17. Juli 2015
PorträtCheflobbyist Aiman Mazyek spielt als Vorsitzender des kleinen Zentralrats der Muslime eine wichtige Rolle im Land - warum ist das so, und wer ist dieser Mann?
Was tun mit den dicken weißen Rosen? Der sächsische Justizminister hat extra ein paar mehr in der Hand, er wollte sie weitergeben an seinen wichtigsten Gast. Aber der kommt nicht. Es ist schon viertel nach eins, im Foyer des Dresdner Landgerichts sehen die anderen Gäste mit Ungeduld auf ihre Uhren. Also stellt sich Sebastian Gremkow vor die Gedenktafel und beginnt seine Rede.
In diesem Foyer hörten die Menschen vor sechs Jahren schreckliche Schreie. Der Angeklagte Alex Wiens tötete am 1. Juli 2009 die Ägypterin Marwa El-Sherbini mit 18 Messerstichen vor den Augen ihres kleinen Sohnes und ihres Mannes. Die Frau hatte gegen Wiens ausgesagt, weil er sie wegen ihres Kopftuchs auf einem Spielplatz rassistisch beleidigt hatte. Es hat damals Wochen gedauert, bis Deutschland kapierte, was passiert war: El-Sherbini war das erste Opfer eines muslimfeindlichen Mordes.
Das Gedenken ist zu Ende, da hastet Aiman Mazyek, 46, die Stufen des Gerichts hinauf. Mit einem Blick hat er in der Menge den Minister identifiziert, geht auf ihn zu und begrüßt ihn ernst. Und statt dass der Gast sich für seine deutliche Verspätung entschuldigt, bittet nun der Politiker um Verständnis dafür, dass er schon geredet habe. Mazyek fragt leise: "Haben wir noch ein paar schöne Rosen für mich?" Der Minister bedauert erneut. Das macht aber nichts. Denn der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime braucht genau 20 Minuten, um jedem hier die Hand geschüttelt zu haben, den er für wichtig hält: Gerichtspräsident, OB-Kandidat, Imam. Alle sind erfreut, ihn zu sehen. "Er kommt jedes Jahr", sagt die Vorsitzende des Ausländerrats, "er kümmert sich um eine sichtbare Vertretung für Muslime."
Wenn man Mazyeks Terminkalender anschaut, kann man nachvollziehen, wie der Eindruck entsteht. Johannisempfang in Esslingen, Runder Tisch Islam im Stuttgarter Integrationsministerium, Empfang beim Verband der Reservisten, Fastenbrechen in Braunschweig, Köln - und zum ersten Mal mit Angela Merkel in der Villa Borsig in Berlin. Und wo immer Mazyek geht, steht oder spricht, man kann wenig später an vielen Stellen davon erfahren: auf der Website des Zentralrats, in Pressemitteilungen, auf der von Aiman Mazyek vor Jahren gegründeten Internetpräsenz Islam.de. Oder ganz vorn in den Nachrichten, wie am 13. Januar, als er als Schnellster eine Mahnwache für die Opfer des islamistischen Anschlags auf die französische Satire-Zeitschrift Charlie Hebdo und den koscheren Supermarkt organisierte. In der Herzkammer der Republik, vor dem Brandenburger Tor. Es gibt ein Foto davon. Mazyek im Mantel, rechts hakt Bundespräsident Joachim Gauck ihn fest unter, links Angela Merkel.
Wer ist der Mann, der scheinbar ganz plötzlich zur zentralen öffentlichen Figur des muslimischen Lebens in Deutschland geworden ist? Mazyek sitzt in der Lobby eines Berliner Hotels und versucht, diese Frage zu beantworten. Es ist Mitte Juni. Er wirkt etwas angespannt. Es gibt in letzter Zeit ein paar Leute vor allem aus der eigenen Community, die ihn scharf kritisieren. Mazyek redet erst mal über seine Kindheit. Er wurde religiös erzogen. Sein syrischer Vater, ein Ingenieur, emigrierte nach Aachen. Mazyeks deutsche Mutter konvertierte, sie ist aktiv in der Bilal-Moschee in Aachen, in der Mazyeks geistliche Heimat liegt.
In Aachen, wo er aufwuchs, war er fast der einzige Muslim in der Schule. Es gab einen Musiklehrer, der jede Stunde mit dem "Türkentrank"-Kinderlied von Mozart begann, den Blick auf den kleinen Aiman geheftet. Furchtbar. Es sei ziemlich seine einzige Diskriminierungserfahrung gewesen. Heute hat er ein anderes Gefühl. "Islamfeindlichkeit sinkt nicht, sie wächst." Es gibt kaum einen Auftritt ohne diesen oder einen ähnlichen Satz. Der Befund der Islamophobie ist eines seiner großen Themen.
