Viele Eltern aus Guatemala, El Salvador und Honduras schicken ihre Kinder in die USA. Sie wollen ihnen damit ein Leben geprägt von Gangs und Drogenhandel ersparen. In den Vereinigten Staaten erwartet die jungen Flüchtlinge ein harter Kampf um Asyl.
Victor Nunez sitzt im Büro von "El Rescate", einer Organisation, die Einwanderern aus Mexiko und Mittelamerika preiswerte Rechtsberatung gibt. Er trägt Jeans, ein rotes T-Shirt, Kopfhörer und kaut Kaugummi. Der 16-Jährige kam vor einem Jahr aus El Salvador in die USA - ohne Papiere. In ein paar Tagen hat er seinen nächsten Termin vor Gericht. Die Richterin hat angekündigt, über seinen Asylantrag zu entscheiden.
"Ich bin wegen der wachsenden Kriminalität und der vielen Gangs in meinem Land gekommen. Sie haben mich mit einem Messer bedroht, wollten mich zwingen, für sie zu arbeiten. Sie haben mehrmals gedroht, mich umzubringen. Deshalb hat meine Mutter beschlossen, mich her zu holen."Bei "El Rescate" berät ihn Anwältin Yanci Montes. Sie sieht viele Fälle wie den seinen, nicht erst seit dem vergangenen Sommer. Eltern schicken ihre Kinder aus dem sogenannten mittelamerikanischen "Nördlichen Dreieck" in die USA. "Es gibt so viel Gewalt in Guatemala, El Salvador und Honduras. Es ist eine humanitäre Krise. Diese Kinder verdienen, in den Vereinigten Staaten zu bleiben und Asyl gewährt zu bekommen. Sie wurden verfolgt und die Wahrscheinlichkeit, dass es wieder passieren wird, ist hoch."
Vor drei Jahren beauftragte Lidia zum ersten Mal einen Schlepper, Victor nach Kalifornien zu bringen. 4000 Dollar verlangte der Mann - ihre gesamten Ersparnisse. Der Schlepper verkaufte Victor an ein Drogenkartell.
"Sie haben mich um Mitternacht angerufen, dann morgens, die ganze Zeit. Sie verlangten 10.000 Dollar und drohten ihn umzubringen. Ich habe sie gebeten, mir mehr Zeit zu geben. Dann wollten sie 5000 Dollar. Die konnte ich auch nicht auftreiben. Am Ende haben sie ihn für 3500 Dollar freigelassen."Nunez musste sich dafür von Verwandten und Freunden Geld leihen. Die Kidnapper entließen Victor auf die Straßen von Guatemala City. Ein Onkel brachte ihn zurück nach El Salvador. Victors zweiter Fluchtversuch gelang. Versteckt in Autos, Lastern und Bussen erreichte er im Juni 2014 Texas. An der Grenze griffen ihn Immigrationsbehörden auf.
"Sie brachten mich in ein Haus wie ein Gefängnis. Sie nennen es Kühlschrank, weil es so kalt ist. Ich habe kaum gegessen und viel geschlafen. Das Essen war schlecht. Ich habe nie Tageslicht gesehen. Da war ich anderthalb Wochen."Anwälten bleibt nicht viel Zeit, sich in einzelne Fälle einzuarbeiten.
Dasselbe Problem haben Immigrationsrichter. Davon gibt es in den USA 247. Sie bearbeiten derzeit mehr als 70.000 Fälle von minderjährigen Flüchtlingen. Plus über 350.000 Anträge von Erwachsenen. Im Durchschnitt dauern Abschiebeprozesse für Kinder und Jugendliche in den USA derzeit ein Jahr und acht Monate. In Los Angeles sind es fast zwei Jahre. Die Richter kommen mehr und mehr in Rückstand.
Dana Leigh Marks, Präsidentin der US-Vereinigung für Immigrationsrichter, sagt: Eine angemessene Behandlung der Fälle ist ohne Aufstockung von Personal nicht gesichert.
US-Präsident Barack Obama hat angeordnet, Immigrationsprozesse von Kindern und Jugendlichen aus Mittelamerika beschleunigt zu bearbeiten. Denen stehen in der Regel zwei Wege zur Aufenthaltsgenehmigung offen: Asyl oder Sonderstatus als Jugendliche, die von der Familie verlassen, vernachlässigt oder missbraucht wurden.
Seit Juli 2014 haben US-Richter knapp 7500 Abschiebungen angeordnet, meldet das US-Justizministerium. In fast neunzig Prozent der Urteile passierte das in Abwesenheit der jungen Flüchtlinge. Ob diese Kinder tatsächlich das Land verlassen haben, ist nicht klar.
Politiker streiten unterdessen im Kongress über finanzielle Mittel für Unterkünfte und Schulen, für rechtliche und psychologische Hilfe, für beschleunigte Verfahren und verstärkte Grenzkontrollen.
Hilfsorganisationen arbeiten unterdessen abseits des Scheinwerferlichts daran, den Kindern und Jugendlichen das Leben in den USA zu erleichtern.
In Los Angeles gibt es inzwischen ein weit gespanntes Netzwerk aus religiösen und anderen Unterstützergruppen. Im "Casa Libre", einer gotischen Villa nahe Downtown Los Angeles, bekommen 14 Jungs ein Zimmer, Nachhilfeunterricht, rechtliche und psychologische Hilfe. Teenager lernen im Wohnzimmer an Computern Englisch.
Cristian - schlaksig, kaum 1,60 Meter groß - flüchtete vor Armut und Gewalt in Guatemala. Im "Casa Libre" fand er eine neue Familie. Was er auf der Reise in die USA erlebt hat, wird er nie vergessen:
"Casa-Libre"-Direktor Federico Bustamante wünscht, er könnte mehr Kindern helfen. Platz genug gibt es dafür in der Villa, doch es fehlt das Geld. Bustamante ist sicher: Minderjährige werden aus Mittelamerika in die USA kommen, bis sie zu Hause keine Gewalt mehr fürchten müssen.
" Solange sie Morgens Leichen sehen, zur Schule vorbei an Leichen gehen und solange ihre Verwandten verschwinden, ohne dass das jemanden interessiert, wird das passieren."