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Alles Arschlöcher überall

Tja. „Wegen Pandemie bis einschließlich 8. Mai geschlossen“ verkündet ein sorgfältig kalligraphiertes Schild hinter Gittern im Eingang des Kneipencafés, in dem das Gespräch mit Jan Bratenstein hätte stattfinden sollen. Über die Welt im Allgemeinen, Musik im Speziellen und: Arschlöcher. Vor allem Arschlöcher. So nämlich steht es weithin zu lesen auf dem Titel des neusten Buches, das der Nürnberger Musiker und Autor unlängst auf den Markt gepfeffert hat. In „Alles Arschlöcher überall“ erzählt er die Geschichte einer verdammt langen Kneipennacht mit reichlich Alkohol und definitiv zu vielen Nazis und widmet es einer Südstadt-Institution, in der letztgenannte gar nicht gern gesehen sind: das „Café Express“. Dass das jetzt geschlossen hat, ist nur konsequent, denn „ich wollte das Buch eigentlich auch hier schreiben, aber dann kam der Lockdown und alles hatte zu.“ Also 2021 dann doch daheim eine Tagesstruktur einrichten und die füllen mit Lebenssinn, der einem schon mal abhanden kommen kann, wenn man von einem Tag auf den anderen nicht mehr arbeiten darf. Jan Bratenstein ist seit vielen Jahren das musikalische Ein-Mann-Projekt „The Black Elephant Band“, spielt bei „Pets“ oder dem Musik-Kollektiv „Folk's Worst Nightmare“, tourt durch Deutschland und das Außenrum, 169 Konzerte 2019. Dann Sendepause. Mit „Der Mann ohne Piano“ gab es schon ein erstes Buch. Ein zweites schreiben – wann denn sonst bitte wenn nicht jetzt? Zumal in einer Zeit, in der die Arschlöcher wie Pilze aus dem Boden sprießen? Sagt Jan Bratenstein durch das Getöse aus irgendeiner Sprache und Englisch hindurch, dass aus einem Telefon am Nebentisch des Ausweich-Cafés am Hauptbahnhof drängt – Videotelefonie in der Öffentlichkeit, das hat man jetzt so. Hupen muss man auch sehr viel und drängeln und drohen und laut sein und rücksichtslos und unsolidarisch und die AfD gut finden oder gleich die NPD, alles Arschlöcher. Und dann kannst du wütend werden oder verzweifelt oder du wagst den Humor. Und der, sagt der 32-Jährige, „hilft, aus einem ernsten Scheißthema etwas zu machen, das dich nicht komplett runterzieht.“ Das Gegenteil von mächtig ist lächerlich. Über die Charaktere seines Buches hingegen, immerhin 14 Stück an der Zahl, will er sich nicht lustig machen. Ja, es könnte die alle genau so geben. Die Kneipenwirte und Intellektuellen, die Stänkerer und Säufer – tut es aber nicht. Einzig der Startpunkt, das „Café Express“, das im Buch „Exquisit“ heißt, sei echt, der Rest fiktiv. Aufgeschnappt bei Freunden oder auf Tour, Gespräche in anderen Städten über Anti-Folk und Antifaschismus. Aber ja: auch im „Express“ mit seiner unvergleichlichen Stimmung, die Mischung aus „jungen Leuten und solchen, die da schon seit 30 Jahren sitzen“ und aber darunter auch die, die man kennt aus der politischen Szene, die sich engagieren und „einen Auftrag haben“, und freilich „auch die traurigen Gestalten.“ Arschlöcher? Nicht so viele. „Die habe ich eher in sogenannten etablierteren Einrichtungen kennengelernt“, sagt Bratenstein, der Ex-Kellner, und erzählt von „Snob-Arschlöchern“, die pampig werden, weil’s nicht schnell genug geht. Oder solchen, die erst freundlich werden, wenn sie hören, dass er Künstler ist. Dazugehört. „Natürlich würde man die meisten Menschen besser verstehen, wenn man die Hintergründe ihrer Handlungen kennen würde“, sagt Jan Bratenstein, aber dass das numal nicht geht. Und „unreflektierte Happiness“, sagt er, die findet er „doof, weil dafür gibt es viel zu viel Scheiß auf der Welt.“ Immer nur Heititei und Chichi und Gute-Laune-Mainstream-Radio. Wie „dieses Lied ‚I got a Hangover‘ – ganz offenbar hatte der Sänger noch nie einen Kater, weil kein Mensch kann mit so einem Kater solche Musik hören, das ist doch einfach nicht adäquat repräsentiert.“ Als Pessimisten sieht Jan Bratenstein sich, und es passt schon gut zum Gespräch, dass mittendrin ein Platzregen explodiert und von den Schirmen des Bahnhofs-Cafés braune Schlieren auf den Tisch tropfen. „Es gibt ausreichend Anlass für Pessimismus, der ja aber auch ein Antrieb sein kann, wenn man die Schwere der Welt wahrnimmt und etwas Produktives daraus macht.“ Das macht Jan Bratenstein mit seiner Musik, die mal alltagslustig ist, mal voller Botschaft. Das macht er mit seinem Buch, das das Kleine groß werden lässt und das Schlimme lustig. Irgendjemand hupt wild auf der Straße. Halt alles Arschlöcher überall.