfernt sitzt eine Bettlerin. Über ihrem Kopf hängt ein Tuch. Ihre dünne Stoffjacke hat sie weit in ihr Gesicht gezogen. „Alles Gute der Familie", sagt sie, als die beiden Damen nur noch ein paar Schritte entfernt sind. Sie erhofft sich dadurch ein bisschen Kleingeld. Aber der Pappbecher in ihrer Hand bleibt leer. Es ist das Wochenende vor Weihnachten und das Wochenende, nachdem Harald Preuner (ÖVP) zum neuen Bürgermeister von Salzburg gewählt wurde. Ein Mann, der sich mit dem Thema „Bettler in Salzburg" auskennt.
Wie viele Menschen jeden Tag in Salzburg betteln, lässt sich nicht sagen. Der ehemalige Vizebürgermeister Preuner sprach noch im Frühjahr von 60 bis 70 Bettlern täglich. Noch einige Monate zuvor ging er von 80 bis 90 aus, wie die Tageszeitung Der Standard schreibt. Dass diese Zahlen richtig sind, bezweifeln einige Politiker aus anderen Parteien. Nach Angaben von Neos-Politiker Sebastian Huber sollten die Zahlen lediglich die 2016 beschlossene Ausweitung der Bettelverbotszone stützen: „Die von Harald Preuner präsentierten Daten sind zum Teil aber weder transparent noch vergleichbar. Die SPÖ ist auf die Zahlenspielereien reingefallen", schrieb er auf seiner Homepage.
Als die beiden Frauen die Getreidegasse entlanggehen, ist von den Akkordeonklängen nichts mehr zu hören. Die Lichterkette, die über ihren Köpfen hängt, erhellt die Gasse, als sei es helllichter Tag. Hunderte von Menschen schieben sich durch die Gasse und schauen in die Fensterscheiben der Läden. Weihnachten hat alles in Beschlag genommen. Christbaumkugeln, Lichterketten und Werbungen für spezielle Weihnachtsangebote schmücken die Schaufenster. Sie sollen den Kaufreiz der Leute anregen. Der Plan geht auf. Viele schlendern vor ihrem ersten Glühwein von Laden zu Laden. Einige tragen drei, vier Einkaufstaschen mit sich herum. Gestört werden sie bei ihrem weihnachtlichen Einkaufsbummel nicht. Denn Bettler, die um Kleingeld bitten, lassen sich rund um den Christkindlmarkt nicht mehr finden.
Eineinhalb Jahre ist es her, seit der Gemeinderat der Stadt dafür stimmte, die Bettelverbotszonen auszuweiten. Preuner - damals noch Vizebürgermeister - argumentierte, dass sich viele Geschäftsleute über die Bettler beschwert hätten. Fast der gesamte Innenstadtbereich wurde zu einer Tabu-Zone für die Menschen mit den Pappbechern erklärt. „Man merkt es auch im Straßenbereich: es ist deutlich weniger geworden", lobte Preuner in einem Interview mit dem ORF die Gesetzesänderung. Das sektorale Bettelverbot wurde mittlerweile vom Verfassungsgericht (VfGH) als „ gesetzeswidrig " erklärt, da die zeitliche und örtliche Beschränkung fast einem „absoluten Verbot" gleichkomme.
Mittlerweile sind die beiden Frauen am Residenzplatz angekommen. Der Geruch von Bosna, Süßspeisen und erhitztem Glühwein steigt in die Nase. Neben der Klangkulisse sich unterhaltender Menschen ist Weihnachtsmusik zu hören. Allerdings nicht von einem Straßenmusiker. Sie kommt von einer der Stände, die um den großen Brunnen in der Mitte des Platzes aufgebaut sind. Noch vor wenigen Tagen ließ sich hier der neu gewählte Bürgermeister mit einem Christbaum fotografieren. Er lächelte in die Kamera, als Obmann Wolfgang Haider ihm den Baum übergab. Er ist stolz auf den Christkindlmarkt seiner Stadt. „Der Salzburger Christkindlmarkt am Dom- und Residenzplatz ist für die Stadt Salzburg ein weltweiter Sympathieträger", wird er zitiert. Kein Wunder also, dass es ihm ein Anliegen war, dass auch der Christkindlmarkt eine Tabu-Zone für Bettler bleibt.
Knapp 110.000 Euro seien nach Angaben des Standard in die Hand genommen worden, um mithilfe von Wachdiensten das Gesetzesvorhaben durchzusetzen. Das Dreifache an dem, was für die soziale Betreuung der Armutsmigranten ausgegeben wird. Die Dienstfahrten des amtierenden Bürgermeisters sind dabei nicht mitgerechnet.
Im April 2017 stand der ÖVP-Politiker wegen drei Fahrten mit seinem Dienstauto in der Kritik. Rund 4300 Euro kosteten die Fahrten zwischen Salzburg-München, Salzburg-Bozen und der anschließenden Reise nach Meran. Grund für die Reisen seien nach Angaben Preuners der „Erfahrungsaustausch zum Bettelverbot" gewesen, wie Salzburg24 berichtet. Vor allem die Opposition kritisierte die Ausgaben des ÖVP-Politikers: „Wäre Preuner dieselben Strecken mit der Bahn und dem Taxi gefahren, hätte er dem Steuerzahler 75 Prozent beziehungsweise 85 Prozent der Kosten erspart", erklärt Neos-Klubobmann Sebastian Huber.
Einige klammern sich noch an ihren Tassen mit Glühwein fest, als die ersten Stände des Weihnachtsmarktes die Läden schließen. „Oanen griagst nu", lacht eine Verkäuferin am Glühweinstand, als ein Mann mit seiner Tasse wedelt. Der Residenzplatz leert sich langsam. Während noch vor wenigen Minuten der Platz von hunderten Menschen belebt war, lassen sich mittlerweile nur noch einzelne Gruppe finden, die den Öffnungszeiten des Marktes trotzen wollen. Die letzten Scheine werden über die Theke gereicht. Als auch die verbleibenden Besucher weiterziehen, sind die Straßen auch außerhalb der Innenstadt wie leergefegt. Nur noch vereinzelt sind Menschen zu sehen, die sich von den Christkindlmarktbesuchern eine kleine Spende erhoffen. Der Rest hat sich wegen der winterlichen Kälte zurückgezogen. Sie sind erst wieder am nächsten Tag zu sehen, wenn Heerscharen von Touristen durch die Straßen ziehen, um das weihnachtliche Ambiente zu bewundern und um sich an der brotlosen Kunst der Straßenmusiker zu erfreuen.