1 abonnement et 4 abonnés
Article

Gemeinsames Gehen - Schweigepilgern entlang der Stadtmauern

Vor gut drei Jahren wurde in der Nürnberger Kirche St. Jakob ein Pilgerzentrum eröffnet. Seitdem stehen in dieser bayernweit einzigartigen Einrichtung Ehrenamtliche mit Rat und Tat zum Thema zur Seite. Im vergangenen Jahr hat Tanja Zeller die Koordination übernommen – und sogleich das Angebot um eine Besonderheit erweitert: Einmal im Monat gibt es „Schweigepilgern“ um die Altstadt.

Unter „Pilgern“ habe ich mir immer vorgestellt, dass religiöse Menschen strapaziöse Wanderungen auf sich nehmen, um auf dem Weg spirituelle Erleuchtung zu erfahren und am erwallfahrteten Ziel der Reise gemeinschaftlich im Glauben vereint zu sein und einer wie auch immer gearteten Gottheit zu huldigen. Wahlweise pilgern Menschen umeinander, um einem wenig religiösen, dafür beispielsweise kommerziellen Mechanismus Folge zu leisten. Unter „Schweigepilgern“, noch dazu mitten in der Stadt statt über grüne Wiesen und weite Täler, kann ich mir so gar nichts vorstellen. Außer, dass es mutmaßlich recht leise zugehen wird. Doch genau hier, erklärt Tanja Zeller vom Pilgerzentrum St. Jakob, liege der Clue: Weil es in der Natur eh ruhig ist, sei eine schweigende innere Einkehr sehr viel einfacher zu bewältigen. Abzuschalten im Lärm der vielen Menschen, das sei die Herausforderung. So wie es gleichsam eine Herausforderung sein kann, in einer Gruppe zu schweigen. Oder eine Bereicherung: „Kein Smalltalk, keine Unterhaltung, sich nicht erklären müssen, keine Fragen stellen, sondern einfach seinen eigenen Gedanken nachhängen können, ohne dabei alleine zu sein – das kann eine Wahnsinnserfahrung sein“, findet Tanja Zeller, die 2015 mit ihren Schwestern den portugiesischen Weg bis an die spanische Grenze und von dort aus alleine nach Santiago de Compostela gepilgert ist. Ich bin skeptisch. Begebe mich aber auf das, was von außen betrachtet wahrscheinlich wie ein simpler Touri-Ausflug aussieht, was nicht zuletzt dem Umstand geschuldet ist, dass der Weg entlang des ausgewiesenen „Grabenspaziergangs“ läuft. Von innen betrachtet aber gibt Tanja Zeller schon am Treffpunkt St. Klara einen ersten von vielen folgenden Impulsen, die zum Nachdenken anregen, sich konzentrieren helfen, Chaos im Kopf ordnen sollen. Was man damit macht, ist freilich jedem selbst überlassen. Ich mache: nichts, singt doch in meinem Kopf unablässig die neuste Lieblingsliedentdeckung. Was nicht weiter stört, befinden wir uns doch in einem bilderbuchartigen Freitagabend im Mai, zu dem der Soundtrack ganz vorzüglich passt. Wir laufen. Schweigen. Ich gucke. Lese. Veggie-Friday, 15000 Radfahrer seit Anfang 2018, Ihr Elektronikspezialist, Riedelwehr, neuer Ohrwurm „Sieben Brücken“, Fußweg zum Rathenauplatz, Maxtorgraben. Habe erstes Erweckungserlebnis: Seit über 30 Jahren in der Gegend unterwegs, und noch nie auf dieser Seite der Mauer gewesen. Verrückt. Man kann, stellt sich heraus, wenn man zielstrebig schweigend spaziert, wahnsinnig viel entdecken. Es wird nicht stehengeblieben, es wird nicht eingekehrt, außer innerlich, da kann’s noch so gut duften vom Häusle an der Stadtmauer, noch so fröhlich tönen vor lauter Freitagabendmenschen und -getränken. Wir laufen. Das tut gut. Wir schweigen. Das tut auch gut! Meine Befürchtung, ich würde arg nervös, bin ich es doch gewohnt, beständig Fragen zu stellen, Beobachtungen zu teilen, im Gespräch zu reflektieren und peinliche Stille zu überbrücken, stellt sich schnell als falsch heraus. Es ist ein großer Unterschied, ob man schweigt, weil man nicht weiß, was man sagen soll – oder weil man vereinbart hat, die Klappe zu halten. Das entspannt ungemein. So marschieren wir also die Stadtmauer entlang. Ich bin hingerissen, Nürnberg schön wie immer, jetzt grade aber so wundervoll, dass ich’s kaum ertrage. Und immer mehr entdecke. Gebäude, Gärtchen, Details, die ich noch nie wahrgenommen habe, weil, sind wir mal ehrlich, meistens dann doch das Ziel das Ziel ist und nicht der Weg. Nach rund eineinhalb Stunden gelangen wir zur City-Kirche St. Jakob, das bayerische Pilgerzentrum, von dem aus Schilder die Richtung nach Rothenburg (79 km), Santiago de Compostela (2106 km) und weitere Wallfahrtsorte weisen. Tanja Zeller möchte singen, „auch Brummen ist erlaubt“, unterbricht sie das Schweigegelübde für wenige Minuten. Um einer möglichen emotionalen Übermannung entgegenzuwirken, sich in der Stille der Kirche aufgehoben fühlen zu können. Natürlich: Wer sich einlässt auf das Angebot, im stillen Zwiegespräch mit sich, seinen Handlungen und Entscheidungen ins Gericht zu gehen, der stößt womöglich an Grenzen. So wie wir irgendwann an die Grenzen der Nürnberg’schen Umrundbarkeit: Nach knapp vier Kilometern und zwei Stunden ist Schluss. Ich habe ein schlechtes Gewissen, fühle mich wenig religiös inspiriert, kaum spirituell erleuchtet, habe mich lediglich zum zigtausendsten Mal in meine Stadt verliebt. „Wie wundervoll!“ ist Tanja Zeller überraschend hingerissen. „Genau das ist es! Darum geht es!“ Um Aufmerksamkeit, um Achtsamkeit, um Sich-Herausnehmen aus dem Alltagsgehechle. Oder um die Konfrontation mit dem eigenen Selbst. Alles ist in Ordnung. Fühle mich ein wenig verlegen. Und dann doch irgendwie erleuchtet.

 

„Schweigepilgern | Schweigen ist Balsam – gemeinsames Gehen“, jeden 3. Freitag im Monat, 18.30 Uhr, Treffpunkt St. Klara, Königstraße 79, Nbg,; nächste Termine: 22.6. & 20.7., weitere Infos unter jakobskirche-nuernberg.de und pilgern-bayern.de