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Präsidentschaftswahl in Honduras: "Das ist der Weg in die Diktatur" - SPIEGEL ONLINE - Politik

Die Bilder, die derzeit aus Honduras um die Welt gehen, wecken düstere Erinnerungen. Wütende Menschen zünden Autos und Regierungsgebäude an, errichten Straßenbarrikaden und liefern sich gewaltsame Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften. Lokale Medien berichten von Dutzenden Verletzten und sieben Toten in den vergangenen Tagen.

Am frühen Samstagmorgen aber wirkt die Hauptstadt Tegucigalpa in einigen Teilen wie eine Geisterstadt. Autos und Busse sind ausgebrannt, Läden geplündert, Straßen blockiert - und die Stadt ist menschenleer. Die meisten Geschäfte bleiben geschlossen, Anwohner berichten von einem anarchischen Ambiente. Am Vorabend hat die Regierung eine Ausgangssperre verhängt: Die kommenden zehn Tage gilt sie zwischen 18 Uhr abends und 6 Uhr morgens. So soll der Widerstand der Bevölkerung erstickt werden.

Denn die Honduraner machen gerade das, was sie auch schon 2009 gemacht haben, als ihr damaliger Präsident Manuel Zelaya nachts im Pyjama aus dem Amt geputscht wurde. Sie wehren sich vehement gegen Willkür der Herrschenden und den Bruch demokratischer Regeln.

Dieses Mal geht es um den vermutlichen Betrug bei der Präsidentenwahl vor einer Woche. Sieben Tage später liegt noch immer kein Ergebnis vor, zählt die Wahlbehörde TSE angeblich noch immer die letzten Urnen aus. Und das, was einige Stunden nach der Abstimmung in der Nacht zu Montag noch ein satter Vorsprung von fünf Prozentpunkten für den Oppositionskandidaten Salvador Nasralla vom Mitte-links-Bündnis "Allianz gegen die Diktatur" war, hat sich inzwischen in einen so gut wie sicheren Sieg für den autoritären und rechten Amtsinhaber Juan Orlando Hernández verwandelt - der erklärte sich auch schon zum Wahlsieger.

Vom Wahlsieger zum Unterlegenen in 48 Stunden

Die Entwicklung ist zumindest bemerkenswert: Zwischen Sonntagnacht und Dienstag veröffentlichte die regierungstreue Wahlbehörde nicht eine einzige Hochrechnung. Am Dienstag war der Vorsprung Nasrallas plötzlich auf wenige Prozentpunkte geschmolzen, einen Tag später fiel angeblich das Computersystem der Wahlbehörde aus. Als die Menschen in dem kleinen zentralamerikanischen Krisenland, für das einmal der Begriff Bananenrepublik erfunden wurde, am Donnerstag erwachten, lag Hernández plötzlich deutlich vorn.

Zwar könnte sich ein Teil von Hernández' Anstieg mit der Stärke seiner alteingesessenen Partei auf dem Land erklären lassen - hier wurde tatsächlich erst später fertig ausgezählt. Es hat allerdings eher den Anschein, als zähle die Wahlbehörde so lange, bis das gewünschte Ergebnis zustande kommt. Auf Basis von rund 94 Prozent der ausgezählten Urnen entfallen auf Hernández 42,9 Prozent und auf Nasralla 41,4 Prozent der Stimmen. "Das ist der Weg in die Diktatur", sagt der Schriftsteller Giovanni Rodríguez.

Nasralla rief seine Anhänger auf, friedlich "gegen den Betrug" auf die Straße zu gehen. Aber mit jedem Tag steigt die Wut der Menschen. Zudem mischen sich Plünderer und Gewalttäter unter die Oppositionsanhänger. Die Opposition spricht von einer Infiltration: Es werde bewusst Aufruhr geschürt, um dem Präsidenten den Vorwand zu liefern, das Militär einzusetzen. Für Schriftsteller Rodríguez ist das Teil einer eingeübten Strategie: "Hernández hat das Szenario vorbereitet, weil er die Wahlniederlage einkalkuliert hat", sagte er dem SPIEGEL. "Die Honduraner haben die Nase voll von der Regierung."

Auch wenn sich bisher kein Wahlbetrug nachweisen lässt, gibt das unendliche Auszählen großen Anlass für Misstrauen. Zumal sich die Eliten in Honduras nie viel um Recht und Gesetz geschert haben. Zudem weiß das ganze Land, dass die Wahlbehörde Erfüllungsgehilfe des Staatschefs ist.

Mit aller Macht an die Macht

Der Streit um das Ergebnis ist Folge eines Rechtsbruchs, der der Präsidentenwahl vorausging. Eigentlich hätte der Amtsinhaber gar nicht wieder antreten dürfen - das verbietet die Verfassung des kleinen zentralamerikanischen Landes. Aber Hernández ersetzte die Oppositionsvertreter beim Obersten Gericht kurzerhand durch ihm ergebene Juristen. Diese erklärten den entsprechenden Artikel der Verfassung für ungültig - und schon durfte der amtierende Staatschef noch mal antreten.

Dieses Vorgehen der rechten Eliten wirkt besonders dreist vor dem Hintergrund, dass der linksgerichtete Präsident Zelaya vor acht Jahren unter dem Vorwurf aus dem Amt geputscht wurde, er strebe die verbotene Wiederwahl an: Zelaya hatte ein Referendum einberufen, in dem die Bevölkerung über die Zulassung einer neuerlichen Kandidatur abstimmen sollte.

Die Wunden von damals sind noch nicht verheilt. Zelayas Partei LIBRE ist in dem Parteienbündnis von Nasralla vertreten, und viele vor allem konservative Beobachter behaupten, eigentlich ziehe der Ex-Präsident die Fäden in der "Allianz gegen die Diktatur", Ex-TV-Moderator Nasralla sei nur ein Strohmann. Anhaltspunkte dafür gibt es wenige. Vielmehr versammeln sich in dem Bündnis alle Kräfte, die sich gegen Korruption, Amtsmissbrauch und das neoliberale Wirtschaftsmodell der aktuellen Regierung starkmachen.

Aufgaben gebe es für eine neue Regierung genug: Honduras ist noch immer eines der ärmsten und gewalttätigsten Länder der Welt, wird in manchen Teilen faktisch von den Jugendbanden und Drogenkartellen regiert, die stellenweise mit den mächtigen Unternehmen gemeinsame Sache machen.

Vorerst zeichnet sich aber kein Ende der Krise um die Präsidentenwahl ab. Die Wahlbehörde bietet die Neuauszählung von gut 1000 Urnen an. Nasralla will aber, dass mindestens 5000 Urnen überprüft werden. Für Sonntag rief er seine Anhänger zu neuen Protesten auf. Und auch im Ausland sorgt der Ausnahmezustand in Honduras zunehmend für Sorge: Zwar spricht die internationale Gemeinschaft noch nicht von Betrug, forderte die Wahlbehörde jedoch auf, die Ergebnisse unverzüglich vorzulegen.

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