1 abonnement et 4 abonnés
Article

Wir werden wie Gold sein - wie sich Mode selbst abschafft

Onkel Dagobert besitzt so viel, dass er darin baden kann, Hans im Glück immerhin war sein Klumpen so zu schwer, dass er ihn lieber eintauschte, und König Midas wär beinahe daran erstickt. Das Spandau Ballett singt darüber wie schon Beethovens Fidelio, und wenn wir einen Menschen besonders schätzen, sagen wir ihm gern ein Herz aus diesem einen Element nach, das im Periodensystem so unprätentiös als „Au79“ verzeichnet ist und seit Anbeginn der Zeitrechnung die Geschicke der Menschheit wenn schon nicht bestimmt, so doch mindestens begleitet: Gold.

Seit der frühen Kupferzeit, also circa 4500 v. Chr., erfreut der Mensch sich an dem gelb-glänzenden Metall (lat. „Aurum“), das schwer und biegsam ist, nicht korrodiert, gelegentlich einfach so herumliegt, meist und mittlerweile vor allem aber geschürft und ausgegraben werden muss. Was sich als durchaus kompliziert gestaltet, weswegen nicht zuletzt die Alchemie emsig nach einem einfacheren Weg der Goldgewinnung sinnt. In der frühzeitlichen Geschichte findet sich ein vergleichsweise verschwenderischer Umgang mit dem raren Stoff, mit dem vor allem im Totenkult nicht zimperlich umgegangen und gelegentlich gleich mal eine ganze Grabkammer tapeziert worden war, und dass ein komplettes Volk beim Festival ums Goldene Kalb bacchanalte, gereichte einem gewissen Moses nicht zur Freude: Eilig zerschlug er das glänzende Götzenbild.

In jüngerer Zeit fielen indigene Stämme Süd- und Mittelamerikas dem Goldwahn der spanischen Conquestadores zum Opfer, später ganze Landstriche entlang des Fluss Klondike, dessen Name bis heute symbolisch steht für den Goldrausch, dem der Mensch in Scharen gern verfällt. Einen solchen Rausch scheint es derzeit erneut zu geben, wenngleich eher modischer denn umweltzerstörerischer Natur, denn wo bis neulich Gold noch einen kleinen Würgreflex auslöste, scheinen Mode- und Möbelhäuser heute nachgerade in hübsch glänzige Rettungsdecken gehüllt zu sein, wie man sie bis dato nur als Pflichtausstattung im PKW-Kofferraum kannte. Denn nachdem die Menschheit sich über Jahrtausende hinweg in Gold am liebsten stets selbst aufgewogen hätte, schien sie über die letzten Dekaden einen sehr nachdrücklichen Abstand vom majestätischen Pomp genommen zu haben – zumindest in unseren Breiten.

Gold, das war irgendwas mit indischen Hochzeiten und Museum, mit Drachen und Chemie, vor allem aber für Omas und Opas und überhaupt alles spießbürgerlich-verstaubte. Vererbte der Großvater mit ergriffenem Gestus die goldene Familienuhr enkelseitig weiter, es mühte sich der solcherart Beschenkte um ein dankbares Gesicht und wägte im Geiste sogleich Moral und Pflicht gegen Wiederverkaufswert ab. Seit wenigen Jahren sind es nicht nur genau diese Uhren, die im besten Fall von Staub befreit am Handgelenk stolz herumglänzen, im wahrscheinlichsten jedoch die neu erworbenen. „Gold“, sagt die Kultur- und Modesoziologin Prof. Dr. Aida Bosch, „war in einigen Milieus, beispielsweise bei osteuropäischen Einwanderern, schon immer zu finden. Im Allgemeinen aber galt das als nicht oder nur als sehr begrenzt schick.“ Davon kann aktuell keine Rede mehr sein.

Es ist zwar längst nicht alles Gold, was glänzt, aber geglänzt wird ganz gewaltig. An Schuhen und im Haar, an T-Shirt und Jackenstickerei. In Schmuckkästchen, Besteckschublade und Festivalzubehör, in Piercingstudio, Möbelhaus und Bastelladen – man könnte meinen, Midas sei wieder zum Leben erwacht. Was ist da los? Mode, so Bosch, unterstehe stets einem hohen Innovationsdruck, den zu befriedigen Ideen aus allen Schichten und Kulturen geholt werden. „Der größtmögliche Erfolg der Mode ist, wenn etwas ‚in‘ wird, was vorher gar nicht ging.“ Die Dynamik sei meist die gleiche: Junge Menschen nehmen eine gemeinhin als schaurig verachtete Unmode auf, spielen „ein ironisches, ein neues Spiel“. Diese „einzelnen Modeinseln werden“, so Bosch, „von Streetbloggern und Designern mit hoher Innovationskraft“ aufgegriffen und zunächst in die Designerszene verbreitet, danach in die Mode der Massen kopiert. „Der Neuheitswert der Mode ist heutzutage schwer zu holen, da ist es natürlich toll, so einen Überraschungseffekt noch erzielen zu können.“ Ähnlich der Jogginghose, die in der Öffentlichkeit zu tragen Karl Lagerfeld, Gott hab ihn selig, denselben Generationen nachdrücklich verbot, die heute hilflos schauernd die zunehmende Abkehr von dieser größten Maxime beobachten.

Auf einer Meta-Ebene erkennt Prof. Bosch den Trend als Sinnbild des allgemeinen sozialen Wandels, in dem direkt proportional zur Geschwindigkeit des Lebens das Bedürfnis nach stabilen Werten ansteige. „Gold ist ja ursächlich keine Mode, sondern etwas, das langlebig ist, vererbt wird, auch in unruhigen Zeiten als stabiles Element besteht.“ Besonders bemerkenswert sei auch die Renaissance von Roségold, das „noch viel mehr out“ gewesen sei und heute mit seinem warmen Glanz für den Wunsch nach sozialer Wärme stehen könnte. Vor allem aber steht der warme Glanz symbolisch für die tiefe Gespaltenheit: Fristen rosé- und gelbgoldene Brillengestelle in kommerziellen Fachgeschäften ein ungeliebtes Dasein ganz hinten in der Günstig- und Seniorenabteilung, werden eben jene Modelle in Läden mit Bierkühlschrank und Baumdekor von Verkäufern mit Kopf- und Nasenschmuck (golden!) als unverzichtbar angepriesen – und für ein Vielfaches verkauft.

Das dürfte womöglich bald vorbei sein, denn Prof. Dr. Aida Bosch kennt noch eine weitere Dynamik der Mode: „Ihr eigenes Paradoxon – sie schafft sich selber ab!“ Hat ein Trend fast alle erreicht, ist er derart breit gestreut, dann „ist er sicher bald vorbei“, der Markt gesättigt. Einzig das Gold selbst würde sich und seiner Geschichte treu bleiben: Zu viel davon war noch selten für etwas gut. König Midas kann ein Lied davon singen, vergoldete der doch alles, was er berührte – auch Töchterlein und Speisen. Das Goldene Kalb ist seinerzeit kurzerhand erschlagen worden, die umherfeiernden Menschen ebenfalls. Ein solch alttestamentarischer Wutanfall ist heutzutage hoffentlich nicht zu erwarten.