Wie wird ein Mann zum Mann? Gibt es überhaupt „richtige“ Männer? Darüber streiten Rolf Pohl und Thomas Meinecke im Literarischen Salon.
Was ist der Mann? Oder besser: Wie ist der Mann? So eindeutig wie vor 100 Jahren scheint die Antwort darauf nicht mehr zu sein. Das deutet der Titel der Podiumsdiskussion „Männer in der Krise" im Literarischen Salon der Leibniz-Uni an. Dort wurde darüber diskutiert, was es kulturell eigentlich bedeutet, „weiblich" oder „männlich" zu sein.
Die Gäste selbst sind offensichtlich männlich: Sozialpsychologe Rolf Pohl und Autor und Musiker Thomas Meinecke. Pohl hat 2004 in seiner Studie „Feindbild Frau" die Zusammenhänge von Männlichkeit und Gewalt untersucht. Das Ergebnis: Männer werden von dem geprägt, was man von ihnen als Mann erwartet. Kategorien wie „weiblich" oder „männlich" seien demnach lediglich soziale Konstrukte. Typisch „männliche" Zuschreibungen wie Stärke oder Souveränität seien anerzogen.
Und was ist mit den Hipstern, diesen selbstbewussten Bartträgern? Zeigt sich da nicht ein neues, cooles Männerideal? Im Gegenteil: „Der Hipsterbart hat eher etwas Feminines", sagt Thomas Meinecke, der zweite Gast auf dem Podium. Barttragende Zuschauer tauschen irritierte Blicke, das Publikum lacht unsicher. „Der ist so weich und gepflegt. Eher weiblich," erklärt Meinecke. Gerade in der Mode müsse man vorsichtig sein mit neuen Männlichkeitsbildern, sagt er: „Wenn Männer sich - wie Mick Jagger 1968 - verweiblichen, gleicht das eher einer feindlichen Übernahme von Weiblichkeit."
Für die Rechte der Frau
Seit der Veröffentlichung seines Buchs „Tomboy" in den Neunzigerjahren ist Meinecke überzeugter Verfechter von Frauenrechten. Sich mit Frauen zu verbünden, gilt gesellschaftlich als unmännlich. Den Vorwurf, kein „richtiger" Mann zu sein, hält Meinecke daher bis heute aus. Sozialpsychologe Rolf Pohl erklärt den Vorwurf mit der patriarchalen Dividende nach Raewyn Connell: in der männlich-dominierten Gesellschaft ist es wichtig, sich innerhalb der Männer zu beweisen und Weiblichem gegenüber abzugrenzen. Daraus entsteht der Druck, sich als „richtiger" Mann beweisen zu müssen und - in einer zweigeschlechtlichen Gesellschaft - somit als „Nicht-Frau". Mutproben wie U-Bahn-Surfen oder Gemeinschaften wie die Burschenschaftler seien eine Folge. Es geht um die Vergewisserung der eigenen Männlichkeit. „Ich bin froh, dass ich eine Tochter habe", sagt Meinecke. „Junge sein ist als Kind schwer."
Die Podiumsgäste sind nicht nur gekommen, um darüber zu klagen, dass Mann-Sein schwer ist. Meinecke kämpft leidenschaftlich für die Rechte der Frau. So sehr, dass er in „Tomboy" absichtlich kein einziges Mal das Wort „man" verwendet. Dabei kommt „man" etymologisch gar nicht von „Mann".
Die Sprache ist Argument und Strategie Meineckes. Er bemühe sich, seine Texte bewusst „unsouverän" zu schreiben. Also weniger „typisch" männlich. Man solle sich von der gesellschaftlichen Anforderung, ein „richtiger" Mann zu sein, freimachen. „Sagen Sie das mal einem Grundschüler, der versucht, cool zu sein", sagt der 65-jährige Pohl daraufhin. Das Publikum lacht. Stabile Strukturen lassen sich eben nicht so einfach aufweichen.
Die Befreiung der Menschen
Einig sind sich die Diskutanten nicht immer: Während Meinecke die Sympathie mit egal welchem Weiblichen offensiv betont, fokussiert der kürzlich emeritierte Professor Pohl eher auf allgemeine Geschlechterhierarchien. Diese Diskrepanz kommt besonders in der Debatte über gerechte Sprache zum Ausdruck. Dabei wirken die Aussagen des 61-jährigen Meinecke teilweise fast naiv: „Wir haben lange genug Professor gesagt, da können wir die nächsten 300 Jahre auch nur Professorin sagen", sagt er. Und: „Es reicht, wenn die Frauen befreit werden."
Pohl dagegen betont, dass es um die Befreiung von Menschen gehe, denn „Frauen sind nicht per se die besseren Menschen". Aber: „Natürlich ist der Kampf der diskriminierten Frauen nach gleichen Rechten wichtiger als das männlichen Pendant." Zwei Männer als Retter der Frauen - irgendwie aber auch typisch männlich.
Von Kira von der Brelie