Die Kellnerin bringt einen Kaffee, mit einer schnellen Bewegung greift er sich einen Mandelkeks und schiebt ihn in den Mund. Es wird für einen Monat der letzte Nachmittagskaffee sein, am Abend beginnt der Ramadan. Mazyek ist genervt von der nächsten Frage. Wie macht man das, wenn der Fastenmonat in den Sommer fällt: 16 Stunden nicht essen und trinken bei 30 Grad? "Es gibt die Zuschreibung, wonach die Religion ein Problem sei. Im Ramadan wird nicht gefragt, welche Kräfte das freisetzt, sondern nur, ob das nicht gesundheitsgefährdend ist." Eine ganz normale Neugier vermag er in so einer Frage nicht zu erkennen. Vielleicht ist dieses Misstrauen nachvollziehbar für jemanden, der sieben Tage die Woche nichts anderes tut als den Islam zu verteidigen - dass er auch dann auf Abwehr schaltet, wenn gerade gar kein Angriff kommt.
Der Glaube ist immer schon Mazyeks Job - dort, wo es darum geht, ihn in der deutschen Gesellschaft zu etablieren. Früh gründete er Islam.de, eine Art Sprachrohr des Zentralrats. Er nennt als Beruf über die Jahre Chefredakteur, Publizist, Medienberater. Nach dem Abitur studierte er in Kairo Arabistik und dann Politik, Wirtschaft und Philosophie in Aachen. Er war einmal Vorsitzender und Bürgermeisterkandidat des FDP-Stadtverbandes Alsdorf; das Parteibuch hat er abgegeben. Auf der Expo 2000 in Hannover leitete er den ersten Islampavillon, danach wurde er Pressesprecher, Generalsekretär und 2010 Nachfolger von Ayyub Axel Köhler als Vorsitzender des Zentralrates.
Er habe erlebt, wie sich der Dialog zwischen Muslimen und dem Staat verändert habe - alles begann mit dem Terror in New York 2001. Angst also war der Motor einer Annäherung, und nicht der Wunsch nach einem gleichberechtigtem oder geregeltem Miteinander.
Das mit dem geregelten Miteinander ist auch gar nicht so einfach. Die etwa vier Millionen Muslime in Deutschland haben unterschiedliche Wurzeln und Ideen ihres Glaubens. Den einen Islam gibt es nicht. Etwa 3000 Moscheen existieren in Deutschland, man tritt nicht ein und wird Mitglied. Es gibt etliche Vereine und Verbände. Nach einer Studie des Innenministeriums fühlen sich nur 20 Prozent der Muslime einem Verband verbunden. Wer vertritt die anderen? Einen einheitlichen Ansprechpartner gibt es nicht.
Der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) hat zwar einen Namen, der so klingt. Er erinnert an den des Zentralrates der Juden. Aber das führt in die Irre. Mazyek ist der Vorsitzende des kleinsten Dachverbandes im Land. Er vertritt 300 Moscheegemeinden mit 20 000 Mitgliedern - 0,5 Prozent der Muslime in der Republik. Im Bestreben, einen möglichst zentralen Ansprechpartner anzubieten, haben sich vier Verbände zu einem Koordinierungsrat zusammengeschlossen - die mitgliederstarke Türkisch Islamische Union (DITIB), der Islamrat, der Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ) und eben der kleine, aber medial extrem präsente Zentralrat. Vielleicht auch deshalb warfen Vertreter der anderen Islamverbände Mazyek nach der Kundgebung am Brandenburger Tor vor, er mache sich zum "selbst ernannten Obermoslem". Überhaupt sei er ständig in Talkshows präsent und Dauerinterviewpartner.
Was sagt Mazyek? Er knipst sein verbindliches Lächeln an. Am Ende hätten doch dann alle auf der Bühne gestanden. Und auf der stand ein Rednerpult mit dem Emblem des Zentralrats. Und dahinter stand Aiman Mazyek. Seine Generalsekretärin Nurhan Soykan wird deutlicher: Wer kein Deutsch spreche, dürfe sich nicht darüber beschweren, dass er nicht in Talkshows eingeladen werde. Die Vertreter der anderen Verbände scheinen schlicht nicht so zu Hause zu sein in den Strukturen dieses Staats. Mazyek ist extrem gut vernetzt. "Du musst im Saft der Gesellschaft leben, sonst verstehst du sie nicht", sagt er dazu.
Er ist Medienprofi, und viele, mit denen er zu tun hat, erwähnen seine verbindliche Art. Sie bezeichnen sein Religionsverständnis als modern. "Er ist doch zum Beispiel liberal in der Kopftuchfrage", sagt ein führender SPD-Mann. Ist er das? Ist das entscheidend? Wie viel wissen Politiker über Ziele und Wünsche von muslimischen Verbandsvertretern? Mazyek hat sich zum Hauptansprechpartner einer politischen Klasse gemacht, die auf der Suche nach der Normalität im Umgang mit dem Islam ist. Er ist der Lobbyist des Islam in Berlin. Er sagt Sätze wie: "Das Grundgesetz ist mit der Scharia vereinbar." Aber er sagt auch: "Das Tragen des Kopftuchs ist ein muslimisches Gebot." Er sagt, der Terror des IS habe nichts mit dem Islam zu tun. Er sagt zum Wunsch nach einem Bekenntnis zum Grundgesetz: "Es wird im öffentlichen Diskurs oft speziell von Muslimen ein solches Bekenntnis verlangt. Unser Grundgesetz sieht keine Gesinnungsprüfung der Bürger vor. Es reicht, sich daran zu halten, wenn man hier lebt." Der Zentralrat nennt in seiner Selbstdarstellung die "Integration des Islam und der Muslime in die deutsche Staatsordnung" als Ziel.
