1 abonnement et 4 abonnés
Article

Organspende - Was hätte der Betroffene gewollt?

Laut der jüngsten Umfrage der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung (BzGA) ist die positive Einstellung zum Thema Organ- und Gewebespende in Deutschland derzeit mit 84 Prozent so hoch wie nie zuvor. Auch, zeigt das Infoblatt der Studie vom Mai 2018, besitzen immer mehr Menschen einen Organspendeausweis: 36 Prozent der Deutschen haben ihre Entscheidung auf der kleinen Karte dokumentiert – 2012 waren es noch 22 Prozent. 56 Prozent der Befragten geben an, ihre Entscheidung bereits getroffen zu haben, nur 30 Prozent haben diese weder im Organspendeausweis noch in einer Patientenverfügung dokumentiert. In diesen Fällen bleibt zu hoffen, dass Betroffene sich zu Lebzeiten zumindest schon einmal zu der Thematik geäußert haben – denn sonst wiegt möglicherweise die Last der Entscheidung einmal schwer auf den Schultern der Angehörigen. Dann nämlich, wenn sie im Falle eines Hirntods entscheiden müssen: Was hätte der Betroffene gewollt? „Das geschieht manchmal ganz schnell“, weiß Prof. Dr. Hajo Hamer, Leiter des Epilepsiezentrums und Oberarzt der Klinik für Neurologie des Universitätsklinikums Erlangen. Seit über zehn Jahren ist er mit Hirnstromkurven befasst und damit auch mit dem IHA, dem „irreversiblen Hirnfunktionsausfall“ – der Moment, in dem ein Mensch zwar maschinell und hinsichtlich des Kreislaufs am Leben erhalten werden kann, im eigentlichen Sinne aber tot ist. Der Moment also, in dem ein Mensch als potentieller Organspender in Frage kommen kann. Und damit der Moment, in dem sehr viele, sehr weitreichende Entscheidungen in relativ kurzer Zeit getroffen werden müssen. „Schock und Trauer stehen bei den Angehörigen dabei natürlich im Vordergrund“, so Hamer, der sich dann der Aufgabe stellen muss, „ernsthaft, sensibel und situationsadäquat vorzugehen.“ Die Angehörigen – meist der nächste Verwandte, manchmal ein Familienbund – müssen behutsam bei einer Entscheidung begleitet werden. Dafür gibt es eigens geschulte Mitarbeiter der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) wie Alexandra Greser, Allgemeinärztin und sogenannte Koordinatorin in Erlangen. Seit 2002 begleitet die 49-Jährige Spender und Angehörige, hilft bei der Entscheidungsfindung, bietet regelmäßige Treffen für Hinterbliebene an. „Die Familien sind heute aufgeklärter als noch vor zehn Jahren“, so Greser, ahnten, dass eine Organspende Thema werden könnte und wüssten, worum es sich hierbei handle. Die Dokumentation eigenen Entscheidung z. B. im Organspendeausweis helfe trotz aller Auseinandersetzung sehr, denn „der letzte Wille eines Verstorbenen wird akzeptiert.“ Manche Familien, weiß Dr. Hamer, müssten sich trotzdem erst mit „dem Konzept Tod auseinandersetzen“, was bedeute, in der Aufklärung „viel weiter vorne anzufangen.“ In Ruhe, nicht zwischen Tür und Angel, sondern in mindestens zwei bis drei Sitzungen, um die Entscheidung reifen lassen zu können. Die Reaktionen seien, sagt Alexandra Greser, sehr unterschiedlich: Die Bandbreite reiche von völliger Überforderung über den Wunsch, so detailliert wie möglich aufgeklärt zu werden bis hin zu einer sehr schnellen Entscheidungsfindung. Für jedes Bedürfnis ist genug Zeit, genug Sensibilität da, niemand wird überredet, jeder darf auf seine Weise Abschied nehmen, lange beim Verstorbenen bleiben. Eine Schwierigkeit: „Hirntod sieht nicht so aus, wie wir uns den Tod vorstellen“, sagt Alexandra Greser, denn, weiß auch Dr. Hamer, das Konzept IHA sei oft nicht klar, so komme es zu Missverständnissen „Wir haben einen Leitgedanken“, verrät Dr. Hamer: „Den Tod des Herzens kann man überleben. Den Tod des Gehirns nicht.“ Einen Menschen, der atmet, dessen Lebensfunktionen noch aktiv zu sein scheinen, dennoch als de facto und irreversibel tot zu akzeptieren, sei oft das Hauptthema, mit dem Angehörige sich auseinandersetzen müssen. Die Fragen, so Greser, kämen deswegen oft erst nachher. Ein Grund, warum „wir oft auch im Anschluss in engem Kontakt bleiben.“ Die Entscheidung der Familie müsse „stabil und einig sein“ – umso hilfreicher ist es, sich mit dem Thema mindestens einmal konfrontiert zu haben, um die Angehörigen zur Entscheidung begleiten zu können. Niemand müsse Angst haben – der Wille werde in jedem Fall akzeptiert. Schließen Verstorbene oder Angehörige beispielsweise die Entnahme von Augen oder Herz aus, so werde das nicht verhandelt. „Je mehr der Betroffene sich vorher festgelegt hat, desto leichter wird die Entscheidungsfindung“, so Dr. Hajo Hamer, der rät, „auch im Sinne der Angehörigenfürsorge zu handeln und sich zu Lebzeiten festzulegen – mit Organspendeausweis ist alles für alle einfacher.“