Kritiker bemängeln, dass in seiner "Islamischen Charta" Fragen zur Gleichberechtigung offenblieben und nur vom Bekenntnis zum "Kernbestand der Menschenrechte" die Rede sei. Unter liberalen Muslimen gibt es nicht wenige, die auch Aiman Mazyek kritisch sehen. Manche von ihnen ziehen auch Verbindungen zwischen der Muslimbruderschaft und dem Zentralrat - unter anderem wegen der Zusammensetzung des Verbandes.
Die Islamexpertin Valentina Colombo, die zu islamistischen Bestrebungen in Europa forscht, kennt Mazyek. Colombo, Senior Fellow der European Foundation for Democracy in Brüssel, sieht in ihm ein typisches Beispiel für einen Funktionär mit dem Ziel, Einfluss zu nehmen. "Er ist jemand, der Kontakte zur Politik knüpft, und sich nach und nach zum unverzichtbaren und ersten Ansprechpartner auf dem politischen Feld gemacht hat." Er vertrete nach außen moderierende, vermittelnde Positionen und sei immer diskussionsbereit. Colombo forscht insbesondere zu den Strukturen und Zielen der Muslimbrüder in Westeuropa. "Die Muslimbruderschaft darf man sich nicht als eine weltweite Vereinigung vorstellen, der man beitritt und deren Mitglied man dann ist", sagt sie. "Es geht um eine Ideologie, die sich auf ein weltweites Netzwerk von Organisationen und Individuen stützt."
Von den 33 im Zentralrat organisierten Verbänden werden die Islamische Gemeinschaft in Deutschland (IGD) und das Islamische Zentrum Hamburg vom Verfassungsschutz beobachtet. Die IGD sei die "wichtigste und zentrale Organisation" der Muslimbruderschaft in Deutschland, so die Experten. Diesen "legalistischen Islamisten" gehe es darum, ihre "auf islamistischer Ideologie basierenden Vorstellungen des gesellschaftlichen und individuellen Lebens auf legalem Weg durchzusetzen". Dazu betrieben ihre Funktionäre Lobbyarbeit. Colombo rechnet zu den Vereinigungen, die eine ideologische und historische Verbindung zu den Muslimbrüdern und deren Ausrichtung aufwiesen, auch das Islamische Zentrum Aachen, die geistliche Heimat von Aiman Mazyek.
"Ziel ist es, sich komplett in den Apparat der Institutionen zu integrieren, Macht zu erhalten und zum politischen Ansprechpartner zu machen", sagt Colombo. "Vertreter dieser Ideologie setzen sich - natürlich zu Recht - für die gleichberechtigte Behandlung der Muslime mit anderen Religionsgemeinschaften ein. Das Problem ist nur: Sie wollen alleinige Ansprechpartner werden und damit allein ihre konservative Sicht des Islam durchsetzen." Wenn dies gelänge, dann habe das Auswirkungen auf Gesetzgebung, Erziehung und Bildung für alle. Auf das Thema angesprochen kann der verbindliche Herr Mazyek sehr harsch werden. Es ist mitten im Ramadan, die Mittagshitze drückt bei dem Treffen auf den Sonnenschirm vor einem Café in der Nachbarschaft. Der Versuch über Glaubensfragen zu sprechen, schafft plötzlich eine gereizte Atmosphäre. Mazyeks Augen rollen ungeduldig nach oben, einen Moment lang wirkt es so, als werde er aufstehen und gehen, als die Frage gestellt ist: Haben Sie Verbindungen zur Muslimbruderschaft? "Ich empfinde es als eine seltsame Frage, so als würden Sie mich fragen, ob ich Scientologe wäre."
Noch ein Versuch. Könnte man ein Ja oder Nein bekommen? Antwort: "Ich war nie MB, habe stets eine kritische Haltung dazu eingenommen. Derzeit wird viel darin hineingedichtet, oft werden diese Gruppierungen stark überschätzt und halten nicht selten auch als Feindbild her." Da ist er, der Opfermodus. Feindbilder, Missverständnisse, falsche Einschätzungen - im Verlauf der nächsten eineinhalb Stunden gibt es davon viele: zum IS, zur Gleichberechtigung, zum Grundgesetz, zur Scharia, zu Homosexualität.
Irgendwann in der Debatte sagt Aiman Mazyek, was das Problem ist: "Die säkulare Welt hat ein Problem mit Menschen, die an ein geschlossenes spirituelles oder politisches Weltbild glauben." Man könnte das auch andersrum sehen.
Autor: Katja Bauer